Zuspitzung im Corona-Hotspot Sachsen
dpa Berlin. Seit einer Woche gilt der verschärfte Lockdown - nach mehreren Wochen Teil-Lockdown. Aber das Infektionsgeschehen entspannt sich nicht, im Gegenteil. Bayern zieht die Zügel deshalb weiter an, in Sachsen müssen Leichen zwischengelagert werden.

Das Tor zum Krematorium der Städtischen Dienstleistungs-GmbH Zittau Bestattungswesen auf dem Friedhof ist verschlossen. Foto: Daniel Schäfer/dpa-Zentralbild/dpa
In Bayern gilt ab sofort eine strenge Corona-Testpflicht für alle Reiserückkehrer aus Risikogebieten. Spätestens 72 Stunden nach Einreise muss beim Gesundheitsamt ein Testergebnis vorlegt werden.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zeigte sich mit Blick auf internationale Weihnachtsbesuche erfreut über die bayerische Regelung. „Nach allem was ich sehe, finden wieder sehr viele Heimat- und auch Verwandtschaftsbesuche statt in Osteuropa, Balkan, Türkei“, sagte der CDU-Politiker in einem am Dienstagabend ausgestrahlten Interview von RTL/ntv. Man müsse miteinander sehr aufpassen, dass durch die Rückreise nicht „gleich eine neue Welle, ein neuer Impuls entsteht“. „Deswegen bin ich dankbar, dass etwa Bayern heute auch sehr klar noch mal gesagt hat: Die Testpflicht wird auch durch- und umgesetzt.“
Derweil spitzt sich im Corona-Hotspot Sachsen die Situation weiter zu. Wegen der dramatisch hohen Todeszahlen im ostsächsischen Zittau müssen dort Leichen außerhalb des Krematoriums zwischengelagert werden. Die Toten sollen „im Bereich des Hochwasserstützpunkts“ gelagert und „bei Freigabe zur Einäscherung“ ins Krematorium gefahren werden, teilte die Stadt Zittau am Dienstagabend mit. Darauf habe sich die Geschäftsführung des Krematoriums mit Oberbürgermeister Thomas Zenker kurzfristig geeinigt. Am Hochwasserstützpunkt befindet sich eine große Halle, in dem Materialien gelagert werden, die im Fall eines Hochwassers gebraucht würden.
Besonders im Dezember explodierte nach Angaben der Stadt die Zahl der Toten. Während im vergangenen Jahr im Dezember 45 Menschen starben, waren es in diesem Monat bislang schon 115. Die Zahl der notwendigen Einäscherungen übersteige derzeit „mitunter die Kapazitäten des Zittauer Krematoriums“, hieß es. Es gebe deutlich höhere Sterbefallzahlen, mehr Aufnahmegespräche, Leichenschauen und Beurkundungen in den Standesämtern. Alle Beteiligten seien an den „Belastungsgrenzen“.
Oberbürgermeister Zenker erklärte: „Die Kolleginnen in unserem Standesamt haben inzwischen Sonderschichten übernommen, um die anfallenden Sterbefälle ordnungsgemäß zu beurkunden. Wir sind organisatorisch an unseren Leistungsgrenzen angekommen und bitten alle Betroffenen um Verständnis.“ Zittau liegt im äußersten Südosten Sachsens im Dreiländereck Deutschland-Polen-Tschechien. Vor einer Woche hatte ein Arzt aus der Stadt mit Äußerungen über eine sogenannte Triage für Aufsehen gesorgt. Der Begriff bedeutet, dass Mediziner aufgrund von knappen Ressourcen entscheiden müssen, wem sie zuerst helfen.
Sachsen ist seit Wochen mit großem Abstand der Corona-Hostspot in Deutschland. Für sechs der zehn Landkreise im Freistaat meldete das Robert Koch-Institut am Dienstag einen Inzidenzwert von mehr als 500. Der Wert gibt an, wie viele Menschen sich je 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen mit dem Virus infiziert haben. An der Spitze lagen demnach am Dienstag der Landkreis Bautzen (637,5) und Zwickau (620), gefolgt vom Landkreis Görlitz (582,1), in dem Zittau liegt. Bundesweit meldete das RKI für Dienstag eine Inzidenz von 198.
Angesichts der - nicht nur in Sachsen - dramatischen Lage hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier die Bürger aufgerufen, dem Coronavirus zu Weihnachten möglichst wenig Angriffsfläche zu geben. „Das heißt: Genau überlegen, ob man im Einzelfall verantworten kann, liebe Menschen, die man lange nicht gesehen hat, einem beträchtlichen Infektionsrisiko auszusetzen“, sagte der CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. „Dort, wo es nicht unmittelbar geboten ist, sollte man keine langen und weiten Reisen unternehmen und überall dort, wo es Sinn macht, sich auch einmal telefonisch oder per Videoschalte wiedersehen.“
Auch der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung, Andreas Gassen, appellierte mit Blick auf den Lockdown gegenüber der „Rhein-Neckar-Zeitung“ (Mittwoch) an die Menschen: „Er wird nicht in kurzer Zeit zu einem dramatischen Rückgang der Zahlen führen, wenn die Bevölkerung nicht auch in den Bereichen, die vom Lockdown nicht betroffen sind, mitzieht.“
Der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst forderte, an Weihnachten keine Präsenzgottesdienste zuzulassen. „Weil wir wissen, wie leicht sich das Virus gerade bei Gottesdiensten übertragen kann, dürfen wir zu Weihnachten angesichts der hohen Infektionszahlen kein zusätzliches Risiko eingehen“, sagte die Verbandsvorsitzende Ute Teichert den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Mittwoch).
Am Dienstag trat eine - bereits angekündigte - Verordnung in Kraft, die den Verkauf von Silvesterfeuerwerk deutschlandweit untersagt. „Das Verkaufsverbot für Silvesterfeuerwerk schützt unsere Krankenhäuser vor Überlastung“, argumentierte Innenminister Horst Seehofer (CSU). Der Präsident der Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland dazu: „Alles, was zu Silvester nicht passiert, entlastet die Kliniken.“ Aber: „Diejenigen, die sich beim Böllern verletzen, machen in der Regel nicht die hohen Zahlen in den Notaufnahmen aus. Es sorgen eher diejenigen für Krankenhauseinweisungen, die zu viel Alkohol trinken und dann in Streit geraten oder sich in anderer Weise verletzen.“
Indes machen Lehrervertreter wenig Hoffnung auf eine Rückkehr zu einem normalen Schulbetrieb nach den Weihnachtsferien. „Auch wir rechnen nicht damit, dass vollständiger Präsenzunterricht ab dem 11. Januar wieder möglich ist“, sagte der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes Heinz-Peter Meidinger der dpa. Abhängig vom Corona-Infektionsgeschehen werde es weiterhin eine Phase des Wechselunterrichts mit halbierten Klassen, Hybridunterricht oder auch Phasen des reinen Distanzunterrichts geben müssen. Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis Tepe, geht von weiter steigenden Infektionszahlen aus. „Also ist auch zu befürchten, dass es mit dem Wechselunterricht länger dauern wird“, sagte sie der dpa.
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