Zwischenfazit von Nentwich und Gruber: Gemeinsame Ziele, verschiedene Ideen
Ralf Nentwich (Grüne) und Gernot Gruber (SPD) vertreten beide den Wahlkreis Backnang im Landtag, doch der eine unterstützt die Regierung, der andere die Opposition. Ihr Zwischenfazit zur Halbzeit der Legislaturperiode fällt dementsprechend unterschiedlich aus.

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Gute Stimmung beim Redaktionsgespräch mit grünen und roten Servietten: Ralf Nentwich (links) und Gernot Gruber sind in politischen Fragen nicht immer einer Meinung, verstehen sich aber gut. Foto: Alexander Becher
Von Kornelius Fritz
Backnang. Gernot Gruber ist in der Landespolitik schon ein alter Hase: Seit zwölf Jahren sitzt der 60-Jährige für die SPD im Landtag. Ralf Nentwich (41) ist noch nicht so lange dabei: Ihm gelang es im März 2021 als erstem Grünen-Politiker, das Direktmandat im Wahlkreis Backnang zu gewinnen. Zur Hälfte der fünfjährigen Legislaturperiode haben wir die beiden Abgeordneten zu einem Gespräch in die Redaktion eingeladen und sprachen mit ihnen über...
...den Ausbau der Windkraft
Im Koalitionsvertrag, den Grüne und CDU im Mai 2021 vorstellten, war von 1000 neuen Windrädern bis 2026 die Rede. Mittlerweile hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann diese Zielvorgabe bereits auf 500 halbiert. „Das Problem ist das Bürokratiemonster im Hintergrund“, sagt Ralf Nentwich. Die Genehmigungsverfahren seien zu aufwendig und zeitintensiv. Doch inzwischen sei eine Trendwende gelungen, sagt der Abgeordnete und verweist auf einen neuen Windpark in Sulzbach-Laufen (Kreis Schwäbisch Hall), der in nur acht Monaten umgesetzt wurde. Weitere 400 Windräder seien in Planung.
Gernot Gruber stellt hingegen fest, dass das Land trotz eines grünen Ministerpräsidenten bei der Energiewende großen Nachholbedarf habe: So liege der Anteil regenerativer Energien am Stromverbrauch in Baden-Württemberg nur bei 29,5 Prozent und damit weit unter dem Bundesdurchschnitt von 48 Prozent. Grubers Fazit: „Diese Regierung ist bei den Zielsetzungen besser als in der konkreten Umsetzung.“
...Solaranlagen auf den Dächern
Für neue Gebäude und bei größeren Dachsanierungen ist die Installation einer Fotovoltaikanlage in Baden-Württemberg inzwischen vorgeschrieben. Ralf Nentwich spricht von einer „Notwendigkeit für den Klimaschutz“, auch wenn er weiß, dass die neue Vorschrift das Bauen weiter verteuert. Der 41-Jährige wünscht sich deshalb ein Förderprogramm, insbesondere für junge Familien und für Ältere, die nur noch schwer einen Bankkredit bekommen.
Auch Gernot Gruber findet die Solarpflicht richtig. Zur Entlastung junger Familien schlägt er eine Halbierung der Grunderwerbsteuer für selbst genutzte Immobilien vor. Bei Eigentümern, die sich keine PV-Anlage leisten können oder wollen, könnten auch die örtlichen Stadtwerke als Investor in die Bresche springen. Was Gruber ärgert, ist, dass von rund 8000 landeseigenen Gebäuden nach wie vor nur etwa 220 mit einer PV-Anlage ausgestattet sind. Den vollmundigen Ankündigungen des Ministerpräsidenten seien auch hier bislang wenig Taten gefolgt, kritisiert der SPD-Abgeordnete. Mit den Mitteln, die das Finanzministerium eingeplant habe, könne man bis 2030 höchstens 15 Prozent der Landesimmobilien mit Solaranlagen ausstatten.
...die Mobilität der Zukunft
Landesverkehrsminister Winfried Hermann träumt von einer „Mobilitätsgarantie im Nahverkehr“. Bis 2030 soll selbst das kleinste Dorf im Land von 5 Uhr morgens bis Mitternacht mit Bus und Bahn erreichbar sein. Aber ist das realistisch? Gernot Gruber hat Zweifel und warnt vor falschen Versprechungen. Auch eine Mobilitätsabgabe, die alle bezahlen müssten, egal ob sie den ÖPNV nutzen oder nicht, sieht der SPD-Abgeordnete kritisch: „Das birgt sozialen Sprengstoff“, sagt Gruber. Denn das hieße für ihn, dass die Landbevölkerung den guten Nahverkehr in den Städten mitbezahlt.
Ralf Nentwich ist da zuversichtlicher: Sicher werde es auf dem Land auch künftig nicht ganz ohne Auto gehen, neue Mobilitätskonzepte seien aber auch dort möglich. Nentwich denkt zum Beispiel an selbst fahrende oder On-Demand-Busse, die nur auf Anforderung kommen. Auch beim Carsharing müsse man im ländlichen Raum neue Wege gehen: „Vielleicht braucht man dort keine Kleinwagen, sondern eher einen Traktor und einen VW-Bus“, sagt Nentwich.
...das Niveau an den Schulen
In Sachen Bildung war Baden-Württemberg mal führend, inzwischen steht der Südwesten im Ländervergleich der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ aber nur noch auf Platz sechs. Woran das liegt? Vor allem am Lehrermangel, da sind sich die Abgeordneten einig. Die geplante Einführung einer dualen Lehrerausbildung könne hier der „Gamechanger“ werden, glaubt Ralf Nentwich, der selbst Realschullehrer ist. Mit Blick auf den Fachkräftemangel fordert Gernot Gruber, nicht nur die Hochschulen, sondern auch die betriebliche Ausbildung zu fördern: „Was fehlt, sind ja nicht Soziologen, sondern Facharbeiter.“ Auch bei den Unterrichtsinhalten an den Schulen sehen die Abgeordneten Korrekturbedarf: Gerade an den Grundschulen sollten Basiskompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen wieder stärker im Fokus stehen, findet Ralf Nentwich. Gernot Gruber sieht es ähnlich: „Solche Kernkompetenzen dürfen nicht als altmodisch abgestempelt werden.“
...ihr Verhältnis zur AfD
Neben Ralf Nentwich und Gernot Gruber gelang 2021 im Wahlkreis Backnang auch dem AfD-Kandidaten Daniel Lindenschmid der Einzug in den Landtag. Ralf Nentwich erklärt, sein Kontakt mit dem Kollegen beschränke sich auf höfliches Grüßen: „Er vertritt ein Weltbild, mit dem ich nichts zu tun haben möchte.“ Auch Gernot Gruber behandelt Lindenschmid nach eigenen Worten mit „höflicher Distanz“. Allerdings findet er, dass man nicht alle AfD-Wähler in die rechte Ecke schieben dürfe. „Wir sollten sie nicht nur stigmatisieren, sondern uns der Diskussion mit ihnen stellen“, erklärt Gruber. Außerdem fände er es gut, wenn die etablierten Parteien abweichende Meinungen in den eigenen Reihen zulassen würden. Dass etwa die Grünen den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer loswerden wollten, hält Gruber für einen Fehler: „Das war ein Konjunkturprogramm für die AfD.“
...die Arbeit im Wahlkreis
Ralf Nentwich ist Teil einer Regierungsfraktion, Gernot Gruber gehört im Landtag der Opposition an, doch wenn es um den Wahlkreis Backnang geht, dann ziehen die beiden am selben Strang. Vor Ort setzen sie sich für konkrete Verbesserungen ein, etwa für mehr Pünktlichkeit auf der Murrbahn oder weniger Motorradlärm entlang der Bikerstrecken im Schwäbischen Wald. Auch die Idee, zwischen Backnang und Stuttgart einen Radschnellweg zu bauen, unterstützen beide Abgeordneten. „Wir schätzen uns gegenseitig und ergänzen uns gut“, sagt Ralf Nentwich über die rot-grüne Zusammenarbeit. Gernot Gruber kann das bestätigen: „Hier im Wahlkreis geht es nicht um politische Trennlinien, sondern um Verbesserungen vor Ort.“
Gernot Gruber Der gebürtige Murrhardter ist seit 1982 SPD-Mitglied. Bei der Landtagswahl 2011 eroberte der Diplom-Mathematiker erstmals ein Zweitmandat im Wahlkreis Backnang, 2016 und 2021 wurde er wiedergewählt. Der 60-Jährige ist Sprecher seiner Fraktion für Energie und Klimaschutz.
Ralf Nentwich Bereits in jungen Jahren engagierte sich der gebürtige Backnanger als Bundessprecher der Naturschutzjugend. 2019 wurde der Lehrer in den Murrhardter Gemeinderat gewählt, zwei Jahre später zog er in den Landtag ein. Seine Schwerpunkte sind Ernährung und digitale Bildung.