Brüske Abfuhr für unmoralisches Angebot
50 Jahre Gemeindereform: Das Innenministerium favorisiert 1970 eine große Lösung und den Zusammenschluss von Sulzbach mit Großerlach, Spiegelberg, Jux, Nassach und Neulautern. Am Ende reicht es nicht einmal für die kleine Lösung und die Fusion mit den Lautertalgemeinden.
Von Matthias Nothstein
Sulzbach an der Murr. Als die vom Innenministerium geforderte Gebiets- oder Gemeindereform vor über 50 Jahren allmählich Fahrt aufnahm, stand relativ früh fest, dass Sulzbach aufgrund seiner damaligen Größe und vor allem aufgrund seiner verkehrsmäßigen und schulischen Voraussetzungen dazu bestimmt war, „Verwaltungszentralpunkt“ zu werden. Schließlich hatte die Gemeinde damals schon über 4600 Einwohner. Da das Ziel des Ministeriums lautete, Verwaltungseinheiten von mindestens 5000 Einwohnern zu schaffen, hätte die Gemeinde nur noch den Anschluss eines kleinen Dorfes benötigt, um die Wünsche zu erfüllen.
Die Verhandlungen mit anderen Gemeinden wurden daher lange Zeit vernachlässigt. Als Sulzbach dann doch die Finger ins Lautertal ausstreckte, gab es heftige Schelte wegen des Vorgehens. Denn Spiegelberg, Nassach und Jux hatten alle aus Sulzbach gleichlautende Offerten erhalten. Das leicht unmoralische Angebot lautete, dass diejenige Lautertalgemeinde, die sich Sulzbach als Erste anschließt, eine Sonderprämie erhält. Vor allem die Spiegelberger Gemeinderäte wiesen diese Art des Köderns in scharfer Form zurück und sprachen von „Erpressermethoden“. Die Räte seien sich bewusst, „würde eine der angesprochenen Gemeinden dieses Angebot akzeptieren, wäre das Schicksal der übrigen besiegelt“. Die Avance wurde brüsk zurückgewiesen.
Sulzbachs Bürgermeister Willy Ehnis wies seinerseits die Anschuldigungen zurück und sprach Mitte 1971 von einem „fairen Angebot“. Er erinnerte daran, dass es von Anfang an zwei Modelle für Sulzbach gab, eine große und eine kleine Lösung. Das Innenministerium strebte die große Lösung an, wonach die Gemeinden Großerlach, Spiegelberg, Jux, Nassach und Neulautern von Sulzbach aus verwaltet werden sollten. Das Landratsamt Backnang hingegen favorisierte die kleine Lösung, wonach lediglich Großerlach und Bernhalden an Sulzbach angegliedert werden sollten.
In der frühen Phase wollte sich Sulzbach in keiner Weise festlegen
Die Sulzbacher Gemeinderäte erklärten sich schon im März 1970 in einer der ersten Sitzungen zu diesem Thema der Zielplanung gegenüber sehr aufgeschlossen. Das Gremium legte sich jedoch in dieser frühen Phase in keiner Weise fest, obwohl Bürgermeister Ehnis damals schon zum Ausdruck brachte, dass die Planungsvorhaben der Gemeinde Sulzbach bereits auf die große Lösung abgestimmt seien. Konkret nannte er die Schulen und das Kultur- und Sportzentrum.
Der Gemeinderat beschloss laut einem Bericht der Backnanger Kreiszeitung einstimmig, „sich für die Gemeinden Großerlach, Spiegelberg, Jux, Nassach und Neulautern offen zu halten“. Weiter hieß es damals, die Gemeinde sei bereit, „die in der Zielplanung des Innenministeriums aufgeführten Gemeinden oder Teile davon aufzunehmen, sofern deren Selbstständigkeit durch die geplante Verwaltungsreform auf Gemeindeebene aufgehoben wird“.
Ein Jahr später, im März 1971, wurden „die Gemeinden des Kreises Backnang vom Landratsamt ermahnt, in Sachen Gemeindezusammenschlüsse mehr Aktivität zu zeigen“. Bürgermeister Ehnis brachte die Reform daher schon einen Monat später wieder ins Gremium. Die Sulzbacher Räte erneuerten ihr generelles Einverständnis zu den aktualisierten Plänen des Ministeriums und des Regierungspräsidiums. Inzwischen schien es auch sicher, dass Großerlach beim Kreis Backnang beziehungsweise beim anvisierten Großkreis „Waiblingen/Backnang“ bleibt. Gegenüber den früheren Plänen hatte sich nur geändert, dass Neulautern nun nicht mehr zu Sulzbach kommen solle. Die Zurückhaltung beim Werben hatte offensichtlich auch den Grund, dass Sulzbach davon ausging, die Initiative solle von den kleineren Gemeinden ausgehen, da diese durch die Reform immerhin ihre Selbstständigkeit verlieren würden.
Nach dem Weckruf aus dem Landratsamt rechtfertigt Ehnis das Vorgehen der Verwaltung. Zuerst habe man sich in Sulzbach an die Idee des Landratsamts Backnang gehalten. Also: Großerlach zu Sulzbach und eine Vereinigung der Gemeinden Spiegelberg, Jux und Nassach. Deshalb sei es im Mai 1971 zum ersten und einzigen Gespräch mit Großerlach gekommen.
