Zu diesen Frauen schauen wir auf

Zum heutigen Weltfrauentag haben wir uns in der Region umgehört: Welche Vorbilder haben Frauen aus dem Rems-Murr-Kreis heute? Was macht ein Vorbild überhaupt aus? Und wie wichtig sind speziell weibliche Vorbilder für Mädchen und Frauen, aber auch für Jungs und Männer?

Die ehemalige Bahnradsportlerin Kristina Vogel wird von Seniorenvertreterin Irene Baum bewundert. Die zweifache Olympiasiegerin sitzt nach einem schweren Trainingsunfall im Rollstuhl. Seit 2019 ist sie als Stadträtin in Erfurt aktiv. Foto: Imago Images/Annegret Hilse

© imago images/Annegret Hilse

Die ehemalige Bahnradsportlerin Kristina Vogel wird von Seniorenvertreterin Irene Baum bewundert. Die zweifache Olympiasiegerin sitzt nach einem schweren Trainingsunfall im Rollstuhl. Seit 2019 ist sie als Stadträtin in Erfurt aktiv. Foto: Imago Images/Annegret Hilse

Von Melanie Maier und Lorena Greppo

Rems-Murr. Superwoman, Angela Merkel, Marie Curie, Emelie Petz, Greta Thunberg und Beyoncé haben etwas gemeinsam: Sie gelten als Vorbilder. Als Frauen, zu denen andere aufsehen, die bewundert werden. Für das, was sie geleistet haben, oder auch für die Werte, die sie verkörpern. Wer ein Vorbild ist, das ist eine höchst individuelle Frage. Sie hängt vor allem davon ab, was die befragte Person als erstrebenswert oder eben vorbildlich erachtet. Häufig sind es Frauen und Männer, die sportlich, politisch, in der Kunst oder Kultur erfolgreich sind, oder die Errungenschaften in bereits vergangenen Zeiten vorweisen können. Eine pauschale Antwort darauf gibt es natürlich nicht – was die Suche nach dem individuellen Ideal umso interessanter macht.

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Irene Baum, Seniorenvertreterin der Stadt Backnang, hat sich zunächst einmal Gedanken darüber gemacht, was sie unter einem Vorbild versteht. Oft sei das eine Person, die als idealisiertes Muster gilt, deren Denk- und Verhaltensweisen zum Teil sogar übernommen würden. Da sie sich jedoch als eigenständiges Individuum betrachte, habe sie in diesem Sinne keine Person, mit der sie sich voll und ganz identifiziere, erklärt die 65-jährige Backnangerin: „Ich sehe eher die positiven Werte von Menschen aus meinem näheren Umfeld, die ich gut kenne und durch die ich mich beeinflussen lasse.“

Als Beispiel nennt sie eine ehemalige Mitarbeiterin mit drei Kindern, die sich neben dem Beruf um ihren schwerstbehinderten Sohn zu Hause kümmert. „Trotz dieser großen Belastung und ihrer eigenen Krebserkrankung hat sie sich immer ihren Lebensmut erhalten und sogar andere motiviert, das eigene Schicksal mit Optimismus in die Hand zu nehmen“, berichtet Baum. Als weiteres Beispiel führt sie ihre 85-jährige Nachbarin an. „Sie tritt selbstbewusst auf und scheut sich auch nicht, konstruktiv Kritik zu üben. So möchte ich in 20 Jahren sein.“ Aber auch die Menschen, die sich „im Stillen“, wie Baum sagt, bei einem Ehrenamt engagieren, „haben unsere Hochachtung verdient“.

Ein Vorbild, findet Irene Baum, sollte kein Idol sein, wie man es vielleicht in jungen Jahren verehre, sondern „ein Mensch aus Fleisch und Blut, der Werte und Prinzipien verkörpert“. Bewundernswert findet sie etwa die Bahnrad-Olympiasiegerin Kristina Vogel, die nach einem Trainingsunfall 2019 querschnittsgelähmt ist und sich jetzt als Stadträtin von Erfurt politisch engagiert. In jungen Jahren waren aber auch einige Lehrerinnen und Lehrer Vorbilder für sie, erinnert sich die Seniorenvertreterin. „Vor allem diejenigen, die nicht nur den Lehrstoff heruntergebetet haben, sondern die es geschafft haben, die Schüler motivieren.“

Wie wichtig weibliche Vorbilder sind, da ist sich Baum nicht sicher. Einerseits, findet sie, sollte man sein Ideal unabhängig vom Geschlecht wählen. Andererseits ist die Gleichstellung aus ihrer Sicht noch nicht erreicht. „Deshalb ist es manchmal vielleicht schon sinnvoll, genau da einen Schwerpunkt zu setzen. Wir haben momentan noch zu wenige weibliche Persönlichkeiten in Politik und Wirtschaft.“

Jutta Rieger-Ehrmann (zweite von rechts) ist die Vorsitzende des Frauen-Forums in Backnang. Fotos: privat

Jutta Rieger-Ehrmann (zweite von rechts) ist die Vorsitzende des Frauen-Forums in Backnang. Fotos: privat

