Bilingualer Unterricht: Auf Englisch über den Kalten Krieg sprechen
Die erste Klasse des Murrhardter Heinrich-von-Zügel-Gymnasiums schließt in diesem Jahr den bilingualen Zug ab. Durch Fachunterricht auf Englisch haben die Schülerinnen und Schüler ihre Kenntnisse vertieft und ihre Sprachfähigkeit gesteigert.
Von Lorena Greppo
Murrhardt. Die Frage danach, ob alle da sind oder es Krankheitsausfälle gibt, stellt Yvonne Kuhn noch auf Deutsch. Dann wechselt die Geschichtslehrerin ins Englische. „A very good morning“, also einen schönen guten Morgen, wünscht sie ihren Schülerinnen und Schülern. Auf die bilinguale Klasse wartet an diesem Vormittag eine Unterrichtsstunde zum Kalten Krieg. Um das Thema ein wenig aufzulockern, spielt Yvonne Kuhn erst einmal ein Spiel namens „Who said that?“ (Wer hat’s gesagt?). Sie präsentiert Zitate – auf Englisch natürlich – und die Zehntklässler müssen dann entscheiden: Stammen sie jeweils von Nikita Chruschtschow oder Wladimir Putin? Das ist gar nicht so einfach, zumal die Schülerinnen und Schüler ihre Wahl auch noch begründen sollen, auch dies in englischer Sprache.
Die acht Zehntklässler schlagen sich wacker und weisen ein erstaunliches Vokabular auf. Sie sind die Ersten, die den bilingualen Zug am Murrhardter Heinrich-von-Zügel-Gymnasium gewählt haben (siehe Infotext). Es ist ihr viertes Jahr des Programms. In Klasse 6 besuchten sie einen Vorkurs, ab Klasse 7 hatten sie dann jeweils eine zusätzliche Schulstunde in der Woche in englischer Sprache. Im ersten Jahr war dies in Geografie, im zweiten Geschichte, im dritten Biologie. In diesem Jahr, dem vorerst letzten des bilingualen Zugs, gibt es gleich zwei Zusatzstunden, jeweils eine in Geschichte und eine in Chemie. Gerade in letzterem Fach mache der Zusatzunterricht auf Englisch viel aus, sagt Schülerin Lenja. „Die Namen im Periodensystem machen im Englischen viel mehr Sinn.“ Die „Bili-Schüler“, wie sie genannt werden, haben in der Folge auch einen spürbaren Vorteil im Englischunterricht, sagt Yvonne Kuhn.
Das Interesse an dem Angebot wird immer größer
Und nicht nur im Unterricht: Einige der Teilnehmenden geben an, in der Freizeit Filme und Serien auf Englisch zu schauen. Das klappe auch ganz gut, versichern sie. „Besseres Englisch bringt generell was, das hilft in jedem Beruf“, sagt Franziska. Und Hannah fügt an: „Wenn man im Ausland studieren will, bringt das auch Vorteile.“ Nach dem Abschluss der Klasse 10 erhalten die Teilnehmenden ein Zertifikat, sie können den bilingualen Zug aber auch bis zum Abitur weiterführen – entweder in Geografie oder als Seminarkurs. Der Abschluss entspricht dann der Sprachbefähigung auf dem Niveau C1. Einige der Zehntklässler ziehen das in Betracht.
Dass dieser Jahrgang, der erste, der den bilingualen Zug wählen konnte, so motiviert und engagiert ist, imponiert auch den Lehrkräften. „Das ist richtig schön“, findet Leonie Korthals. Ebenso wie Yvonne Kuhn unterrichtet sie Geschichte auf Englisch. Offenbar haben die guten Erfahrungen in der Schule bereits die Runde gemacht, denn: „In den unteren Stufen werden es immer mehr Interessenten.“ Im derzeitigen Vorkurs in Klasse 6 seien 23 Teilnehmende. Natürlich springen immer wieder Schülerinnen und Schüler ab. Das habe auch damit zu tun, dass die Zusatzstunden manchmal zu sehr unbeliebten Terminen stattfinden, etwa freitags in der siebten Stunde, erklärt Yvonne Kuhn.
„Es ist eine Art von Begabtenförderung, keine Nachhilfe in Englisch“
Doch sei der Bili-Unterricht auch nicht für alle geeignet – auch wenn er grundsätzlich erst einmal allen offensteht. „Es ist eine Art von Begabtenförderung, keine Nachhilfe in Englisch“, erklärt Leonie Korthals. Das sei manchen Eltern nur schwer verständlich zu machen. Nach dem ersten Halbjahr geben die Lehrkräfte daher einen Zwischenbericht durch und nach dem Abschluss des Vorkurses sprechen sie eine Empfehlung dafür aus, ob der Schüler oder die Schülerin im bilingualen Unterricht gut aufgehoben wäre.
