Stuttgarter Solo-Tanz-Theater-Festival
Internationale Tanzschaffende in Höchstform
Beim Finale des 29. Stuttgarter Solo-Tanz-Theater-Festivals im Treffpunkt Rotebühlplatz haben am Sonntag internationale Tanzschaffende aus den USA, Italien, Kanada, Spanien und Taiwan unterschiedliche Positionen präsentiert – zwischen Gefühl und Intellekt.

© Solo-Tanzfestival/Jo Grabowski
Der Tanz der Kanadierin Béatrice Larrivée hat die Jury überzeugt.
Von Kathrin Horster
Laut lärmt eine E-Gitarre, untermalt von elektronischen Beats, im Hintergrund monotones Rufen: Düster ist die Klanglandschaft für die Tänzerin Marie Laure Mendana Assogo im Stück „Unspoken Queens“, das als erstes von insgesamt acht Arbeiten am Finaltag des 29. Stuttgarter Solo-Tanz-Theater-Festivals zu sehen war. Assogo ist mit ihrem Choreografen Charly Mintya aus Kamerun zum Treffpunkt Rotebühlplatz gereist, um hier ihre feministische Miniatur zu zeigen. Mintya und Assogo wollen „Frauen in der Geschichte würdigen“ und „dazu inspirieren, ihren Platz in der Gesellschaft einzunehmen“, erklärt die Festivalbroschüre. Ein großer Anspruch, doch die Idee überträgt sich tatsächlich in Assogos Tanz. Anmutig rollt sie Handgelenke und Schultern, bewegt sich anfangs zögernd durch die fast brutale Geräuschkulisse. In einer kurzen Passage ohne Musik liefert Assongos Atem den Rhythmus für ihre isoliert zuckenden Glieder, als verselbstständige sich der Körper gegen den Willen der Tänzerin, die den Impulsen folgen muss. In der stärksten Sequenz zum Schluss steht Assongo wie ein bedrohlicher Geist in einem Rahmen aus rotem Licht. Zu synthetisch verfremdeten Gesängen und metallisch stampfendem Rhythmus bewegt sie sich mit stolz erhobener Kinnlinie und weit ausholenden Armschwüngen, als gehöre der anfangs so feindliche Raum nun ihr.
Klare Positionen von jungen Tanzschaffenden aus der ganzen Welt
Auch in den anderen Arbeiten lassen sich klare Positionen von jungen Tanzschaffenden aus der ganzen Welt ablesen, das macht die Schau so interessant. Die Finalisten kommen in diesem Jahr etwa aus den USA, Italien, Kanada, Spanien und Taiwan. Ihn interessiere, was die Nachwuchskünstler bewege, sagt Tamas Detrich, Intendant des mit dem Festival kooperierenden Stuttgarter Balletts, im Kurzinterview mit Moderatorin Anja Lange. Er wolle sehen, was man im Anschluss an das Festival mit ihnen machen könne.
Wie unterschiedlich die Ideen und Tanzsprachen weltweit sind, belegt das humorvolle Solo „Ready, Set, Come Back“ des Schweden Hamilton Blomquist über eine tänzerische Selbstfindung. Steif wie ein Brett liegt er zu Beginn auf der Seite. Einzelne Pfiffe initiieren vereinzelte Hebungen von Arm oder Bein, bis sich durch mehrere Pfiffe hintereinander zunehmend flüssigere Bewegungsfolgen ergeben. Blomquists Tanz ist eine bewusst verkrampfte Tour de Force, in deren Verlauf der Tänzer ein paar Brocken Englisch und Schwedisch aus sich heraus presst. Die Arme rudern wie die Segel einer Windmühle, der Torso trudelt, doch die Beine halten dagegen und fangen den Körper ab.
Schmerzhaft und dramatisch geht es in „Sir. Emotional“ von Nnamdi Nwagwu aus Italien zu, der sich selbst hart auf die Brust schlägt und seinen Körper aus dem Stand auf den Boden prallen lässt. „I put a spell on you, because you are mine“, droht eine Frauenstimme aus der Konserve. Nwagwu läuft, zittert, stemmt sich auf die zerbrechlichen Knöchel seiner Zehen. Der Protagonist sei ein verletzlicher, vielschichtiger schwarzer Mann, der sich den starren Erwartungen der Gesellschaft widersetze, erläutert die Broschüre den Gedanken hinter Nwagwus körperlich anspruchsvoller Arbeit.
Viel zarter erzählt Carmine Vigliottis Tanz „The Space between“ über Sehnsucht, zu einem Soundtrack aus Meeresrauschen, an- und abschwellendem Ton und repetitivem Rhythmus. Vigliotti verkettet wiederkehrende Bewegungssequenzen, etwa das sanfte Pulsen des Oberkörpers oder über die Kniescheiben reibende Handflächen mit vornüber gebeugter Halswirbelsäule. Details wie eine Hand, die die andere wie ein fliegendes Blatt fangen und auf die Brust legen will oder das zierliche Fingerspiel einer über die Schulter hängenden Hand lassen das Stück filigran und kontemplativ erscheinen.
Lyrik und Prosa als Verbindungselemente
Kopflastig und sprachgebunden dagegen die letzten Arbeiten des Abends. Die in Brüssel lebende Amerikanerin Charly Santagado tanzt in „Nohow“ begleitet von Grillenzirpen mit einer einfachen Sonnenliege, inspiriert von einem Gedicht von Samuel Beckett, das sie im Tanz rezitiert. „Briefly“ der Kanadierin Béatrice Larrivée wirkt abstrakter, weil sich ihre Erzählung, ein Auszug aus einem Roman, nicht konkret mit dem Tanz verbindet. Mit wimmernder, keuchender Stimme erzählt Larrivées poetische Persona von einem Erlebnis unmittelbar nach dem 14. Geburtstag, vom Kokaingenuss in einem verlassenen Schulbus. Der Rest geht im artistisch anspruchsvollen Tanz unter. Dabei geht es Larrivée „um eine nuancierte Perspektive auf das Zusammenspiel von Gefühlen und körperlicher Erfahrung“, erläutert die Broschüre. Der Jury hat sich Larrivées intellektuelle Erkundung voll erschlossen; für ihre Choreographie erhält sie den ersten Preis des Festivals.
Die Preisträger
Hintergrund Seit 1997 findet das Stuttgarter Solo-Tanz-Theater Festival statt. Gegründet hat es der Choreograf Marcelo Santos, bis heute künstlerischer Leiter der Schau für junge Tanzschaffende. Zu den renommierten Partnern gehören u. a. das Stuttgarter Ballett und verschiedene europäische Tanzfestivals.
Preisträger1. Preis Choreografie und 2. Preis Tanz: