Zuschuss für Flüchtlingsarbeit in Backnang abgelehnt
Der Sozialausschuss des Backnanger Gemeinderats verweigert der Zukunftswerkstatt Rückenwind die finanzielle Unterstützung für die Ausbildung eines Sozialarbeiters. Das kann dazu führen, dass der Verein sein Engagement zurückfahren muss.

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Aref Alizada (links) von der Zukunftswerkstatt Rückenwind baut zusammen mit Soheil Ahmadi ein Insektenhotel. Der Backnanger Verein organisiert zahlreiche Hilfsprojekte für Geflüchtete, insbesondere für Familien. Archivfoto: Alexander Becher
Von Kornelius Fritz
Backnang. Den Verein Zukunftswerkstatt Rückenwind (ZWR) gibt es zwar schon seit 2003, doch erst nach der Flüchtlingskrise 2015 hat die Arbeit so richtig Fahrt aufgenommen. Mit einem Team aus zehn hauptamtlichen und über 60 ehrenamtlichen Kräften kümmert sich der Verein heute vor allem um die Integration von Familien mit Kindern. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Geflüchteten, die einen besonders hohen Betreuungsbedarf haben, weil zu den sprachlichen und kulturellen Hürden noch weitere Probleme hinzukommen, zum Beispiel Behinderungen, psychische Erkrankungen oder Analphabetismus.
Mit verschiedenen Projekten wird diese Zielgruppe gezielt unterstützt. Da gibt es zum Beispiel die sogenannten „Hierseinshelfer“, das sind Ehrenamtliche, die selbst Fluchterfahrung haben und nun ihre Landsleute im Alltag unterstützen. Für die Kinder organisiert der Verein außerdem regelmäßig Ferienprogramme mit bis zu 80 Teilnehmern. Auf einem Privatgelände in Backnang wurde ein „Garten der Vielfalt“ angelegt, in dem die Kinder und Jugendlichen pflanzen und ernten können. In nächster Zeit soll daraus sogar eine kleine Jugendfarm werden. Die Hühner sind schon da, bald sollen Kaninchen folgen.
Insgesamt betreut die Zukunftswerkstatt Rückenwind nach eigenen Angaben mehr als 300 Klienten aus Backnang und den Umlandgemeinden. Finanziert wird die Arbeit über Projektmittel, die der Verein etwa von der „Aktion Mensch“ und verschiedenen Stiftungen eingeworben hat. Daneben unterstützen private Spender den Verein, auch aus der Weihnachtsspendenaktion „BKZ-Leser helfen“ hat die Zukunftswerkstatt mehrfach Geld bekommen.
CDU-Stadträtin Kutteroff:„Da könnte ja jeder kommen“
Wer sich bisher nicht an den Kosten beteiligt, ist die Stadt Backnang. Sie finanziert zwar das Integrationsmanagement durch den Verein Kinder- und Jugendhilfe, die Zukunftswerkstatt ging bisher jedoch leer aus, obwohl der Verein schwerpunktmäßig in Backnang tätig ist und seit Anfang 2021 auch seine Geschäftsstelle in der Schillerstraße hat. Deshalb hat der Verein nun erstmals einen Förderantrag bei der Stadt gestellt. Konkret ging es um die Bezuschussung eines dualen Studienplatzes für eine angehende Sozialarbeiterin oder einen Sozialarbeiter.
„Wir suchen schon seit einem Jahr Verstärkung, finden aber niemanden“, erklärt Hannah Nothstein von der ZWR. Der Arbeitsmarkt ist auch im sozialen Bereich leer gefegt und die Arbeit mit den Geflüchteten ist nicht gerade familienfreundlich. „Wir arbeiten dann, wenn andere frei haben“, erklärt Nothstein, also vor allem in den Ferien, abends und am Wochenende. So entstand der Gedanke, die fehlende Fachkraft selbst auszubilden. Die Projektförderungen decken diese Kosten allerdings nicht ab. So wandten sich die Verantwortlichen an das Amt für Familie, Jugend und Bildung mit der Bitte, 70 Prozent der Ausbildungskosten zu übernehmen, insgesamt rund 30000 Euro, verteilt über vier Jahre.
Der Sozialausschuss möchte keinen Präzedenzfall schaffen
Die Stadtverwaltung hätte diese Förderung auch gerne bewilligt, doch der Sozialausschuss des Gemeinderats erteilte dem Förderantrag nun überraschend eine Absage. Begründung: Die Stadt habe noch nie einen Studien- oder Ausbildungsplatz bei einem Verein finanziert und man wolle keinen Präzedenzfall schaffen. „Es gibt in Backnang viele Vereine, die tolle Arbeit leisten. Da könnte dann ja jeder kommen“, begründete CDU-Stadträtin Sabine Kutteroff ihre ablehnende Haltung.
