Amtsgericht Backnang: 22-Jähriger muss für fast anderthalb Jahre hinter Gitter

Polizei findet beim Angeklagten größere Mengen von Marihuana. Bei der Festnahme in Backnang verletzt er einen Beamten durch Bisse.

Junger Mann erhält eine Gefängnisstrafe von einem Jahr und fünf Monaten. Symbolfoto: BilderBox/Erwin Wodicka

© BilderBox - Erwin Wodicka

Junger Mann erhält eine Gefängnisstrafe von einem Jahr und fünf Monaten. Symbolfoto: BilderBox/Erwin Wodicka

Von Florian Muhl

Backnang. Die Szene im Gerichtssaal des Backnanger Amtsgerichts ist herzzerreißend. Als sich der Vorsitzende Richter Marco Siever sowie die beiden Schöffen gestern Nachmittag nach zweistündiger Verhandlung zur Urteilsfindung für wenige Minuten zurückziehen, kommen der 22-jährige Angeklagte und seine Lebenspartnerin sowie sein Vater, die beide als Zuschauer den Prozess verfolgt haben, in Kontakt. Erst zögerlich, dann immer intensiver. Ohne jeweils ihre Plätze zu verlassen, zeigt die Lebensgefährtin aus einer Umlandgemeinde ihrem Partner Fotos von ihrem zwischen einem und zwei Jahre alten gemeinsamen Sohn. „...und das war an Weihnachten“, ruft die junge Frau am Ende ohne Hemmungen, denn alle Prozessbeteiligten sowie die sichernden Polizeibeamten befinden sich auch noch im Raum. „...und das war im Funpark. Er ist groß geworden und interessiert sich für Autos.“

Der Angeklagte ist berührt. Ihm kommen Tränen und er formt mit seinen beiden Händen ein Herz. Er konnte die letzten Wochen und Monate sowie einige Zeit davor das Aufwachsen seines Sohnes nicht mitverfolgen. Denn bis zum Verhandlungstag saß er in Untersuchungshaft in Stuttgart. Und das nicht ohne Grund, wie sich während der Verhandlung herausstellte. Zum größten Teil war der junge Mann auch geständig und war sich voll bewusst, dass er dieses Mal nicht um eine Gefängnisstrafe herumkommen wird. Eine Bewährungsstrafe haben sich weder er noch seine Verteidigerin erhofft. So kommen am Ende ein Jahr und fünf Monate zusammen.

Der Therapie steht nichts im Wege

Wichtig war ihm und seiner Verteidigerin, dass das Gericht feststellt, dass er die ihm vorgeworfenen Taten unter Drogeneinfluss begangen hat. So steht der Therapie und dem Entzug, die er nach dem Gefängnisaufenthalt anstrebt, nichts im Wege. Voller Stolz erklärte der Angeklagte, der mit 13 Jahren erstmals Cannabis und Alkohol konsumierte, mit 16 dann regelmäßig, dass er seit fünf Monaten „clean“ ist. Am Ende seiner Urteilsbegründung redet ihm der Vorsitzende Richter ins Gewissen. Er müsse die Therapie nutzen und in ein geregeltes Leben zurückkehren, sonst sei es für ihn womöglich zu spät.

Was war geschehen? Es ist der 2. August 2022. Es ist auch der erste Tag eines neuen Auszubildenden bei der Backnanger Polizei. Er sitzt in einem Streifenwagen, neben ihm als Fahrer ein erfahrener Beamte des Reviers. Dass der erste Ausbildungstag so spannend verlaufen wird, davon haben die beiden zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, als sie in Backnang die Aspacher Straße herunterfahren. „Ich hab ihm ein paar administrative Sachen erklärt“, berichtet der erfahrene Beamte als Zeuge. Dann geht’s am Kreisel Aspacher Tor nach rechts in die Friedrichstraße. Plötzlich deutet der junge Auszubildende bei einer Bushaltestelle Höhe „Merlin“ auf eine kleine Personengruppe am Boden. Dabei lag ein Mann am Boden, eine Frau und ein junger Mann oben drauf. Was die Streifenwagenbesatzung zu diesem Zeitpunkt ebenfalls noch nicht weiß: Sie kommen wie gerufen, um ihrer Kollegin und ihrem Kollegen zu helfen. Denn die beiden waren als Zivilstreife unterwegs und als Polizeibeamte von Weitem nicht zu erkennen.

Schülerin erlebt die Festnahme an der Bushaltestelle hautnah

Für eine 17-jährige Schülerin, die an dieser Bushaltestelle auf ihren Bus wartet, stellt sich die Situation so dar: Ein junger Mann kommt mit seinem E-Roller zur Haltestelle, um offensichtlich ebenfalls dann in den Bus einzusteigen. Vorne am Lenker hängt eine Tüte oder Tasche, sagt sie als Zeugin aus. Dann kommen ein Mann und eine Frau und sprechen mit dem jungen Mann, zunächst ganz normal. Dann habe wohl der eine vom anderen die Ausweispapiere verlangt. Daraufhin sei der Jüngere ohne seinen Roller ein paar Schritte davongelaufen, aber genau in die Arme der Frau. Und plötzlich lag er am Boden. Weitere Details kann die Schülerin nicht mehr sagen.

Wie der Angeklagte zu Beginn der Verhandlung über seine Verteidigerin erklären lässt, hat sich die Zivilstreife als Polizei zu erkennen gegeben. Gegen eine Durchsuchung seiner Tasche hat er keine Einwände gehabt. Als die Beamten darin jedoch rund 50 Gramm Marihuana und eine getarnte Feinwaage finden, wollen sie ihn festnehmen. Doch dem Anlegen von Handschellen widersetzt er sich heftig. Er räumt ein, dass er eventuell mit Füßen getreten und gebissen hat. An diesem Tag habe er Drogen konsumiert. Er sei im Ausnahmezustand gewesen und habe keine Luft mehr bekommen, weil er im Schwitzkasten gewesen sei.

Der Anschuldigung, den Angeklagten gewürgt oder ihm die Luft abgeschnitten zu haben, widerspricht der junge Polizeibeamte als Zeuge vehement. Der Festgenommene habe die ganze Zeit reden beziehungsweise auch schreien können. Bei dem Gerangel wird der Beamte vom damals 21-Jährigen zweimal gebissen, in den Unterarm und in den Ringfinger. Der Beamte muss sich noch heute ärztlich untersuchen lassen, ob eventuell eine Krankheit übertragen wurde. Noch wurde nichts Derartiges festgestellt. Für sein Verhalten und speziell seine Bisse entschuldigt sich der Angeklagte mehrfach.

Zum Artikel

Erstellt:
9. Januar 2023, 16:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen