Interview mit Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann

„Der Finanzminister muss jetzt liefern“

Ob Landtagswahlkampf oder Ampelzwist: Für die Grünen sind es schwierige Zeiten. Im Interview erklärt Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann, wie ihre Partei doch noch überzeugen will und was sie im Streit um den Haushalt vom Finanzminister erwartet.

„Wir haben noch einiges zu tun“, sagt Grünen-Fraktionschefin Haßelmann über die verbleibende Regierungszeit.

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„Wir haben noch einiges zu tun“, sagt Grünen-Fraktionschefin Haßelmann über die verbleibende Regierungszeit.

Von Rebekka Wiese

Britta Haßelmann, Vorsitzende der Grünen-Fraktionen im Bundestag, ist in diesen Tagen viel unterwegs. Gerade war sie in Thüringen, nun folgen Sachsen und Brandenburg. Die Landtagswahlen stehen an, die Umfragen für die Grünen sehen schlecht aus. Gleichzeitig streitet die Bundesregierung in Berlin wieder über den Haushalt. Im Interview erklärt Haßelmann, wieso sie noch Hoffnung für die Landtagswahlen hat – und wie genervt sie selbst von der Ampelkoalition ist.

Frau Haßelmann, bald wählen Sachsen und Thüringen neue Landtage. In Sachsen müssen die Grünen um ihren Wiedereinzug fürchten, in Thüringen ist er fast aussichtslos. Was hat Ihre Partei falsch gemacht?

Ich halte die Situation nicht für aussichtslos. Die Lage in Sachsen und in Thüringen unterscheiden sich auch sehr. Natürlich sind die Umfragen nicht schön für uns. Aber die heiße Phase des Wahlkampfs geht jetzt erst los. Ich bin gerade für eine Woche durch Thüringen gereist. Als ich dort war, habe ich von vielen Wählern gehört, dass sie noch nicht entschieden haben, wem sie ihre Stimme geben wollen. Jetzt müssen wir ihnen zeigen, warum es die Bündnisgrünen im Thüringer Landtag braucht.

Und zwar?

Das wollen wir mit unseren Themen im Wahlkampf deutlich machen. Ein Beispiel: Als Thüringer Umweltminister hat sich Bernhard Stengele dafür eingesetzt, dass die Gemeinden vor Ort vom Ausbau der Windkraft profitieren. Sie bekommen jetzt etwas von der Wertschöpfung ab, wenn eine Anlage bei ihnen gebaut wird. Von dem Geld lassen sich dann zum Beispiel der Sportplatz oder das Schwimmbad der Gemeinde sanieren. Das sorgt für eine breitere Akzeptanz für Windkraft bei den Leuten vor Ort. Und das ist nur eines von vielen Beispielen.

Die Frage ist, ob das reicht. Für viele Menschen sind die Grünen ein grundsätzliches Feindbild geworden. Wie wollen Sie da mit einem Windenergiegesetz durchdringen?

Natürlich habe ich bei einigen Menschen in Thüringen auch Vorbehalte gespürt. Gerade deshalb finde ich solche Reisen aber wichtig. Wir müssen vor Ort sein. Ich habe vergangene Woche sehr offene Gespräche geführt und erklärt, was unsere Regierungsbeteiligung im Bund oder in Thüringen bedeutet. Vieles, was wir im Bund machen, wirkt sich positiv in Thüringen und den anderen Ländern aus. Zum Beispiel der Ausbau der Erneuerbaren oder das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz. Das ist das größte Naturschutzprogramm, das der Bund je auf den Weg gebracht hat. Auch die Natur in Thüringen profitiert davon.

Thüringen ist ein Bundesland, über das es viele Vorurteile gibt. Welches ist Ihrer Meinung nach das größte Missverständnis über dieses Land?

Als Besucherin ist mir aufgefallen, wie unterschiedlich die verschiedenen Städte und Regionen in Thüringen sind. Ich war in Erfurt, Jena und Weimar, ich war aber auch in Arnstadt und in Ilmenau. Überall waren die Lebenssituationen ganz anders, waren die Voraussetzungen in den Städten anders. Und natürlich habe ich mich dabei auch gefragt: Wie kann es sein, dass die AfD gerade hier, wo Björn Höcke die Partei so rechtsextrem ausgerichtet hat, immer noch so viel Zuspruch erfährt?

Ich bin auf Ihre Antwort gespannt.

Ich muss Sie enttäuschen: Es gibt keine einfache Antwort. Die Menschen vor Ort haben im Zuge der Einheit Enttäuschungen erfahren, haben berechtige Sorgen oder Verunsicherungen. Manche wollen einen Denkzettel geben und erwarten keine Lösungen von der AfD. Andere unterstützen bewusst eine rechtsextreme, rechtsradikale Partei. Und manche scheinen zu glauben, dass das BSW und die AfD Antworten auf die Krisen unserer Zeit hätten. Das ist aber nicht so. Offenbar konnten wir jedoch auch noch nicht gut genug vermitteln, was unsere Antworten und Angebote sind. Wenn wir als Grüne über Veränderungen für die Zukunft sprechen, dann müssen wir das immer auch mit Sicherheit und sozialer Absicherung verbinden.