Einige Stadträte erklärten auch, sie wüssten zu wenig über den Verein und seine Arbeit, und äußerten Zweifel, ob das Geld am Ende überhaupt in Backnang eingesetzt werde. Der Verein hat nämlich auch eine Geschäftsstelle in Stuttgart. Erster Bürgermeister Siegfried Janocha versprach dann zwar, die Verantwortlichen der ZWR in eine der nächsten Ausschusssitzungen einzuladen, abstimmen ließ er aber sofort, mit dem Ergebnis, dass nur zwei Ausschussmitglieder für den Förderantrag stimmten.
Neue Projektideen wandernnun erst mal in die Schublade
Bei Hannah Nothstein und ihren Mitstreitern ist die Enttäuschung über die Ablehnung groß. Sie sagt, sie wäre gerne in die Sitzung gekommen, um die Arbeit des Vereins vorzustellen und die Fragen der Stadträte zu beantworten, allerdings habe sie keine Einladung erhalten. Möglichkeiten, die Zukunftswerkstatt Rückenwind kennenzulernen, hätte es für die Ausschussmitglieder aber auch vorher schon gegeben. „Wir hatten alle zu unserer Märchenwerkstattausstellung eingeladen“, erzählt die Sozialarbeiterin. Die beiden Landtagsabgeordneten Ralf Nentwich (Grüne) und Gernot Gruber (SPD) seien gekommen, von den Stadträten sei hingegen nur SPD-Fraktionschef Heinz Franke aufgetaucht.
Für den Verein und seine Arbeit bedeutet die Ablehnung des Förderantrags einen herben Rückschlag. „Wir mussten bereits Projekte zurückgeben, weil wir sie mit unseren vorhandenen Kapazitäten nicht schaffen“, sagt Hannah Nothstein. Dabei sei der Bedarf durch die vielen Neuankömmlinge aus der Ukraine zuletzt stark gestiegen. Gerne würde der Verein zum Beispiel eine Trauerbegleitung für Familien anbieten, die ein Kind oder einen Angehörigen verloren haben. Diese Pläne wandern nun erst einmal in die Schublade.
Sollte der Verein sein freiwilliges Engagement weiter reduzieren müssen, würde dies wohl auch die Stadt zu spüren bekommen. Denn dann würden die Problemfälle wieder vermehrt beim städtischen Integrationsmanagement landen. „Wir schätzen die Arbeit der Zukunftswerkstatt Rückenwind sehr“, betont auch Regine Wüllenweber, die das Amt für Familie, Jugend und Bildung leitet. „Ohne solche Angebote hätten wir es in den vergangenen Jahren nicht so gut hinbekommen.“
Deshalb will sie die Entscheidung des Sozialausschusses auch nicht als endgültige Absage an eine städtische Förderung verstanden wissen. „Die Ablehnung bezog sich lediglich auf den Zuschussantrag für einen Studienplatz“, sagt die Amtsleiterin. Wüllenweber will die Vertreter der Zukunftswerkstatt Rückenwind noch in diesem Jahr in eine Sitzung des Sozialausschusses einladen, damit sich beide Seiten besser kennenlernen. Anschließend könnte die Frage, wie sich die Stadt an der Integrationsarbeit finanziell beteiligen kann, noch einmal neu diskutiert werden.
Von Kornelius Fritz
Viele haben sich nach der Flüchtlingskrise 2015 in der Integrationsarbeit engagiert, viele haben ihre Arbeit mittlerweile aber auch wieder zurückgefahren oder sogar eingestellt. Ganz anders die Zukunftswerkstatt Rückenwind: Der Verein gehört nicht nur seit Jahren zu den Aktivposten im Raum Backnang, sondern hat sein Engagement auch kontinuierlich ausgebaut.
Davon profitieren die geflüchteten Menschen, aber davon profitiert auch die Stadt Backnang. Denn das von der Stadt finanzierte Integrationsmanagement wird durch die freiwillige Arbeit des Vereins entlastet und die Betreuung der geflüchteten Familien funktioniert in Backnang besser als in vielen anderen Städten. Dass der Sozialausschuss des Gemeinderats nun ausgerechnet diesem Verein 30000 Euro Förderung verwehrt, ist kurzsichtig und unverständlich. Zum Vergleich: Der von SPD-Stadtrat Heinz Franke geleitete Verein Kinder- und Jugendhilfe bekommt für das Integrationsmanagement mehr als 300000 Euro – pro Jahr. Auch viele andere Vereine und Institutionen werden mit Geld aus der Stadtkasse gefördert. Von einem Präzedenzfall kann man hier also wirklich nicht sprechen.
Aber auch die Stadtverwaltung hat sich nicht mit Ruhm bekleckert. Warum wurden die Verantwortlichen des Vereins nicht in die Sitzung eingeladen, um selbst ihre Arbeit zu präsentieren? Vermutlich wäre die Abstimmung dann ganz anders ausgefallen.
k.fritz@bkz.de