Experimentell Wohnen

Futuristisches Wohnobjekt

Wie richtet sich der Mensch in der Zukunft ein? Experimente von Künstlern und Architekten zeigen – eher luftig und klein.

Filmreifes Tiny House: Matti Suuronens „Futuro“ aus dem Jahr 1968. Wie Künstler und Architekten damals und heute über neuartige Wohnformen nachdachten und welche Entwürfe von ihnen stammen, ist in dem Buch „Open House“ nachzulesen. Die Bildergalerie zeigt weitere Ansichten  experimenteller Wohngebilde.

© Scheidegger & Spiess Verlag/Pinho

Filmreifes Tiny House: Matti Suuronens „Futuro“ aus dem Jahr 1968. Wie Künstler und Architekten damals und heute über neuartige Wohnformen nachdachten und welche Entwürfe von ihnen stammen, ist in dem Buch „Open House“ nachzulesen. Die Bildergalerie zeigt weitere Ansichten experimenteller Wohngebilde.

Von Nicole Golombek

Wer ein neuer, anderer Mensch werden will, muss vieles hinter sich lassen, der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche hat dafür das Bild des Phoenix beschworen „verbrennen musst du dich wollen in deiner eignen Flamme: wie wolltest du neu werden, wenn du nicht erst Asche geworden bist!“

So weit gehen die Leute, die dem Minimalismus frönen, hoffentlich nicht, aber einen Großteil ihrer Habe werden sie bei der Selbst-Entrümpelung schon oft los, bevor sie in ein dann fast leeres WG-Zimmer einziehen oder sich ein Tiny-House kaufen.

Wohnen in Tiny Houses liegt im Trend. Hunderttausende, die minimalistisch auf wenig Platz – aber doch in einem eigenen Haus – leben wollen, schließen sich auf sozialen Netzwerken, in Vereinen und Verbänden zusammen. Sie tauschen Erfahrungen aus, wo sich die Häuser mit einer Größe von 20 bis 50 Quadratmetern aufstellen lassen, wie man all seine Sachen loswird, wo es architektonisch ansprechende Hausproduzenten gibt.

So viele Brachflächen und Grünstreifen, bebaubare Flachdächer und Garagen, auf denene solche Kleinsthäuser stehen, gibt es freilich nicht, um des Problems fehlenden Wohnraums beizukommen. Doch temporäre, mobile Orte zum Leben schaffen, neue Wohnformen ausprobieren, ist absolut angesagt – nicht nur als Mini-Eigenheim, sondern auch als Unterbringungsmöglichkeit für Geflüchtete oder Menschen, die nach Naturkatastrophen ihr Zuhause verloren haben.

Die Frage, wie man anders wohnen kann und wird – auch angesichts steigender Immobilien- und Energiepreise – hat schon zu früheren Zeiten Baumeister und Philosophen umgetrieben. Eine andere Energiekrise, nämlich die Ölkrise in den 70ern sorgte für das Aus eines der ersten berühmten Tiny Houses: Matti Suuronens „Futuro“ von 1968.

Die Geschichte der Tiny Houses

Der finnische Architekt (1933-2013) sollte ein schnell heizbares Gebilde bauen, das auch auf einem winterlichen Hang stehen könnte. Er war fasziniert von neuen Materialien, sein elliptische geformtes Häuschen, gebaut mit fiberglasverstärktem Polyester und Polyurethanschaum war in zwei Tagen aufgebaut und konnte komplett von einem Helikopter auf den Berg gebracht werden.

Einige Dutzend „Futuros“ wurden gebaut, das Ufo ähnliche Wohngebilde wurde als futuristisch gefeiert und auch für Film- und Fotoaufnahmen benützt. Als während der Ölkrise Plastik teuer wurde und die ersten Umweltschützer gegen Kunststoff protestierten, sank das Wohn-Ufo in der Gunst der Menschen. Die ersten Modelle sind längst im Designmuseum in Rotterdam und München.

Das museumsreife Gebäude ist gleichwohl Teil eines Forschungsprojekts, das das Wohnen grundsätzlich untersucht. Ist das Haus eine zweite Haut, ein Schutz vor der Außenwelt, vor Lärm, Hitze, Kälte? Muss der Mensch überhaupt noch das Innere verlassen, wenn er alle Interaktionen medial, via Internet erledigen kann?

Philosophen, Künstler, Designer, Historiker, Architekten und Landschaftsarchitekten – darunter Vilém Flusser, Alessandro Mendini, Hans Hollein, Bruce Nauman – beleuchten das Thema in klugen Aufsätzen, die in dem Buch „Open House – Designing Spaces for Living“ über die Gestaltung von Lebensräumen versammelt sind.

Der Erste, der den Begriff „Mikrohaus“ verwendete, war Ken Isaacs, der auch in dem Buch vertreten ist. Der amerikanische Designer schrieb 1974 in ein Buch über modulare Häuser mit dem Titel „Wie man eigene Wohnstrukturen baut“ und zeigte dort auch Grundrisse und Produktionshinweise.

Er entwarf flexible modulare Systeme, die sich nach den Bedürfnissen der Nutzer orientieren und niedrige Produktionskosten haben. Isaacs unterrichtete an der Cranbrook Akademie experimentelle Architektur. Sein „Fun House“ (1967) sollte auf alles Überflüssige verzichten und mobil ohne Fundament aufstellbar sein und zugleich vor Hitze und Wind schützen, Schatten und Schutz bieten – ein Vorläufer der Tiny Houses.

Fliegende Häuser

Wie will der Mensch in Zukunft wohnen, das könnte zum Beispiel so aussehen – wie eine Mischung aus fliegenden Häusern, Raumfahrtmobil und futuristischem Gebilde aus recyceltem Material und Solarpaneelen und vier Flügeln, wie der Künstler Andreas Kressig im Jahr 2022 es entworfen hat.

In der Luft hängende Zelte, technische ausgetüftelte Objekte wie Räder, die auch im Wasser fahren und überdies Übernachtungsmöglichkeiten bieten, sind hier ebenso versammelt wie Neonlichter vor Glaswänden, die poetische Wohnlabyrinthe darstellen und Wohnklötzchen aus recyceltem Beton aus dem 3D-Drucker.

Und mit „A Place To Call Home“ (ein Ort, den man ein Heim nennt) thematisieren Joseph Ashmore und Laura Heycoop im Jahr 2021 für Shelter Projects das Thema Recht auf Schutzraum– und wie wenig Platz Menschen zur Verfügung haben können. Sie schufen als „radikale symbolische Geste“ einen von einer Wiese abgezirkelten Erdboden mit 17,5 Quadratmetern, eine Grundfläche für ein Schutzgebäude für eine Gruppe von fünf Menschen. Das Projekt erinnert daran, dass diese Fläche nur einen Bruchteil der üppigen durchschnittlich 49 Quadratmeter darstellt, die jeder Mensch in Deutschland im Durchschnitt heute für sich beansprucht – noch.

Info

Buch Simon Lamunière: Open House. Designing Spaces for Living. Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich. (Texte auf Englisch und Französisch). 323 Seiten, 38 Euro

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Ken Isaacs „Fun House“: der amerikanische Designer schrieb 1974 in ein Buch über modulare Häuser  mit dem Titel „Wie man eigene Wohnstrukturen baut“ und zeigte dort auch Grundrisse und Produktionshinweise. Er entwarf flexible modulare Systeme,die sich nach den Bedürfnissen der Nutzer orientieren und niedrige Produktionskosten haben. Er unterrichtete an der Cranbrook Akademie experimentelle Architektur. Das „Fun House“ (1967) aus Metall- und Holzelementen sollte auf alles Überflüssige verzichten und mobil ohne Fundament aufstellbar sein   und zugleich vor Hitze und Wind schützen, Schatten und Schutz bieten – ein Vorläufer der Tiny Houses.

