112 Schüsse, 15 Menschenleben
Heute vor zehn Jahren lief ein 17-Jähriger in Winnenden und Wendlingen Amok – Das Protokoll eines Massenmords
WINNENDEN. Der 11. März 2009 war der einschneidendste Tag in der Geschichte des Rems-Murr-Kreises: Innerhalb weniger Minuten erschießt ein ehemaliger Schüler an der Albertville-Realschule acht Schülerinnen, einen Schüler und drei Lehrerinnen. Auf seiner Flucht tötet er noch drei weitere Menschen. Die Chronik eines monströsen Verbrechens:
9.30 Uhr: Ein 17-Jähriger betritt die Albertvilleschule, an der er ein Jahr zuvor seinen Realschulabschluss gemacht hat, bewaffnet mit einer 9-Millimeter-Pistole, Marke Beretta. Die Waffe gehörte seinem Vater, einem Sportschützen.
9.33 Uhr: Der erste Notruf, per Handy von einem Schüler abgesetzt, geht bei der Polizei ein.
9.35 Uhr: Die Winnender Polizisten Sebastian Wolf, Tobias Obermüller und Thomas Schnepf sind normale Streifenbeamte, keine Kräfte eines Spezialeinsatzkommandos, aber sie haben einen Fortbildungskurs der Polizeidirektion Waiblingen absolviert: Wie kann ich in Extremsituationen unter „hoher Eigengefährdung einen Erstzugriff“ machen?
Ohne zu zögern, gehen die drei Beamten in die Schule. Aus dem ersten Stock hören sie Schüsse, eine Gestalt feuert von oben auf sie und flieht. In einem Klassenzimmer findet die Polizei fünf tote Jugendliche, in einem zweiten vier Opfer: Zwei sind tot, zwei werden später ihren Verletzungen erliegen. Durch die geschlossene Tür zum Physikraum hat der Massenmörder eine Lehrerin erschossen und auf dem Flur bei seiner Flucht zwei weitere Lehrkräfte umgebracht. Jacqueline Hahn, Stefanie Kleisch, Selina Marx, Viktorija Minasenko, Nicole Nalepa, Chantal Schill, Jana Schober, Kristina Strobel und Ibrahim Halilaj; Michaela Köhler, Nina Mayer und Sabrina Schüle: Zwölf Menschenleben – wären die drei Polizisten nicht so schnell eingeschritten, hätte es noch mehr Opfer gegeben.
9.36 Uhr: Der Täter flieht aus der Schule. Auf seinem Weg durch den Park beim Zentrum für Psychiatrie erschießt er den Bediensteten Franz Josef Just, der den Abfluss am Ententeich reinigt.
9.41 Uhr: Eine Großfahndung der Polizei läuft an, bald sind rund 800 Kräfte im Einsatz. Weil unklar ist, wohin sich der Täter gewandt hat, überwacht die Polizei alle Schulen der Gegend und durchstreift die Stadt. Das Rote Kreuz richtet drei Betreuungszentren ein, unter anderem in der nahen Hermann-Schwab-Halle.
9.45 bis 12.30 Uhr: Auf einem Parkplatz nimmt der Amokläufer einen in seinem Auto Sitzenden als Geisel und zwingt den 41-Jährigen, ihn zu chauffieren. Die Fahrt endet beim Wendlinger Kreuz: Der Fahrer lenkt sein Auto aufs Grün neben der Straße, springt heraus und rennt zu einem Streifenwagen. Der 17-Jährige flieht zu Fuß ins Wendlinger Industriegebiet, erschießt in einem Autohaus den Verkäufer Denis Puljic und den Kunden Sigurt Wilk, geht ins Freie, wird bei einem Schusswechsel mit Polizisten an den Beinen verletzt, verschanzt sich wieder im Autohaus, schleppt sich erneut hinaus und verwundet eine Polizistin und ihren Kollegen schwer.
12.30 Uhr: Nachdem er im Laufe des Vormittags 112 Schüsse abgegeben, 15 Menschen getötet und 13 verletzt hat, erschießt der Amokläufer sich selbst.