Jutta Rieger-Ehrmann, Vorsitzende des Frauenforums Backnang, hat die Frage nach ihrem Vorbild „ganz schön kalt erwischt“, räumt sie ein. Konkret habe sie sich darüber bislang keine Gedanken gemacht. Ein Vorbild, sagt sie, müsse nicht unbedingt jemand sein, dem man nacheifert. Sie fände es bei dieser Interpretation nämlich geradezu vermessen, Sophie Scholl als Vorbild zu bezeichnen. „Das ist drei Nummern zu groß. Ich will mir nicht den Kopf abschlagen lassen.“ Ein Vorbild sei Scholl dennoch, insofern dass sie moralisch und ethisch Orientierung bietet. Überhaupt sei für sie ein Vorbild, wer sich für gemeinsame Werte, für Soziales und für andere Menschen einsetzt. Diesbezüglich herausragende Frauen gibt es in der Geschichte wie auch in der Gegenwart in Fülle. „Daher gibt es viele Frauen, die ich bewundere.“ Von der französischen Revolutionärin Olympe de Gouges über Schriftstellerin Bettina von Arnim, Politikerin Clara Zetkin, Malerin Frida Kahlo bis hin zur Journalistin Alice Schwarzer. „Ich würde Schwarzer nicht als ‚mein‘ Vorbild bezeichnen, aber sie ist eine wegbereitende Person für die Frauenbewegung in Deutschland“, beschreibt Rieger-Ehrmann. Sich Gefahr oder auch Häme auszusetzen, „das muss man auch erst aushalten können“. Sie frage sich in solchen Fällen, ob sie selbst dies schaffen würde, wenn auch in kleinerem Rahmen.

Frauen in herausragenden Positionen zu sehen, sei schon im Mädchenalter wichtig, findet die Backnangerin. So könnten sie sehen, dass auch Frauen alle Positionen, Ämter oder Berufe anstreben können. Das sei motivierend und richtungsweisend.

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© Gaby Schneider

Juliana Eusebi, Stadträtin in Backnang, hat sich die Frage nach dem eigenen Vorbild konkret noch nie gestellt, räumt sie ein. „Auf Anhieb wäre mir da auch niemand in den Sinn gekommen“, sagt sie. Außer ihrer Mutter, die sich in vielen Bereichen engagiert habe, obwohl sie alleinerziehend und berufstätig war. Mit ein wenig Zeit zum Nachdenken führt die Backnanger Stadträtin aber noch ein wenig aus, was Vorbilder für sie im Alltag bedeuten. Denn in ihrem Studium der Ernährungswissenschaften habe sie feststellen müssen, dass es noch viele Bereiche gebe, in denen Frauen nicht gleichbehandelt werden. „Gerade im wissenschaftlichen Bereich haben Frauen viel erforscht, aber nicht den Ruhm dafür bekommen“, erklärt sie. Sie sei daher davon abgekommen, sich auf einzelne Personen festlegen zu wollen, sondern sehe allgemein jene Frauen als Vorbild an, die sich dafür einsetzen, Missstände zu beheben, und einstehen für andere Menschen, wenn diese nicht gleichbehandelt werden. Das verstehe sie unter modernem Feminismus. „Es motiviert zu sehen, dass jemand anderes etwas getan hat.“ Das seien oftmals Alltagsbegegnungen. Sie denke da zum Beispiel an eine Frau auf einem Musikfestival, die den Weg für die Rollstuhlfahrerin frei machte – obwohl sie kleiner und zierlicher war als die meisten anderen Besucher. Oder eine Frau, die im Zug Geflüchtete vor einer verbal aggressiven Gruppe in Schutz nahm. „Ich traue mich inzwischen viel öfters selbst, so etwas anzusprechen“, sagt Eusebi auf die Wirkung solcher Vorbilder. Dabei solle man sich nicht auf Fähigkeiten festlegen, die Frauen üblicherweise zugeschrieben werden.

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© Nicole Schielberg

Patrizia Rall, Bürgermeisterin von Allmersbach im Tal, hat sich nach einem ersten Telefonat gezielt Gedanken über Vorbilder gemacht. Doch auch beim zweiten Gespräch kommt die 33-Jährige zum Schluss, keine „richtigen Vorbilder“ oder Menschen, die sie ohne Einschränkungen bewundere, zu haben. „Aber ich habe und hatte Personen, die mich in meinem Leben begleitet und geprägt haben.“

Zum einen sind das ihre Eltern. Sie hätten ihr in der Kindheit und Jugend bestimmte Werte vermittelt – zum Beispiel, „dass man anderen Menschen Wertschätzung entgegenbringt und sie respektiert“, berichtet Rall. Demütig sein, dankbar sein für das, was man hat, aber auch die eigenen Träume zielstrebig verfolgen – auch das hat Rall von ihren Eltern gelernt.

In ihrer beruflichen Laufbahn sind vor allem zwei Männer, die vorbildhaft auf sie gewirkt haben: Norbert Zeidler, der frühere Bürgermeister von Remshalden und heutige Oberbürgermeister der Stadt Biberach an der Riß, und Guido Till, bis 2021 Oberbürgermeister von Göppingen. 2012 absolvierte Rall während ihres Studiums ein Praktikum in der Geschäftsstelle „Gemeinderat und besondere Aufgaben des Bürgermeisters“ in Remshalden. „Ich war sehr beeindruckt davon, wie Norbert Zeidler mit Menschen umgeht“, erzählt sie. „Ohne ihn hätte ich mich nie als persönliche Referentin eines Bürgermeisters beworben.“ Diese Position hatte sie nach ihrem Studium unter Guido Till inne. An ihm habe sie fasziniert, wie er kreative und oft auch ungewöhnliche Lösungen für Probleme gefunden habe. „Er war die Motivation dafür, mich in Allmersbach im Tal als Bürgermeisterin zu bewerben.“

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Erstellt:
8. März 2022, 11:30 Uhr

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