© Verlag

Ken Isaacs „Fun House“: der amerikanische Designer schrieb 1974 in ein Buch über modulare Häuser mit dem Titel „Wie man eigene Wohnstrukturen baut“ und zeigte dort auch Grundrisse und Produktionshinweise. Er entwarf flexible modulare Systeme,die sich nach den Bedürfnissen der Nutzer orientieren und niedrige Produktionskosten haben. Er unterrichtete an der Cranbrook Akademie experimentelle Architektur. Das „Fun House“ (1967) aus Metall- und Holzelementen sollte auf alles Überflüssige verzichten und mobil ohne Fundament aufstellbar sein und zugleich vor Hitze und Wind schützen, Schatten und Schutz bieten – ein Vorläufer der Tiny Houses.

Matti Suuronens „Futuro“ von 1968. Der finnische Architekt (1933-2013) sollte ein schnell heizbares Gebilde bauen, das auch auf einem winterlichen Hang stehen könnte. Er war fasziniert von neuen Materialien, sein elliptische geformtes Häuschen, gebaut mit Materialien wie Fiberglasverstärktem Polyester und Polyurethanschaum sah freilich sehr anders als traditionelle Ski-Chalets. „Futuro“ war in zwei Tagen aufgebaut und konnte komplett von einem Helikopter auf den Berg gebracht werden. (Das Interieur mit Küche und Bad müsste extra transportiert werden). Einige Dutzend „Futuros“ wurden gebaut, das Ufo ähnliche Wohngebilde wurde auch für Film- und Fotoaufnahmen benützt. Als während der Ölkrise Plastik auf einmal teuer wurde und die ersten Umweltschützer gegen Kunststoff protestierten, sank das Ufo in der Gunst der Menschen. Die ersten Modelle sind längst im Museum  in Rotterdam und München.

© Verlag

Matti Suuronens „Futuro“ von 1968. Der finnische Architekt (1933-2013) sollte ein schnell heizbares Gebilde bauen, das auch auf einem winterlichen Hang stehen könnte. Er war fasziniert von neuen Materialien, sein elliptische geformtes Häuschen, gebaut mit Materialien wie Fiberglasverstärktem Polyester und Polyurethanschaum sah freilich sehr anders als traditionelle Ski-Chalets. „Futuro“ war in zwei Tagen aufgebaut und konnte komplett von einem Helikopter auf den Berg gebracht werden. (Das Interieur mit Küche und Bad müsste extra transportiert werden). Einige Dutzend „Futuros“ wurden gebaut, das Ufo ähnliche Wohngebilde wurde auch für Film- und Fotoaufnahmen benützt. Als während der Ölkrise Plastik auf einmal teuer wurde und die ersten Umweltschützer gegen Kunststoff protestierten, sank das Ufo in der Gunst der Menschen. Die ersten Modelle sind längst im Museum in Rotterdam und München.

Der niederländische Architekt Eduard Böhtlingk hat schon früh über ökologische, nachhaltige Lösungen beim Bauen nachgedacht. „De Markies“ wurde 1986 designt und 1995 gebaut. Das Besondere an dem Wohnwagen sind die  schmetterlingshaft aufklappenden Markisen, die dem Wagen zwei zusätzliche Räume – einen sogar mit Ausblick –  bescheren.

© Verlag

Der niederländische Architekt Eduard Böhtlingk hat schon früh über ökologische, nachhaltige Lösungen beim Bauen nachgedacht. „De Markies“ wurde 1986 designt und 1995 gebaut. Das Besondere an dem Wohnwagen sind die schmetterlingshaft aufklappenden Markisen, die dem Wagen zwei zusätzliche Räume – einen sogar mit Ausblick – bescheren.

Kronleuchter in der Luft am Heißluftballon: poetische Installation – Freiluftwohnzimmer und Anspielung an Lagerfeuer-Romantik, hier mit einem eleganten Dreh, von den  Künstlern Maurizio Cattelan und Philippe Parreno aus dem Jahr 1996, das Projekt hießt „Dolce Utopia“.

© Verlag

Kronleuchter in der Luft am Heißluftballon: poetische Installation – Freiluftwohnzimmer und Anspielung an Lagerfeuer-Romantik, hier mit einem eleganten Dreh, von den Künstlern Maurizio Cattelan und Philippe Parreno aus dem Jahr 1996, das Projekt hießt „Dolce Utopia“.

