Ein klares Konzept und nicht das Prinzip Zufall
Serie Talente suchen, finden, fördern (Folge 2) Verbände investieren viel Zeit, Personal und Kapital, um beim Nachwuchs von Anfang an alles im Blick zu haben.
Von Steffen Grün
Das Prinzip Zufall kommt schon mal vor, wenn es darum geht aus einem kleinen Sportler einen Olympiasieger zu machen. Dabei tun die Sportverbände sehr, sehr viel, um solche Überraschungen auszuschließen. Sie investieren reichlich Zeit, Personal und auch Kapital, um selbst im hintersten Winkel des Landes die Talente zu finden. Wie das und wie dann auch die anschließende Förderung und Begleitung funktioniert, sollen die Fuß- sowie Handballer und die Leichtathletik als Beispiele zeigen.
Württembergischer Fußballverband (WFV): Frauen und Männer im Undercovereinsatz, die ihre Mission für sich behalten – so stellen sich wohl viele die Talentspäher vor, die nach den Stars von morgen suchen. Im Dienste der Vereine mag das manchmal so sein, für den Verband widerspricht Florian Frentz. Für den WFV schwärmen „keine Scouts im Trenchcoat“ aus, betont der Abteilungsleiter Qualifizierung und Leistungssport und schmunzelt. Die Späher sollen aus ihrem Tun kein Geheimnis machen, sondern sich zu erkennen geben – zumal die Sichtungen ein klares Muster haben.
In der U 11 und damit im ältesten E-Jugend-Jahrgang geht’s los. Die Mädchen und Jungen werden zum Beispiel bei Hallenbezirksmeisterschaften beobachtet. Das bietet sich an, weil vor der Pandemie an diesem Wettbewerb fast alle Klubs teilnahmen. Im Frühjahr folgt der Tag des Talents, zu dem die Vereine ihrerseits die Spieler schicken können, denen sie viel zutrauen. Wer’s dann in die Notizblöcke der Späher geschafft hat, wird in der U 12 und damit im ersten D-Jugend-Jahrgang vielleicht für das wöchentliche Zusatztraining an einem der 22 DFB-Stützpunkte in Württemberg nominiert.
Zu den Orten, an denen sich jeweils 30 Kinder treffen, gehört unter anderem Waiblingen, für die Mädchen gibt es zudem noch zwölf Talentfördergruppen im WFV-Gebiet. An allen Stützpunkten kümmern sich in der Regel fünf vom DFB bezahlte Honorartrainer um die Talente. „Jeder ist für bestimmte Vereine zuständig“, erläutert Steffen Sekler, Teamleiter der Verbandssportlehrer. So ist auch der ländliche Raum abgedeckt, denn: „Es soll flächendeckend gesichtet werden und nicht nur in den Großvereinen.“
Von der U 12 bis zur U 15 bilden die DFB-Stützpunkte eine Säule. Ab der U 13 werden aus ganz Württemberg die etwa 80 Besten pro Jahrgang zur Sichtung in Ruit zusammengezogen. Das ist aber kein geschlossener Kreis. Manche stoßen später dazu, andere verabschieden sich wieder. „Aus diesem Pool rekrutieren wir die WFV-Auswahlkader“, verrät Sekler. Die gibt es bis hinauf in die U 19 und damit bis zum Übergang zu den Aktiven, „ab der U 14 stellen wir unsere größten Talente beim DFB vor“. Der WFV-Nachwuchs versucht dann, sich beim Länderpokal und bei Sichtungsturnieren zu behaupten. Nur die Besten der Besten kommen irgendwann ganz oben an.
Württembergischer Leichtathletikverband (WLV): Die landauf, landab stattfindenden VR-Talentiaden sind als Schulsichtungs- und Teamwettbewerb der Einstieg in die Talentfindung. Das dezentrale Konzept steht und fällt mit den Vereinen, die sich etwa um die Kooperationen mit den Schulen kümmern. Was danach in Sachen Talentförderung passiert, erklärt Christian Hummel, der bei der Leichtathletik Baden-Württemberg (eine gemeinnützige Gesellschaft des WLV mit dem Badischen Leichtathletikverband) als Teamleiter für die Jugendarbeit zuständig ist. In guten Jahren werden etwa 200 Jungen und Mädchen der Altersklasse 13 (2021 also der Jahrgang 2008) zu den Talentsportfesten in Stuttgart und Mannheim eingeladen. Zum einen anhand der Wettkampfresultate, „die als Richtwerte dienen“, so Hummel, zum anderen auf Empfehlung von Klubtrainern sowie Talentfördergruppen- und Talentstützpunktleitern. Mit diesem Wissen und ergänzt um die Werte aus dem Sechskampf beim Talentsportfest – unter anderem stehen ein 30-Meter-Sprint mit fliegendem Start, mehrere Würfe, Stöße und Sprünge sowie ein 800-Meter-Lauf an – werden etwa 120 Jugendliche zu zweitägigen Sichtungslehrgängen an die Landessportschule in Albstadt eingeladen, wo sie von Landestrainern auch hinsichtlich ihrer körperlichen Entwicklung und der koordinativen Fähigkeiten in Augenschein genommen werden.
