Zwischen ungehindertem Zugang und Totalverbot

Die Frage, ab welchem Alter Kinder reif für ein Smartphone sind, wird von den Eltern, Ärzten und Experten ganz unterschiedlich bewertet

Die Experten warnen: Zu viel Handykonsum hinterlässt Schäden bei Kindern. Auf der anderen Seite ist da die große Anziehungskraft der Smartphones. Wie gehen Eltern mit dieser Herausforderung um? Eine Befragung zeigt: Die Bandbreite ist groß, vom ungehinderten Zugang bereits im Grundschulalter bis hin zu dem Versuch, das Gerät aus dem Familienleben zu verbannen.

Smartphones üben auf Kinder eine große Anziehungskraft aus. Manche Experten warnen jedoch vor ungehindertem Zugang. Foto: Adobe Stock/Svetabezu

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Smartphones üben auf Kinder eine große Anziehungskraft aus. Manche Experten warnen jedoch vor ungehindertem Zugang. Foto: Adobe Stock/Svetabezu

Von Annette Hohnerlein

BACKNANG. Das Thema Handys in Kinderhand ist emotional aufgeladen und polarisiert. Die Eltern geben zwar gerne Auskunft, möchten aber nicht in der Zeitung genannt werden. Deshalb werden die Namen der Personen, die hier zu Wort kommen, nicht veröffentlicht; sie sind der Redaktion bekannt.

Bei der sechsköpfigen Familie aus dem Raum Backnang spielt das Smartphone praktisch keine Rolle. Zwar hat der älteste Sohn mit 15 Jahren von seinem Vater, der nicht im Haushalt lebt, ein Gerät bekommen. Aber es war von vornherein klar: Das Handy bleibt im Zimmer des Jungen, es ist für seine jüngeren Geschwister tabu, bei den Mahlzeiten hat es nichts zu suchen. „Ich glaube nicht, dass er irgendetwas Sinnvolles mit dem Handy macht. Aber er ist gut in der Schule und macht intensiv Musik. Wenn wir das Gefühl hätten, er gleitet ab, dann würden wir einschreiten“, sagt der Familienvater.

Eltern sollten Handynutzung nur nach festgelegten Regeln erlauben

Mit den jüngeren Geschwistern wollen er und seine Frau es ähnlich handhaben. „Mal sehen, wie lange es durchzuhalten ist. Aber auf keinen Fall unter 15 Jahren“, hat er sich vorgenommen. Denn er ist überzeugt: „Wenn man einem Kind ein Handy gibt, nimmt man ihm Zeit weg. Zeit, die woanders fehlt, wo es wichtiger ist.“ Was er damit meint, wird deutlich, wenn man sich im Wohnraum der Familie umschaut. Ein Angelspiel liegt auf dem Tisch, ein Geigenkasten lehnt an der Wand. Zwischendurch kommt die siebenjährige Tochter herein und zeigt ihrem Papa ein selbst gemaltes Bild.

Anders geht eine Backnanger Familie mit drei Kindern an die Sache heran. Der älteste Sohn bekam von seinem Vater zum neunten Geburtstag ein Smartphone geschenkt – gegen den Willen der Mutter. Aber entgegen ihren Befürchtungen liegt das Gerät – nach anfänglicher Begeisterung – inzwischen meistens ungenutzt herum. „Im Moment ist er draußen und spielt mit seinen Freunden“, erzählt die Frau, „das Handy liegt hier, es ist nicht mal aufgeladen.“ Sie betont, dass ihr Sohn sein Handy hauptsächlich am Wochenende nutzt. Unter der Woche sei er zu beschäftigt mit Schule, Volleyball, Turnen und Theater spielen. Sie ist überzeugt: „Es war zu früh.“ Dass ihr Junge nicht dem Dauerdaddeln mancher Altersgenossen verfallen ist, liege wohl daran, dass die meisten seiner Freunde ebenfalls kein Handy besitzen.

Handy ja, aber nach festgelegten Regeln: So verfährt eine Grundschullehrerin aus dem Raum Backnang mit ihren beiden Kindern. Die zehnjährige Tochter hat ein Notfallhandy, seit sie alleine mit dem Bus fährt. Es ist nicht internetfähig und dient nur zum Telefonieren. Der Sohn bekam mit elf Jahren ein Smartphone geschenkt. Darauf ist die App „Parental Control“ installiert, die die Spielzeit begrenzt und das Herunterladen von nicht altersgemäßen Spielen blockiert. Außerdem erhält der Vater bei jedem heruntergeladenen Spiel eine Meldung auf sein Handy. Als ihr Sohn älter wurde, haben die Eltern die Einschränkungen nach und nach gelockert, erzählt die Mutter. „Aber ab 22 Uhr ist Schluss, weil er sonst die Kurve ins Bett nicht kriegt.“ Wie viel Zeit verbringt der Junge am Smartphone? „Für unseren Geschmack zu viel“, sagt die Pädagogin. „Aber ihm das Gerät permanent wegnehmen, das stresst alle. Wir wollen ihn nicht mehr kontrollieren, er muss irgendwann selbst damit umgehen können. Und solange es in der Schule gut läuft, ist alles okay.“

An ihrem Arbeitsplatz hat die Lehrerin Familien kennengelernt, die mit dem Handykonsum ihrer Kinder sehr freizügig umgehen. „Je niedriger das Bildungsniveau, desto höher der Medienkonsum“, hat sie festgestellt. Es gebe Schüler, die schon bei der Einschulung Smartphones, Tablets und Fernseher zur freien Verfügung haben. „Die sind medienverseucht bis zum Anschlag“, so die Pädagogin, „sie sind total unruhig, können sich nicht lange konzentrieren.“ Bei ihrer Arbeit sieht sie sich in Konkurrenz mit Spielen oder Lern-Apps, bei denen die Kinder mit Geräuschen oder hüpfenden Männchen für Erfolge belohnt werden. „Am besten wäre es, wenn ich juhu schreie und in die Luft springe, wenn jemand eine Aufgabe gut gelöst hat.“

Chef der Kinder- und Jugendärzte fordert: „Kein Handy vor elf Jahren“

Und was sagen Experten zu dem Thema? Der Chef des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, forderte kürzlich in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung: „Kein Handy vor elf Jahren.“ Je länger man die Smartphone-Nutzung hinausschiebe, umso besser sei es für die Kinder. Ein früher Einstieg habe „katastrophale Folgen für die kindliche Entwicklung“.

Das sieht Susanne Grießhaber von der Beratungsstelle für Familien und Jugendliche beim Landratsamt ähnlich. Sie hält ein Handy frühestens für Kinder in weiterführenden Schulen für sinnvoll. Und auch dann müsse es nicht gleich ein Smartphone sein. „Das brauchen die Zehnjährigen noch nicht, auch wenn sie es wollen.“ Sie empfiehlt den Eltern, zusammen mit ihren Kindern genaue Regeln für die Nutzung festzulegen und diese auch durchzusetzen. „Das ist anstrengend, aber es lohnt sich.“ Denn in der Familie sollte es beides geben, Medienleben und analoges Leben. Die Eltern müssten sich für die Handyaktivitäten ihrer Kinder interessieren und mit ihnen im Gespräch bleiben. Und Grießhaber betont: „Eltern sind Vorbilder für ihre Kinder.“

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Erstellt:
10. Januar 2020, 16:00 Uhr

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