Gerade der Einstieg ist nämlich nicht ohne, schildern die Zehntklässler. „In Geschichte fand ich es anfangs schwierig, schon weil auch im Deutschen viele neue Begriffe dabei waren“, erklärt Emmi. Bio empfanden die meisten Bili-Schüler als Herausforderung. „Aber mittlerweile ist es leichter, dem Unterricht zu folgen“, sagt Franziska. Und schließlich könne man auch immer bei den Lehrkräften nachfragen, wenn etwas unklar ist. Dass die Jugendlichen nicht ins Deutsche verfallen, darauf hat Yvonne Kuhn ein Auge. Sie ermahnt dann: „We only speak english.“ (Wir sprechen nur Englisch.) Zudem teilt sie eine Vokabelhilfe mit Fachwörtern zum jeweiligen Unterrichtsthema aus.
Mehrarbeit für Schüler und Lehrkräfte
Weitere Themen
Allerdings sind auch im Bili-Unterricht Klassenarbeiten und Vokabeltests angesagt, und zwar in gleicher Häufigkeit wie in anderen Fächern auch. „Wir dürfen aber Wörterbücher nutzen“, erklärt Emmi. „Es scheitert nicht daran, dass einem ein Wort fehlt“, macht auch Yvonne Kuhn klar. Bewertet werde zudem nur der Inhalt der Antworten, führt sie aus. Die Schülerinnen und Schüler können also frei von der Leber weg schreiben. Wichtig ist dabei, dass sie den Unterrichtsstoff verstanden haben.
Für die Jugendlichen bedeutet der bilinguale Zug zusätzlichen Unterricht, aber auch die Lehrkräfte haben dadurch Mehrarbeit. „Von den Schulbuchverlagen gibt es kein entsprechendes Material“, erklärt Yvonne Kuhn. Folglich haben die Lehrerinnen einen erhöhten Aufwand in der Vorbereitung. „In Klasse 10 bietet sich der Geschichtsunterricht aber sehr an“, fügt Yvonne Kuhn hinzu. Hier gehe es viel um Russland, China und die Türkei – viele Quellen hierzu seien sowieso auf Englisch. Ein Austausch mit anderen Schulen mit Bili-Zug (etwa das Backnanger Max-Born-Gymnasium) gestalte sich dahingehend schwierig, dass diese nicht immer die gleichen Fächer in den gleichen Altersklassen anbieten, sagt Leonie Korthals.
Beim Aufbau des Bili-Unterrichts wird stets nachjustiert
Sowohl sie als auch Yvonne Kuhn haben eine bilinguale Zusatzausbildung durchlaufen. Und auch manche Kolleginnen und Kollegen hätten sich nachqualifiziert. Jedoch sei der Pool der Lehrkräfte für den Bili-Unterricht knapp bestückt. „Wir können ihn gut bestreiten, aber es darf halt niemand ausfallen“, sagt Leonie Korthals. Zumal Referendare oft die Zusatzausbildung nicht durchlaufen wollen, weil der Arbeitsaufwand auch so schon sehr hoch sei. „Und bei den Naturwissenschaften gibt es die Kombination mit Englisch nicht so häufig“, fügt sie hinzu.
Auch die Lehrkräfte lernen beim bilingualen Unterricht dazu. Dadurch, dass es den Zug erst seit 2019 am Heinrich-vonZügel-Gymnasium gibt, waren die jetzigen Zehntklässler die Pioniere. „Was die Struktur angeht, sind wir immer am Feintuning“, sagt Leonie Korthals. Den Vorkurs haben die Lehrkräfte etwa schon anders gestaltet als noch vor vier Jahren. „Da ist jetzt auch Methodentraining drin“, so Yvonne Kuhn.
Start Der bilinguale Zug am Heinrich-von-Zügel-Gymnasium ist im Herbst 2019 mit einem Vorkurs gestartet, die ersten Teilnehmenden schließen also diesen Sommer die 10. Klasse ab. Die Sechstklässler werden mit zwei zusätzlichen Wochenstunden in Englisch auf den Bili-Unterricht vorbereitet. Danach können sie sich entscheiden, ob sie künftig den Unterricht in ausgewählten Fächern in Englisch besuchen möchten.
Fächer Zu den Unterrichtsfächern, die auf Englisch angeboten werden, gehören neben Geschichte auch Biologie, Geografie und Chemie. Künftig soll auch Gemeinschaftskunde auf Englisch unterrichtet werden.
Abschluss Die Schüler erhalten nach der Klasse 10 ein Zertifikat, dass sie den bilingualen Zug besucht haben. Sie können diesen aber auch im Abitur weiterführen und so die Sprachbefähigung auf dem Niveau C1 erreichen. Das geht beispielsweise in einem interdisziplinären Seminarkurs.
Zielgruppe Das Angebot richtet sich an leistungsstarke Schüler, die eine Begabung für Sprachen haben, gerne Englisch sprechen, im Unterricht aktiv sind und produktiv mitarbeiten möchten sowie Interesse haben, die Sichtweise anderer Personen kennenzulernen und sich in Menschen anderer Kulturen hineinzuversetzen.