Alice Musiol in der Galerie der Stadt Backnang
Die Galerie der Stadt Backnang zeigt ab heute Installationen, Objekte und Grafiken der Kölner Künstlerin Alice Musiol. In ihren Arbeiten arrangiert sie alltägliche Gegenstände vom Gymnastikreif bis hin zu Versandkartons zu Gebilden, die vielfältige Assoziationen wecken.
Von Kai Wieland
Backnang. Ob Marmorstatue, Ölgemälde oder Stahlfigur, Kunstwerken haftet oftmals eine Anmutung von Ewigkeit oder zumindest Langlebigkeit an. Über die Rauminstallationen von Alice Musiol lässt sich das kaum behaupten. „Mein Gedanke ist, dass ich etwas für den Augenblick aufbaue, was im nächsten Moment schon wieder verschwinden kann.“ Die flüchtigen Werke der 1971 im polnischen Katowice geborenen Künstlerin sind ab heute Abend (siehe Info am Textende) in der Ausstellung „Shift“ in der Galerie der Stadt Backnang zu sehen.
„Shift“, also Veränderung oder Verschiebung, ist dann auch Programm. Alice Musiol arbeitet bei ihren Installationen, die den Großteil der Ausstellung bilden, nämlich bevorzugt mit alltäglichen Gegenständen wie Versandkartons, Streichholzschachteln oder Partydekoration, die sie effektvoll arrangiert und dabei bisweilen völlig von ihrem eigentlichen Zweck entfremdet.
Das Herzstück der Ausstellung findet man einmal mehr im Chor, wo kunstvoll ineinandergesteckte Gymnastikreifen aus Holz sich zu mehreren Meter hohen Gebilden türmen. Die Reifen, eigentlich für den Leistungssport gedacht und jeweils rund 300 Gramm schwer, funktionieren dabei im Grunde wie Steckmodule, bei denen immer fünf von ihnen ein Stockwerk bilden. Das Werk trägt den Titel „Körper“ und es sei einer der Gründe gewesen, weswegen Martin Schick die in Köln lebende Künstlerin nach Backnang einlud – tatsächlich spricht die Wirkung der Installation im ehrwürdigen Chor der Galerie für sich.
Spielerischer Ansatz mit ernsten Motiven
„Es könnte auch ein Phallus sein“, öffnet Musiol beim Begehen des Chors den Interpretationsspielraum. Was auf den ersten Blick so spielerisch wirkt, hat durchaus eine ernste Komponente. „Türme sind immer Demonstrationen von Macht. Die ist aber oftmals sehr fragil“, erklärt sie. Schließlich sei es nur eine Illusion von Volumen, wenn aus rund 51 flachen Reifen ein mehrere Meter hohes Objekt erwachse. „Es geht nie nur um eine Form“, erklärt Galerieleiter Martin Schick ergänzend, „sondern immer auch um Assoziationen, um das, was mitschwingt.“
Während bei „Körper“ aus im Grunde zweidimensionalen Gegenständen eine dreidimensionale Figur erwächst, findet im Raum nebenan gewissermaßen die Gegenbewegung – Stichwort „Shift“ – dazu statt. Die Module eines rund 100 Jahre alten hölzernen Faltboots mit Segeln für zwei Personen, eigentlich also ein dreidimensionales Objekt, bilden eine auf dem Boden ausgebreitete flache Collage, das Boot ist bloß noch an den beiden Rudern zu erkennen. Der eigentliche Zweck des Objekts wird dadurch verfremdet. „Ich stelle mir immer wieder die Frage, wie flexibel ein Objekt sein kann“, erklärt Musiol.
Arbeit mit Modulen
Spätestens an diesem Punkt ist klar, dass die Arbeit mit Modulen, die zusammengesteckt und erweitert oder reduziert werden können, das Interesse der Künstlerin geweckt hat. Die Arbeitsweise setzt sich im Werk „Bruder“ fort, welches aus zwölf an der Wand hängenden Oktagonen aus Holz besteht und das Thema Verwandtschaft durch Formen aufgreift. Die Form des Oktagons sei sehr universell, erklärt die Künstlerin, beispielsweise komme es häufig in der Architektur vor. „Übrigens auch hier im Stadtturm“, untermauert Martin Schick beiläufig das Argument. Auch ein auf dem Boden liegender Teppich wiederholt die Form in seinem Muster.
