Zeit für einen Schlussstrich
Die Debatte um deutsche Reparationen sollte mit Anstand und Augenmaß geregelt werden.
Von Christian Gottschalk
Stuttgart. - Scham, Schmerz, Reue. Wenn deutsche Bundespräsidenten unsere Nachbarn in Europa besuchen, spiegeln ihre Reden die ehrlich empfundene Last und Schuld der Vergangenheit. Scham, Schmerz, Reue, das haben Theodor Heuss und Richard von Weizsäcker gezeigt, Johannes Rau und Joachim Gauck. In Polen, in Italien, in Griechenland und an vielen anderen Orten. Auch Frank-Walter Steinmeier bekannte sich jetzt bei seinem Griechenland-Besuch zur deutschen Verantwortung für die Grausamkeiten vor und während des Zweiten Weltkriegs – ein uneingeschränktes, ehrliches Eingeständnis der Schuld. Mehr aber auch nicht.
Das ist zunächst einmal nicht wenig. Im fernen China zum Beispiel blickt man durchaus mit Hochachtung auf die deutsche Form der Vergangenheitsbewältigung. Vergleichbare Kotaus würden die Chinesen auch gerne bei ihren Gegnern im Zweiten Weltkrieg sehen, unter denen sie sehr gelitten haben. Die deutsche Bereitschaft, düstere Kapitel der Vergangenheit zum Thema zu machen – auch wenn es schmerzt – wird als Vorbild gepriesen. In Europa aber mehrt sich die Kritik. Die Deutschen redeten viel, machten aber viel zu wenig, heißt es dann – zum Beispiel in Italien, Polen und in Griechenland. Griechenlands Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou konfrontierte Steinmeier bei seinem Besuch in Athen sogar überraschend deutlich mit Reparationsforderungen.
Nun kann man sich natürlich auf den Standpunkt stellen, über den bei den Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte weitgehend Konsens bestand. Da ist zunächst einmal die Vereinbarung der Londoner Schuldenkonferenz aus dem Jahr 1953. Deutsche Reparationszahlungen sind da nicht ausgeschlossen worden. Sie wurden aber gestundet, bis zu einem Friedensvertrag mit Deutschland. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag aus dem Jahr 1990 erfüllt diese Rolle nur teilweise. Ein Kapitel zu Reparationen wird ausgespart. Ein Teil der deutschen Juristen hält die Frage dennoch für abschließend geklärt, zumal Deutschland freiwillig vielen Länder Geld überwiesen hat. Aber reicht das?
Polen hat mit einer Forderung von 1,3 Billionen Euro die bisher größten Ansprüche geltend gemacht. Je nach Regierung wird das mehr oder weniger offensiv angesprochen. Abhängig von der politischen Großwetterlage wird auch in anderen Ländern wortstark daran erinnert, dass da noch etwas ausstehen könnte. In der jeweiligen Innenpolitik bringt das Ausspielen der antideutschen Karte gelegentlich Vorteile, aus Deutschland kommt regelmäßig ein Abwehrreflex. Verwiesen wird auf zahlreiche bilaterale Verträge und Vereinbarungen und darauf, dass schon sehr viel Geld geflossen ist, wenn auch nicht unter dem Begriff Reparation. Auch Steinmeier betonte, dass Deutschland die Rechtsfrage der Reparationen für völkerrechtlich abgeschlossen halte.
Im nächsten Frühjahr jährt sich zum 80. Mal das Ende der Nazi-Herrschaft in Deutschland. Das ist lange her, – aber aus Sicht der Opferstaaten kein Grund, das Thema zu begraben. Es könnte ein guter Anlass sein, das Thema abschließend einer Regelung zuzuführen, die allen Seiten einen Schlussstrich erlaubt. Dieser kann selbstverständlich nicht im Bereich der 1,3 Billionen Euro liegen, die polnische Experten errechnet haben. Solche Zahlungen würden den deutschen Haushalt in jedem Fall belasten.
Doch eine abschließende Regelung zu aller Zufriedenheit hätte nicht nur für die Opfer und ihre Nachkommen einen Wert. Sie würde Deutschland auch dann gut zu Gesicht stehen, wenn von den Tätern keiner mehr lebt. Scham, Schmerz und Reue werden die Besuche deutscher Politiker ohnehin weiter begleiten.