„Danach legen wir den Talentkader fürs kommende Jahr fest“, sagt Hummel. Er umfasst 50 bis 55 Mädels und Jungs, die wiederum im Januar, März und Mai zu Lehrgängen nach Albstadt oder ins badische Steinbach gebeten werden. Damit der dezentrale Ansatz nicht verloren geht, wird dem Nachwuchs aus den Talent- und Regionalkadern zudem an 15 Stützpunkten im Ländle (für die Region in Stuttgart) ein wöchentliches Training als Ergänzung zum Verein angeboten. „Das ist die früheste Förderstufe, die wir regelmäßig leisten können“, betont Hummel. Einen Landeskader mit klarer Orientierung auf einzelne Disziplinen gibt es ab der Altersklasse 14 (derzeit der Jahrgang 2007) bis zur U 23. Die Bundeskader kommen für die ab 16-Jährigen dazu.
Baden-Württembergs Leichtathleten sehen sich in ihrem Konzept bestätigt. Unter anderem, weil sie in den deutschen Bestenlisten und in den Junioren-Nationalteams überproportional vertreten sind.
Handballverband Württemberg (HVW): Auch im Handball geht es „in der E-Jugend mit der VR-Talentiade in unseren acht Bezirken los“, erklärt Landestrainer Nico Kiener. Vor allem auf koordinative und handballerische Qualitäten wird geachtet, um die Kandidaten für Bezirksförderkader zu finden. Eine weitere Möglichkeit dort hinzukommen seien gute Leistungen im normalen Spielbetrieb, so der 42-jährige Ex-Zweitliga-Handballer. Am Ende sind es je 20 Mädchen und Jungs, die den Bezirkskader bilden und jeden Samstag ein rund zweistündiges Zusatztraining erhalten.
Bei einer Sichtungsveranstaltung mit allen acht Bezirken werden dann ein Jahr später die zumeist elfjährigen Talente für die Landeskader ausgewählt. Gefragt sind Koordination, Kondition und handballerische Klasse – sicher aber auch Größe. Im März 2022 ist der Jahrgang 2010 an der Reihe, diese Fähigkeiten zu beweisen. Wer den Sprung zum HVW nicht schafft, kommt noch ein Jahr in den Genuss der Bezirksförderung und der sich anschließenden Nachsichtung. Danach ist Schluss, wobei Kiener weiß, dass es durchaus Spieler gibt, die sich erst später entwickeln. Sie müssen eben dann über Empfehlungen und Scouting im regulären Spielbetrieb gefunden werden.
Für die, die den Verbandstrainern sofort ins Auge gestochen sind, stehen danach alle zwei Monate zweitägige Lehrgänge an der Sportschule in Albstadt an. Zudem gibt es in sogenannten sportbetonten Schulen ein- bis zweimal pro Woche (je nach Alter) zusätzliche Übungseinheiten.
Von der Verbands- in die DHB-Auswahl geht es über drei auf ganz Deutschland verteilte Sichtungstermine. Hier wird es für die Jahrgänge 2006 (Jungs) und 2007 (Mädchen) in zwei Monaten ernst. Und auch hier gibt es für die, die es nicht gleich schaffen, ein Jahr später noch eine zweite Chance, in Form des Deutschland-Cups. Beim Turnier aller deutschen Landesverbände spielt aber keine HVW-Auswahl, sondern ein gemeinsames Team der Württemberger und der zwei badischen Verbände. „Danach sind die zentralen Maßnahmen beendet“, erzählt Kiener, weiß aber: „Es gibt immer wieder Quereinsteiger, die’s später noch schaffen.“
Wobei die Trainer des Handballverbands offenbar ein gutes Auge für die richtigen Talente haben. In den Bundesligen der Frauen und Männer finden sich nicht nur je drei württembergische Klubs, sondern auch überdurchschnittlich viele Spielerinnen und Spieler mit HVW-Vergangenheit.
In der Serie Talente suchen, finden, fördern berichten wir, was es braucht, um es vom kleinen Steppke zum großen Sportler zu bringen. Dabei geht es unter anderem um Sichtung und Training in Vereinen und Verbänden, um den langen Weg nach ganz oben.