Der Gang in die Fremde ist fast schon Pflicht
Serie Talente suchen, finden, fördern (Folge 6) Wer in Sportarten wie dem Volleyball an die Spitze will, wechselt sehr oft in jungen Jahren an einen Bundesstützpunkt. Trainer Jörg Ahmann nennt die Vorbereitung der Talente auf die Belastungen des Leistungssports als einen der Gründe.
Von Uwe Flegel
Jörg Ahmann ist überzeugt, dass „in unserer Sportart für wirklich gute Athleten das Stützpunktsystem das richtige ist“. Dabei hat es der mittlerweile 55-jährige Trainer des Olympiastützpunkts Stuttgart selbst einst außerhalb des Systems unter anderem zu Olympiabronze mit Partner Axel Hager im Beachvolleyball und zum langjährigen Erstliga-Spieler in der Halle gebracht. Für den gebürtigen Grevenbroicher ist das aber kein Widerspruch: „Das war eine andere Zeit.“ Eine, in der einer wie er mehrere Ballsportarten parallel spielte und erst als 14-Jähriger zum Volleyball kam. Zu fünf deutschen Meistertiteln, Rang drei bei den Olympischen Spielen in Sydney (2000) sowie zu Silber und Bronze bei den Europameisterschaften in Pescara (1996) und Almeria (1994) reichte es trotzdem noch.
Dennoch sagt Ahmann nun mehr als zwei Jahrzehnte später: „An dem vom Volleyballverband eingeschlagenen Weg geht nichts vorbei.“ Und der besagt, dass in Baden-Württemberg den hoch talentierten Jugendauswahlspielern empfohlen wird, sich den Bundesstützpunktteams in Stuttgart (weiblich) und Friedrichshafen (männlich) anzuschließen. Angegliedert an die dortigen Bundesliga-Spitzenklubs Allianz MTV Stuttgart und VfB Friedrichshafen sammeln die manchmal erst 14-Jährigen dann zum Teil bereits in den Zweitliga-Teams beider Vereine Erfahrungen im Aktivenbereich.
Für den Nachwuchs ein tolles Erlebnis, für deren Heimatklubs, wie auch in anderen Sportarten wie dem Turnen, ein herber Verlust. Fürs Volleyball relativiert Ahmann aber: „Theoretisch gehen die Talente ihren Vereinen nicht ganz verloren. Sie dürfen dort weiter in den Nachwuchsmannschaften spielen.“ Nur eben bei den Frauen und Männern nicht. So wie Jennifer Faber, Kim Prade oder die mittlerweile wieder zu den TSG-Volleyballerinnen zurückgekehrte Iva Maglica in den vergangenen Jahren.
Ahmann weiß um die nicht immer einfache Situation, kennt er doch nicht nur die Verbands-, sondern auch die Vereinsseite. Bis zu dieser Runde war er für die Oberliga-Männer des TSV Schmiden zuständig und ist dort als Jugendcoach immer noch am Ball. Hinzu kommt, dass sein Sohn Mika vergangenen Sommer den Schritt von Schmiden nach Friedrichshafen gewagt hat. Der einstige Weltklasse-Beachvolleyballer ist überzeugt: „In Sachen Quantität und Qualität des Trainings kann ein Verein das nicht leisten, was ein Stützpunkt bietet. Zudem muss ein Jugendlicher auf die Belastungen des Leistungssports vernünftig vorbereitet werden.“ Hinzu kommt, dass sich an solchen Eliteeinrichtungen das tägliche Training und die Schule besser verzahnen lassen, denn das sei schon ein riesiger Aufwand, so der 55-Jährige, der aber auch sagt: „Die Mitarbeiter eines Stützpunkts müssen wissen, dass sie die Verantwortung haben, eine Art Elternfunktion einzunehmen.“
Der Gang nach Friedrichshafen war für Yannick Harms der richtige Schritt
Ein Satz, den der Backnanger Yannick Harms vermutlich unterschreiben würde. Vor nicht ganz zwölf Jahren war der nunmehr 28-Jährige des Volleyballs wegen nach Friedrichshafen gegangen, war in der Halle in der Ersten und Zweiten Bundesliga am Ball und wurde Beach-Nationalspieler. Sein Fazit: „Für mich hat es Sinn gemacht.“ Schließlich hatte er schon als Jugendlicher bei der TSG sein außergewöhnliches Talent gezeigt und war als 14- sowie als 15-Jähriger mit Backnangs Männerteam binnen zwei Jahren von der A-Klasse über die Bezirks- in die Landesliga aufgestiegen.
Am Bodensee lief für ihn dann „alles immer reibungslos und von der Volleyballseite her war es auf jeden Fall die richtige Entscheidung“. Positiv war für ihn, dass er in der Fremde nicht in einem Internat, sondern bei einer Gastfamilie lebte. Wohl auch deshalb entschied sich sein zwei Jahre jüngerer Bruder Manuel zwei Jahre später für denselben Schritt und brachte es in der Halle sowie als Beachvolleyballer ebenfalls zu beachtlichen Erfolgen.
Dennoch sagt Yannick Harms zur Stützpunktgeschichte: „Bei mir war’s richtig und es ist sehr oft auch die bessere Möglichkeit, jedoch nicht immer.“ Als Beispiel nennt er seinen einstigen Mitspieler im Junioren-Nationalteam Jan Zimmermann, der in der Jugend beim TV Rottenburg blieb und es als Zuspieler trotzdem ins deutsche Nationalteam und in die erste italienische Liga geschafft hat. Deshalb urteilt der Backnanger: „Ich denke, dass man immer jeden Fall einzeln sehen und dass die Entscheidung vor allem für den Spieler passen muss.“
So wie bei ihm vor rund fünf Jahren, als er vom Olympiastützpunkt in Stuttgart zum Olympiastützpunkt nach Hamburg wechseln musste, um den Status eines Beachvolleyball-Nationalspielers zu genießen. Dabei war Stuttgart für ihn „eine fast ideale Sache, waren doch die Wege kurz und die Trainingsbedingungen sehr gut“. Doch der Verband hatte entschieden, dass alle Männer-Nationalteams in Hamburg stationiert sein müssen. Die Zentralisierung kam nicht überall gut an. Yannick Harms ließen die Diskussionen allerdings kalt. „Ich habe mir da nicht so viele Gedanken gemacht“, erzählt er und ist rückblickend überzeugt: „In meinem konkreten Fall war es das Beste.“ So wie das Stützpunktsystem im Volleyball eben offenbar nicht für alle, aber eben für die allermeisten das richtige ist.
Folge 1: „Leistungssport ist harte Arbeit“
Folge 2:Ein klares Konzept und nicht das Prinzip Zufall
Folge 3: Die einzig richtige Erfolgsformel gibt’s nicht
Folge 4: Ohne Ehrgeiz und Disziplin geht nichts
Folge 5: Erste Schritte auf dem Weg nach oben
In der Serie Talente suchen, finden, fördern berichten wir, was es braucht, um es vom kleinen zum großen Sportler zu bringen. Unter anderem geht’s um Sichtung und Training in Vereinen und Verbänden sowie vor allem um den langen Weg nach ganz oben.