Betrunken Passanten angepöbelt

55-jähriger Hotelfachmann wegen Körperverletzung, Beleidigung und Nötigung verurteilt

Ein 55-jähriger Hotelfachmann aus dem Schwäbisch-Fränkischen Wald  muss sich vor Gericht verantworten, Unter anderem soll er einen Mitbewohner des Heims, in dem er lebt, mit Faustschlägen traktiert haben. Foto: Imago

Ein 55-jähriger Hotelfachmann aus dem Schwäbisch-Fränkischen Wald muss sich vor Gericht verantworten, Unter anderem soll er einen Mitbewohner des Heims, in dem er lebt, mit Faustschlägen traktiert haben. Foto: Imago

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG/MURRHARDT. Es sind drei Vorfälle, die dem Angeklagten am Backnanger Amtsgericht zur Last gelegt werden. Zum einen hat der 55-jährige Hotelfachmann aus dem Schwäbisch-Fränkischen Wald einen Mitbewohner des Heims, in dem er lebt, mit Faustschlägen traktiert. Zum anderen hat er an einer Bushaltestelle erst zwei Kinder übel angeschnauzt. Eine Frau, die dazwischenging, beleidigte er mit den Worten: „Halt’s Maul, sonst steck ich dir deine Brille quer in den...“ Der geneigte Leser wird wissen, welches Körperteil gemeint ist. Die Drohgebärde gegenüber der Dame wurde zudem noch als versuchte Nötigung eingestuft. Schließlich bezeichnete er drei Schüler vor einem Einkaufsmarkt als „Wichser“ und bedeutete ihnen, sich zu „verpissen“. Die Anklageschrift der Staatsanwältin umfasst somit Körperverletzung, Beleidigung in Verbindung mit versuchter Nötigung und erneut Beleidigung in drei Fällen.

Der Angeklagte streitet alles ab. Beziehungsweise er hat seine eigene Version der Vorfälle, die er durchaus eloquent vorzutragen versteht. Auch dass in allen drei Fällen sein Alkoholkonsum eine nicht unerhebliche Rolle spielte, ficht den Angeklagten nicht an. „Ich bin ganz normal, wenn ich Alkohol trinke“, sagt er. Im ersten Fall habe der andere angefangen zu schlagen und ihn an den Haaren zu ziehen. An der Bushaltestelle hätte er laut Selbstgespräche geführt. Im dritten Fall habe er vor dem Einkaufsmarkt mit seiner Mundharmonika für die Leute aufgespielt. Die Jugendlichen hätten ihn gestoßen und ihm den Stinkefinger gezeigt und dann „mutwillig“, wie der Angeklagte betont, eine Anzeige gegen ihn erfunden. Die Verfahrensbeteiligten machen sich über die Vernehmung der Zeugen ein Bild von der Sache.

Der Mitbewohner aus dem Wohnheim, ein 58-jähriger Schlosser, wollte im Raucherzimmer des Hauses fernsehen, erzählt er. Der Angeklagte kommt dazu, betrunken und ärgerlich, knallt den Aschenbecher auf den Tisch, dass dem Schlosser die Zigarettenasche ins Gesicht stäubt. Dann wird er am Revers gepackt, beide Kontrahenten gehen rangelnd zu Boden. Faustschläge des Angeklagten, so der Betroffene, hat es nicht gegeben. Und die Wunde über dem Auge, die er sich zuzog, das muss irgendwie bei der Rangelei passiert sein.

Bei den 23 Eintragungen im Bundessozialregister ist nahezu alles dabei

Die 52-jährige Rentnerin aus dem zweiten Vorfall sagt, dass sie den verängstigten Kindern an der Bushaltestelle zu Hilfe eilen wollte. Als sich der herumkrakelende Angeklagte in einen Bus begab, weigerte sich der Busfahrer, ihn mitzunehmen und rief die Polizei. Die eintreffenden Beamten stellten den Schreihals vor die Wahl: Entweder zurück in sein Wohnheim oder in die Ausnüchterungszelle der Polizei. Der Angeklagte ließ sich nach Hause chauffieren.

Merklich unsicher sind sich die beiden 13- und 15-jährigen Jugendlichen, die sich zum dritten Vorfall äußern. Vor allem in den Details ergeben sich unterschiedliche Versionen. War der Angeklagte ihnen im Weg? Wurden sie beim Betreten oder Verlassen des Einkaufsmarkts beleidigt? Hat der Angeklagte ihnen gar gedroht? Die Aussagen ergeben kein übereinstimmendes Bild.

Den Beruf des Hotelfachmanns, so gibt der Angeklagte zu seiner Person an, hat er erlernt. In dieser Position habe er dann auch zehn Jahre lang gearbeitet. Zudem sei er als Maurer und Dachdecker tätig gewesen. Seit vielen Jahren nun aber erwerbslos, habe er seit neun Jahren einen Betreuer und sei nun in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht. Von der Richterin befragt, gibt er an, dass sein Alkoholkonsum „ganz normal“ sei. Ein Gutachter berichtet über sein Gespräch mit dem Angeklagten: Misslicherweise seien dem Angeklagten bei früheren Untersuchungen Erkrankungen unterstellt worden, ohne dass dafür ausreichend Belege existierten. So unter anderem eine paranoide Psychose schizophrener Richtung. Er, so der Gutachter, habe seinen Klienten bewusstseinsklar erlebt. Allerdings neige der Angeklagte unter Druck dazu, Sachverhalte umzudeuten. Keinesfalls ist diese Fabulierkunst als pathologisch einzustufen.

Immer wieder habe es auch Versuche gegeben, den Alkoholkonsum zu therapieren. Leider ohne Erfolg. Der reichliche Genuss von Alkohol bedinge allerdings, dass der Angeklagte bei Herausforderungen seine Selbststeuerung teilweise verliere. Zuletzt nennt die Richterin noch die Eintragungen im Bundessozialregister, 23 an der Zahl. Um die Verfahrensbeteiligten nicht zu sehr zu strapazieren, liest sie nur 13 Eintragungen vor. Hausfriedensbruch, Diebstahl, Körperverletzung, Trunkenheit im Straßenverkehr, Nötigung, Erschleichen von Leistungen – nahezu alles ist dabei.

Für die Staatsanwältin ist der Fall klar. In ihrem Plädoyer sieht sie die Anklageschrift bestätigt. Alle Zeugen hätten glaubhafte Aussagen ohne Belastungstendenz gemacht. Sie fordert eine Geldstrafe von 350 Euro. Der Verteidiger des Angeklagten räumt die ersten beiden Vorfälle für seinen Mandanten ein. Im dritten Fall fordert er aufgrund der divergierenden Aussagen der Jugendlichen Freispruch. Insgesamt würde er es mit einer Verwarnung mit Strafvorbehalt abgehen lassen. Die Richterin folgt nach kurzer Beratungszeit dem Vorschlag der Staatsanwaltschaft.

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Erstellt:
30. April 2019, 06:00 Uhr

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