Auf Kriegsfuß mit der Koordination

Beim Selbstversuch des Sportredakteurs, sich das Sportabzeichen zu krallen, lauert noch ein Fallstrick. Die Suche nach einer machbaren Disziplin in der vierten und letzten Kategorie ist für einen ausgewiesenen Grobmotoriker schwierig.

Ein mehr oder weniger schwungvoller Anlauf, ein halbwegs kraftvoller Absprung und eine viel zu frühe Landung: Steffen Grün zeigt, wie Weitsprung nicht geht. Fotos: Alexander Becher

© Alexander Becher

Ein mehr oder weniger schwungvoller Anlauf, ein halbwegs kraftvoller Absprung und eine viel zu frühe Landung: Steffen Grün zeigt, wie Weitsprung nicht geht. Fotos: Alexander Becher

Von Steffen Grün

Ich spüre förmlich, dass es arg staksig aussieht, wie ich das Springseil über den Kopf hinweg und unter meinen Füßen hindurch schwinge und dabei auch noch im geforderten „Laufschritt ohne Zwischensprung“ unterwegs bin. Das alles im Kopf zusammenzubringen und miteinander zu kombinieren, ohne mit der Nase auf der Tartanbahn des Karl-Euerle-Stadions aufzuschlagen, ist eine Herkulesaufgabe. Zumindest für mich. Umso überraschter bin ich, als es nach einigen tapsigen Versuchen plötzlich einigermaßen ordentlich funktioniert. Wenn auch nur mit höchster Konzentration und einem entsprechend verkniffenen Gesichtsausdruck.

Während andere wohl kein Problem damit hätten, gleich noch die Schwünge mitzuzählen, muss ich mich auf Nicole Mehl verlassen. „38“, sagt die Prüferin der TSG Backnang 1846, als ich dann doch am Seil hängenbleibe und mit bangem Blick zu ihr schaue. Das ist richtig bitter. 40 Schwünge hätten gereicht, um mit der Koordination auch die von mir mit Abstand gefürchtetste der vier Kategorien abzudecken, in denen für das Sportabzeichen jeweils eine Disziplin zu meistern ist. Dass es zumindest in diesem Bereich nur den Bronzewert bedeutet hätte, wäre mir völlig egal gewesen.

„Das könnte schon noch etwas werden“, muntert mich Nicole Mehl auf, die mit ihrer sympathischen Hartnäckigkeit überhaupt erst dafür gesorgt hat, dass ich mich zum ersten Mal seit meinem Abitur vor rund einem Vierteljahrhundert wieder der Leichtathletik widme. Um die Werbetrommel für ihr Herzensanliegen zu rühren, hatte sie seit längerer Zeit unter anderem diese Idee: Einen, der ständig über Sport schreibt, aber eben vor allem Theoretiker ist, einem Praxistest zu unterziehen. Mich, ausgerechnet. Einen Meister der Ausreden, wenn es um seine eigenen sportlichen Aktivitäten geht. In den Vorjahren hatte ich mich noch herausgewunden, indem ich in Artikeln übers Deutsche Sportabzeichen andere, in meinen Augen auch geeignetere Protagonisten in den Vordergrund rückte. Nun war ich mit meinem Latein aber am Ende und sagte zu.

Beim Standweitsprung reicht es immerhin für die Bronzeweite

„Du bist schon warm, habe ich gehört.“ Mit diesen Worten empfängt mich Nicole Mehl zum ersten Trainings- und Prüfungsabend. Weil sie dabei so wissend grinst, ahne ich, dass der Fotograf bereits ausgeplaudert hat, dass ich direkt vom Reha-Sport komme. Dort bin ich, weil mein Rücken als Mittvierziger zwickt und zwackt. Als Ausrede taugt aber auch das nicht, denn Bewegung tut grundsätzlich gut. Ob das jedoch auch für den Standweitsprung gilt, der eine Option in der Kategorie Kraft darstellt? Ich probiere es aus, schwinge mehrmals die Arme durch und hüpfe in die Sandgrube. „Elegant nach hinten gekippt“, kommentiert die Expertin den ersten Versuch: „Sonst hättest du es geschafft.“ Nicht etwa die 2,05 Meter, die es für einen 45-Jährigen für Gold sein müssen, aber immerhin die 1,45 Meter für Bronze sind in Reichweite. Im zweiten und dritten Anlauf bin ich jeweils fünf Zentimeter drüber. Eine Punktlandung also, denn mehr als drei zählende Versuche pro Disziplin sind an einem Abend nicht erlaubt.

Die Anforderungen an einen 45-Jährigen wie Sportredakteur Steffen Grün. BKZ-Grafik: Sindy Koch

Die Anforderungen an einen 45-Jährigen wie Sportredakteur Steffen Grün. BKZ-Grafik: Sindy Koch

„Es ist Breitensport“, betont TSG-Prüfer Ulrich Rauscher: „Wir freuen uns, wenn die Leute mitmachen.“ Das bedeutet, dass die Weiten und Zeiten im Zweifel nicht auf den Zentimeter oder die Hundertstel exakt gemessen werden, aber verschenkt werden die Sportabzeichen auch keinesfalls. Zu wenig ist zu wenig, dann werden auch nicht gleich beide Augen zugedrückt. Für mich bedeutet das, dass der Weitsprung als erfolgversprechende Disziplin bei der Koordination wegfällt. Probiert habe ich es vor allem, weil es Alexander Becher für ein reizvolles Fotomotiv hielt. „Kein zu weiter Anlauf“, rät mir Nicole Mehl augenzwinkernd, „sonst bist du beim Absprung bereits müde.“ Etwas anderes kristallisiert sich aber als Hauptproblem heraus: Mit dem Fokus auf den Holzbalken, an dem die Flugphase begonnen soll, geraten meine Beine beim Sprint aus dem Takt. Etwas mehr als drei Meter sind das Weiteste, da fehlt sogar zu Bronze noch ein gutes Stück. Dass die elfjährige Evi nach mir bei 3,44 Metern landet, sagt eigentlich alles.

Für die Koordinationsdisziplin bleibt Zeit bis zum Saisonende im Spätsommer

Den zwei Kilogramm schweren Medizinball so weit über den Rasen zu werfen, dass Besseres als beim Standweitsprung herauskommt, bleibt eine Illusion. Wichtiger wäre es, den nur die Hälfte wiegenden Schleuderball so durchs Stadion zu jagen, dass bei der Koordination mal etwas zu notieren wäre. Ein frommer Wunsch. Angesichts der für einen Grobmotoriker alles andere als simplen Technik bin ich schon froh, dass ich das Teil nicht nach hinten werfe. Von den minimalen 27 Metern in die richtige Richtung bleibe ich weit entfernt. Mal steigt der Ball sofort hoch in die Luft und fällt wie ein Stein rasch wieder runter, mal saust er nur Zentimeter über das Gras. Und dann ruft auch noch der Fotograf: „Ich habe gerade die Goldweite im Kugelstoßen geschafft.“ Na danke auch für diesen Motivationsschub.

Der Schleuderball, der ein Kilogramm wiegt, fliegt – und das sogar in die richtige Richtung. Das ist doch mal ein Anfang.

© Alexander Becher

Der Schleuderball, der ein Kilogramm wiegt, fliegt – und das sogar in die richtige Richtung. Das ist doch mal ein Anfang.

„Von Vorteil wäre, wenn du Walzer tanzen könntest“, meint Gernot Langer vom Prüferteam lachend. Kann ich aber nicht, also wird das nix. Mir bleibt bei der Koordination nur die Hoffnung, bis zum Ende der Sportabzeichensaison im Spätsommer wenigstens die 40 Schwünge beim Seilspringen zu schaffen. Im Hallen- oder Freibad den Nachweis zu erbringen, schwimmen zu können, und sich das von einem Schwimmmeister bestätigen zu lassen, ist Formsache. Und was trotz meiner üblichen Pause nach dem Backnanger Silvesterlauf gut geklappt hat, sind die Laufdisziplinen. 16:50 Minuten über 3000 Meter bedeuten Silber in der Kategorie Ausdauer und für Gold fehlen nur 20 Sekunden. 9,30 Sekunden über 50 Meter reichen für Bronze bei der Schnelligkeit. Mein Fazit: Das Sportabzeichen macht mir Spaß, selbst wenn es mal staksig aussieht.

Informationen Alles, was rund um das Breitensportangebot schlechthin wissenswert ist, kann jederzeit im Internet unter www.deutsches-sportabzeichen.de nachgelesen werden. Welche Sportabzeichentreffs gibt es in der Region? Wie sehen die Leistungsanforderungen für Frauen und Männer, Mädchen und Jungen in den verschiedenen Altersklassen aus? Was gilt für Menschen mit Behinderung? Diese und andere Fragen werden ausführlich beantwortet.
Das Deutsche Sportabzeichen in den Vereinen aus der Umgebung

TSG Backnang 1846 Das Prüferteam steht seit 1. Mai und noch bis 18. September jeden Mittwoch von 18.30 Uhr bis 20 Uhr im Karl-Euerle-Stadion parat. Dort werden die Leichtathletikdisziplinen angeboten, mit denen die verlangten Leistungen in den vier Kategorien Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit und Koordination abgedeckt werden können. Alle weiteren Infos gibt es unter www.tsg1846.de/pages/ sportabzeichen.

TV Murrhardt Im Trauzenbachstadion ist der Trainings- und Prüfungstag bis zum 9. September stets der Montag jeweils ab 17.45 Uhr. Los geht es mit dem gemeinsamen Warmmachen, danach können immer alle Laufdisziplinen und das Seilspringen absolviert werden. Nur im wöchentlichen Wechsel ist es möglich, die Wurf- und Sprungdisziplinen abzuhaken. Die Details sind unter www.tvmurrhardt.de/sportabzeichen.html zu finden.

LG Weissacher Tal Jeden Mittwoch von 18 bis 20 Uhr ist das Prüferteam um Gottlob Haas im Stadion beim Bildungszentrum bis wohl Ende September im Einsatz. Das gilt für die Leichtathletik, „alles andere erfordert eine individuelle Absprache“. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.lg-weissacher-tal.de.

SG Sonnenhof Turn&Sport Der Sportplatz der Conrad-Weiser-Schule in Großaspach ist jeden Dienstag bis Ende Juli von 18.30 bis 19.30 Uhr der Treffpunkt. Von 20 bis 22 Uhr steht zudem ein Drittel der Mühlfeldhalle zur Verfügung. Weiteres unter www.sgsts.de.

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Erstellt:
18. Juni 2024, 10:38 Uhr

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