Weitere Themen
An der angrenzenden Wand eine weitere Verwandtschaft, diesmal in der Zahl: Zwölf Gymnastikringe – eine Ziffer, die etwa mit Blick auf die Monate oder die Jünger Jesu ebenfalls fast zum Assoziieren zwingt – hängen verbunden durch Gurte in zwei Sechserreihen dort. Dass einer von ihnen größer ist als der Rest, bemerkt man erst durch einen subtilen Hinweis: Im Gegensatz zu den braunen Verbindungsgurten zwischen den anderen Ringen sind die des „großen Bruders“ rot. „Das veranschaulicht Anpassung“, erklärt Musiol.
In den Räumen zwischen den einzelnen Modulen entstehen indessen Karos und andere geometrische Formen. „Muster beruhigen ja auch. Wenn etwas gleichmäßig ist, vermittelt das Ordnung“, so Musiol.
Eine Partyszenerie als Gedankenanstoß
Einen harten Kontrast dazu bildet der Raum unmittelbar darüber. Unzählige Girlanden und andere Partydekore, teilweise von der Künstlerin selbst gebastelt, hängen hier von der Decke, auf dem Boden verstreutes Konfetti, dazwischen das eine oder andere Partyhütchen. So könne es aussehen, wenn man aus der Ordnung ausbricht, sagt Musiol und betont, dass für diese raumfüllende Installation bloß etwas Papier und Schnur notwendig gewesen seien. „Im Grunde passt sie problemlos in einen Karton.“ Das veranschauliche bereits das Flüchtige an diesem Moment des Feierns, der darüber hinaus sehr unklar sei. „Was ist das überhaupt für eine Szenerie?“, fragt die Künstlerin. „Wurde hier bereits gefeiert? Wurde die Feier unterbrochen? Oder findet sie erst noch statt?“ Hier gehe es darum, beim Betrachter einfach auch mal eine unmittelbare Emotion zu wecken, im Weiteren dann aber auch durchaus ernste Fragen aufzuwerfen. „Habe ich in meinem Leben genug gefeiert? Welche Menschen würde ich gerne mal wieder um mich haben? Für manche ist es vielleicht auch eine Art Therapieraum.“
Eine dieser Fragen könnte lauten: „Why do some people enjoy life and others don’t?“ („Warum genießen manche Menschen das Leben und andere nicht?“) Man findet sie jedoch ein Stockwerk weiter oben als Teil einer textilen Objektserie. Drei Sinnfragen, auf die Musiol im Internet gestoßen ist, bestehend jeweils aus neun Worten und einem Fragezeichen, hat sie mit Samtbändern auf Velours formuliert, jeder Buchstabe besteht aus einem Stück Band. „Man kann hier stehen und so ganz ohne Hilfestellung darüber philosophieren“, lädt Musiol den Betrachter ein. „Man muss es aber nicht.“
Auch einige Grafiken, darunter Aquarelle, Siebdrucke und Lithografien, zeigt die Ausstellung. „Es ist meine Arbeitsweise, dass ich oft mit einem Gesicht beginne, dabei in die richtige Stimmung komme und dann auch Ideen für dreidimensionale Werke entwickle.“
Termine Die Ausstellung „Shift“ von Alice Musiol in der Galerie der Stadt Backnang (Petrus-Jacobi-Weg 1) wird heute um 20 Uhr eröffnet. Oberbürgermeister Maximilian Friedrich wird ein Grußwort sprechen, danach führt Galerieleiter Martin Schick in die Ausstellung ein. Das Haus ist ab 19 Uhr geöffnet. Am morgigen Samstag um 12 Uhr findet eine Führung mit Alice Musiol selbst statt. Die Ausstellung läuft bis Sonntag, 18. August. Der Eintritt ist frei. Die regulären Öffnungszeiten der Galerie sind Dienstag bis Freitag von 16 bis 19 Uhr, Samstag von 11 bis 18 Uhr und Sonntag von 14 bis 18 Uhr.