Lassen Sie uns noch auf den Bund schauen. Bis Freitag muss die Bundesregierung dem Bundestag den Plan für den Haushalt 2025 zukommen lassen. Rechnen Sie damit, dass das klappt?

Ich gehe davon aus. Und: Ich erwarte von allen Beteiligten, dass sie alles tun, damit der Haushaltsentwurf bis Ende dieser Woche steht und dem Parlament übermittelt wird. Nur so können wir als Bundestag im September in die Beratungen einsteigen. Im Juli hat die Bundesregierung lange darum gerungen, eine gemeinsame Lösung vorzulegen. Ich erwarte als Parlamentarierin, dass sie uns nun einen verfassungsgemäßen Vorschlag zukommen lässt. Ich habe auch eine klare Erwartung an den Finanzminister: Es ist nicht nur sein Job, Probleme zu beschreiben. Es ist vor allem seine Aufgabe, die Lösungen dafür zu erarbeiten, die wir dann im Parlament beraten können. Er muss jetzt liefern.

Sie spielen darauf an, dass Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) kürzlich von einer Lücke von fünf Milliarden Euro im Haushalt sprach, nachdem er die Einigung hatte prüfen lassen. Der Kanzler meldete sich daraufhin aus dem Urlaub zu Wort und erklärte, dass er kein Problem sehe. Für wie rechtssicher halten Sie den Entwurf?

Den Entwurf muss der Finanzminister jetzt vorlegen. Nach allem, was ich weiß, gehe ich davon aus, dass ein rechtssicherer Entwurf machbar ist. Für mich ist wichtig, dass uns, dem Parlament, am Ende ein verfassungsgemäßer Haushaltsentwurf vorgelegt wird – und zwar rechtzeitig. Mich hat irritiert, dass der Finanzminister und der Bundeskanzler diesen Streit öffentlich austragen. So was gehört am Kabinettstisch geklärt. Nicht in der Zeitung.

Wie genervt sind Sie von der Ampelkoalition?

Ich bin nicht genervt. Aber ich frage mich natürlich, wo wir besser sein könnten. Wir sind drei programmatisch sehr unterschiedliche Parteien mit verschiedenen Auffassungen. Wenn ich auf unsere gemeinsame Regierungszeit blicke, weiß ich, was wir alles geschafft haben – trotz des Angriffskriegs auf die Ukraine mit all seinen Folgen. Ich denke, wir sollten uns mehr auf unser Erreichtes konzentrieren.

Sie haben jetzt noch gut ein Jahr Regierungszeit vor sich. Was sind die wichtigsten Projekte, die Sie umsetzen wollen?

Da fällt mir vieles ein! Das Gesetz gegen digitale Gewalt steht noch aus. Wir wollen auch das Bundeswaldgesetz reformieren. Und wir planen noch mehr, um den Ausbau der erneuerbaren Energien zu fördern. Das Tariftreuegesetz ist noch nicht fertig. Und wir fangen jetzt an, das Startchancenprogramm umzusetzen. Das ist wichtig, weil wir damit in die Bildung von Kindern und Jugendlichen investieren. Auch das Demokratiefördergesetz steht noch auf unserer To-Do-Liste. Wir haben noch einiges zu tun.

Sie haben die Kindergrundsicherung nicht erwähnt. Haben Sie die aufgegeben?

Nein. Die habe ich nicht aufgezählt, weil das Projekt schon weit vorangekommen ist. Im Kampf gegen Kinderarmut haben wir als Regierung schon jetzt einiges erreicht: Wir haben das Kindergeld erhöht und den Sofortzuschlag für Kinder angepackt. Jetzt verhandeln die Regierungsfraktionen über den Gesetzentwurf. Ich bin sicher, dass wir das Projekt Kindergrundsicherung gemeinsam realisieren werden.

Zur Person

BundestagsabgeordneteBritta Haßelmann, geboren 1961, ist neben Katharina Dröge die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag. Sie sitzt seit 2005 im Bundestag, von 2013 bis 2021 war sie Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion. Sie zählt zum Realo-Flügel der Grünen, setzt sich aber oft für einen ausgleichenden Kurs zwischen den Lagern in ihrer Partei ein.

LandespolitikerinHaßelmann kommt aus Nordrhein-Westfalen, wo sie von 2000 bis 2006 auch Landesvorsitzende war. Im Bundestag vertritt sie den Wahlkreis Bielefeld. Bevor sie beruflich in die Politik ging, arbeitete Haßelmann als Sozialarbeiterin.

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Erstellt:
14. August 2024, 00:10 Uhr
Aktualisiert:
14. August 2024, 07:16 Uhr

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