Im Lautertal jedoch zerschlug sich die von den Bürger favorisierte Lösung eines Zusammenschlusses, weil Prevorst und Neulautern dafür nötig gewesen wären. Doch die Bürger beider Dörfer orientierten sich in den Nachbarkreis. Ehnis erklärte, Sulzbach habe den Wunsch der Lautertalgemeinden respektieren wollen, aber aufgrund der Kreisreform sei dies nicht mehr möglich, da die drei übrig gebliebenen Gemeinden nur 1700 Einwohner zählen würden. Ehnis dazu: „Wir wurden im Lautertal tätig zu einem Zeitpunkt, zu dem nach gewissenhafter Prüfung gesagt werden kann, dass Sulzbach an der Murr für alle möglichen Lösungen aus eigener Initiative die Chance gelassen und sich nicht vorgedrängt hat. Ein weiteres Zögern und Zuwarten unsererseits wäre aber nicht länger zu verantworten gewesen, schon allein aus der Tatsache heraus, dass die Mehrzuwendungen sicher in Bälde wegfallen werden.“
Deshalb seien alle drei Gemeinden Mitte Mai gleichzeitig angeschrieben worden. Jux reagierte zuerst und lud die Sulzbacher zu zwei Verhandlungsrunden ein, bei der auch die zu erwarteten Finanzzuweisungen thematisiert wurden. Ehnis bestätigte, dass die Gemeinde, die sich zuerst Sulzbach anschließen würde, einen zusätzlichen Betrag von 15000 Mark jährlich erhalten würde. Und das fünf Jahre lang und dann jeweils 20 Prozent weniger. Weitere Zuschüsse eingerechnet hätte Jux 224000 Mark von Sulzbach erhalten. Ehnis erinnert daran, dass die Vertreter Sulzbachs nicht anders gehandelt hätten als die Gemeinde Spiegelberg, die Jux die Hälfte der Mehrzuweisungen versprochen habe, das wären 210000 Mark gewesen. Deshalb verwahrte sich Ehnis gegen die Vorwürfe von „Judaslohn“ oder „Erpressermethoden“. Eine Konsequenz der Misstöne war, dass die Sulzbacher Verhandlungskommission das finanzielle Angebot „für die erste Gemeinde“ strich.
Sulzbach hat heute auch ohne fremde Zuwächse weit mehr als 5300 Einwohner
Das Resultat der Verhandlungen ist bekannt, trotz aller Verhandlungen konnte keine Einigung für die große Lösung erzielt werden. Sulzbach blieb als eine der wenigen Kommunen unverändert, und die Gemeinden Spiegelberg, Jux und Nassach gingen zusammen, der Zusammenschluss trat am 1. September 1971 in Kraft. Die drei Dörfer haben selbst 50 Jahre danach nur etwas mehr als 2100 Bürger, insgesamt wohlgemerkt. Sulzbach hingegen zählt heute auch ohne fremde Zuwächse immerhin 5330 Einwohner, Tendenz steigend.
Dieter Zahn, seit 1992 Bürgermeister von Sulzbach, erinnert daran, dass die Gemeindereform zum Ziel hatte, die Gemeinden für die Zukunftsaufgaben zu stärken und professionelle Strukturen und Verwaltungen zu schaffen. Themenfelder waren Kläranlagen, Kanalisation, Wasserversorgung, Schulen oder Gewerbe. Im Rückblick urteilt Zahn: „Diese Strukturen und die Verwaltungskraft waren aufgrund der Größe der Gemeinde nach Einwohnern und Fläche in Sulzbach bereits vorhanden. Insoweit war ein weiteres Wachsen nicht zwingend notwendig.“ Nach Zeiten der Schrumpfung im 19. Jahrhundert wäre ein Zuwachs laut Zahn zwar wünschenswert gewesen. Aber: „Es war andererseits auch gut, die seit Langem bestehende Einheitsgemeinde in der bestehenden Form zu belassen.“
Schönheitsfehler Auf der Landkarte machten die Gemeinderäte die Einbuchtung von Bernhalden und Dauernberg als Schönheitsfehler aus. Es handelt sich um Ortsteile, die zu Oppenweiler gehören. Hier müsse die Gemeindegrenze begradigt werden, meinten sie damals. Sie erweiterten ihren Beschluss zur Reform: „Wir erwarten, dass die Gemeindegrenzen im Bereich Bernhalden und Dauernberg geändert werden.“
Umgemeindungen Während Sulzbach in der jüngsten Verwaltungsreform leer ausging, wurden der Gemeinde in früheren Jahren sehr wohl Teilorte zugeschlagen. So wurden Eschenstruet und Hager 1933 von Murrhardt nach Sulzbach „umgemeindet“, ebenso Bushof. Dieser wurde 1928 erstmals als Wohnplatz erwähnt. Andererseits musste Sulzbach auch Federn lassen. So kam Siebenknie 1933 nach Murrhardt. Das Gleiche passierte schon 1858 mit dem Kieselhof.
Großerlach Im Jahr 1848 wurde Großerlach, das mit den Teilorten Kleinerlach, Erlacher Glashütte und Liemersbach vorher zu Sulzbach gehört hatte, eine selbstständige politische Gemeinde.
Verwaltungsverband Die Gemeindereform führte in den Folgejahren zur Bildung des Gemeindeverwaltungsverbandes Sulzbach (GVV), dem die Gemeinden Spiegelberg und Großerlach angehören. Die Satzung wurde am 26. Juni 1974 von vier Gemeinden unterschrieben – Grab war noch selbstständig, die Gemeinde Großerlach entstand erst zum
1. Juli 1974. Die wesentliche Aufgabe ist aus heutiger Sicht die Flächennutzungsplanung. Zeitweise war Sulzbach für die Ausstellung der Reisepässe zuständig. Angedacht war damals auch ein „Verbandsbauamt“, doch daraus wurde nichts.