Von dem Studio Nice & Wise aus der Slowakei stammt das zwei Tonnen schwere „Ecocapsule“ aus dem Jahr 2014. Gedacht war es für Naturfreunde, Menschen, die in der Natur arbeiten und leben – eignet sich aber auch als Tiny House in der urbanen Landschaft. Der Innenraum (für zwei Personen geeignet) ist sehr kompakt und funktional gestaltet – und es funktioniert autark, kann autonom Elektrizität produzieren, das Wasserfiltersystem funktioniert ebenfalls sodass es nicht an ein Vertriebsnetz angeschlossen werden muss.

© Verlag

Von dem Studio Nice & Wise aus der Slowakei stammt das zwei Tonnen schwere „Ecocapsule“ aus dem Jahr 2014. Gedacht war es für Naturfreunde, Menschen, die in der Natur arbeiten und leben – eignet sich aber auch als Tiny House in der urbanen Landschaft. Der Innenraum (für zwei Personen geeignet) ist sehr kompakt und funktional gestaltet – und es funktioniert autark, kann autonom Elektrizität produzieren, das Wasserfiltersystem funktioniert ebenfalls sodass es nicht an ein Vertriebsnetz angeschlossen werden muss.

Eher Installation als Raum ist  „Cloud“ (2019) von der  Künstlerin Joëlle Allet. Sie arbeitet mit den Elementen Wasser, Erde, Luft.  Dank eines phosphorisierenden Pigments  leuchtet die Wolke hellgelb, wenn es dunkel wird. Siebdruck auf Glas, das über dem Boden zu schweben scheint. Das  rahmenlose Glas könnte Teil eines Heims sein, das sich aber mit der Natur mischt.

© Verlag

Eher Installation als Raum ist „Cloud“ (2019) von der Künstlerin Joëlle Allet. Sie arbeitet mit den Elementen Wasser, Erde, Luft. Dank eines phosphorisierenden Pigments leuchtet die Wolke hellgelb, wenn es dunkel wird. Siebdruck auf Glas, das über dem Boden zu schweben scheint. Das rahmenlose Glas könnte Teil eines Heims sein, das sich aber mit der Natur mischt.

Von der international bekannten Architektin Anupama Kundoo aus Indien: „Empower House“ (2021) : Über Metallstreben wird das Dach gefaltet, keine Wände, die einstürzen könnten, die Konstruktion hält auch seismischen Belastungen aus, sie ist variabel und leicht auf- und abbaubar.

© Verlag

Von der international bekannten Architektin Anupama Kundoo aus Indien: „Empower House“ (2021) : Über Metallstreben wird das Dach gefaltet, keine Wände, die einstürzen könnten, die Konstruktion hält auch seismischen Belastungen aus, sie ist variabel und leicht auf- und abbaubar.

„Alice“ (2021), ein Studienobjekt einer Hochschule in Lausanne bietet Lebensraum über dem Wasser: Konstruktionen aus Holz ermöglichen ein Dasein auf dem See und leichten Zugang ins Nass.

© Verlag

„Alice“ (2021), ein Studienobjekt einer Hochschule in Lausanne bietet Lebensraum über dem Wasser: Konstruktionen aus Holz ermöglichen ein Dasein auf dem See und leichten Zugang ins Nass.

Zwischen Raumschiff, fliegendem Haus und futuristischem Objekt: Andreas Kressig „Envelop“ aus dem Jahr 2022.

© Verlag

Zwischen Raumschiff, fliegendem Haus und futuristischem Objekt: Andreas Kressig „Envelop“ aus dem Jahr 2022.

Alle hier gezeigten Bilder stammen aus dem Buch „Open House. Designing Spaces For Living“, herausgegeben von Simon Lamunière, erschienen im Verlag Scheidegger & Spiess in Zürich. 38 Euro. www.scheidegger-spiess.ch

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Alle hier gezeigten Bilder stammen aus dem Buch „Open House. Designing Spaces For Living“, herausgegeben von Simon Lamunière, erschienen im Verlag Scheidegger & Spiess in Zürich. 38 Euro. www.scheidegger-spiess.ch

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Erstellt:
7. September 2022, 18:52 Uhr
Aktualisiert:
7. September 2022, 20:40 Uhr

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