Die Kleinteiligkeit hat ihre Vorzüge
50 Jahre Gemeindereform Nachdem die Neugliederung der Kreise und Kommunen in Baden-Württemberg rund ein halbes Jahrhundert zurückliegt, haben wir Akteure aus dem Verwaltungswesen gefragt, ob eine solche Reform nicht wieder denkbar oder gar fällig ist.
Von Bernhard Romanowski
Rems-Murr. Die Gefahr, sich beruflich um Kopf und Kragen zu reden, muss Ralf Wörner nicht mehr fürchten bei der Frage, inwieweit die Existenz kleinerer Gemeinden noch zeitgemäß ist. Er kann es entspannt angehen lassen und tut es auch, nachdem er im Frühjahr in den Ruhestand gegangen ist. Über zwei Jahrzehnte leitete er die Geschäfte der Gemeinde Allmersbach, der flächenmäßig kleinsten Gemeinde im Rems-Murr-Kreis. Art und Zuschnitt dieser Kommune findet sich im Südwesten noch vielfach. Daran hat auch die Gebietsreform vor 50 Jahren nicht viel geändert.
Diese Reform von Anfang der 1970er-Jahre erachtet Wörner als „in vielen Fällen gelungen, in vielen aber auch nicht.“ Wichtig bei der Betrachtung der seinerzeitigen Gebietsreform sei die Frage, ob zwei etwa gleich große Gemeinden sich zusammentaten (Zusammenschluss), oder ob eine kleinere in einer größeren aufging (Eingemeindung). Wörner denkt, dass viele kleine Kommunen schlicht das Nachsehen hatten. Deren Bewohner hätten sich oft abgehängt gefühlt. Das sei zum Teil heute noch spürbar. Solche Kommunen hatten zuvor teilweise eigene Strukturen wie Wasser- und Stromversorgung aufgebaut, die nach der Fusion mit einer größeren Gemeinde zum Teil obsolet wurden. Und oft hatten die kleineren Gemeinden eben das Nachsehen, so der Ex-Bürgermeister. „Sie sind oft zu kurz gekommen. Allein schon, was die Wahlarithmetik, also die Vertretung als Teilort in den Gemeindegremien angeht. Und Synergieeffekte sehe ich nicht in allen Fällen gegeben.“ Allerdings sei es eben auch nicht die schiere Größe einer Kommune, die ausmacht, ob sie funktioniert oder nicht. „Die Zukunftsfähigkeit hat mit der Größe nichts zu tun.“
Ralf Wörner ist ein großer Fan der interkommunalen Zusammenarbeit, also der Kooperation der Kommunen in bestimmten Bereichen. Im Weissacher Tal sei die interkommunale Zusammenarbeit jedenfalls hervorragend umgesetzt, was ein Blick auf beispielsweise das Bildungszentrum Weissacher Tal beweise, das von vier Kommunen gemeinsam als Schulträger-Zweckverband betrieben wird. Auch etwa im Bereich Hochwasserschutz, der Streuobstwiesenpflege, beim Wein (Schwäbisches Mostviertel) und der Landschaftsgestaltung bestehen solche Kooperationen. „Hier gibt es noch viel Potenzial in der Nutzung von Synergieeffekten“, ist sich Wörner sicher. Im Bereich Klimaschutz seien solche Kooperationen besonders sinnvoll, da könne nicht jede Gemeinde für sich agieren. Doch wenn die Gemeinden in der Verwaltungsgemeinschaft Backnang ohnehin schon vielfach zusammenarbeiten, wäre da ein Zusammenschluss als Großgemeinde nicht sinnvoll und kostensparend, zumal das Verwaltungspersonal betreffend? Wörner winkt ab. „Damit wäre nichts gewonnen“, meint er. Für die Bürger der kleineren Gemeinden würde es einen Serviceverlust bedeuten, weil sie etwa zur Erledigung ihrer Amtsgänge weiter fahren müssen und nicht mehr einfach ins nahe gelegene Rathaus schlendern können. Haushaltstechnisch sei damit auch nichts gewonnen. Die Kosten, die ein Kindergarten verursacht, stellen bekanntermaßen einen großen Ausgabenblock in jedem Etat dar. „Mit einer Gebietsreform fange ich das auch nicht auf. Es ist wichtig für die Bürger, ihren Bürgermeister oder ihre Bürgermeisterin und eine eigene Gemeindeverwaltung zu haben. Und es ist demokratischer“, so der Ex-Schultes. Die Lösung mit den kleineren Kommunen, die zwar zusammenarbeiten, aber ihre Eigenständigkeit behalten, sieht Wörner als demokratischer an als es sich in Großgemeinden gestaltet. „In Deutschland sind die Entscheidungsprozesse durch den Föderalismus oft langsamer und zäher, weil es dauern kann, bis sich die Ministerpräsidenten der Länder geeinigt haben. „Aber dieses System erlaubt eben auch mehr Meinungsvielfalt, mehr Ideen. Dass wir in Deutschland vergleichsweise gut durch die Coronakrise gekommen sind, hat auch mit dem Föderalismus zu tun. Wir brauchen auch Föderalismus im Kleinen,“ so Wörner zur kommunalen Eingeständigkeit.
Und wie steht man im Kreishaus in Waiblingen zur Gebietsreform und zur Frage, ob nicht längst wieder eine Reform dieser Art fällig ist? „Wenn sich jemand bewährt in der Coronapandemie, dann ist das die kommunale Familie – bestehend aus Städten, Gemeinden und dem Landkreis“, sagt Landrat Richard Sigel. Mit Blick auf dieses gefestigte Miteinander im Rems-Murr-Kreis dürfe man rund 50 Jahre nach der Gemeinde- und Kreisreform selbstbewusst in die Zukunft blicken. Schließlich brauche es schlagkräftige und leistungsfähige Kommunen und Landkreise für die Bewältigung der Herausforderungen unserer Zeit. Sigel: „Das zeigt nach der Flüchtlingskrise aktuell die Coronapandemie eindrucksvoll. An Spekulationen, was sich an der Gebietsstruktur im Rems-Murr-Kreis im Allgemeinen und an der Gliederung seiner angehörigen Kommunen vielleicht noch verbessern ließe, will sich der Kreischef indessen nicht beteiligen, wie er mitteilt.
Serienende Mit dieser Folge endet unsere Reihe „50 Jahre Gemeindereform“. Alle erschienenen Folgen findet man online unter www.bkz/serien/.
Zukunftspläne Auf unsere Nachfrage, ob dem Innenministerium Gedankenspiele oder gar Pläne bekannt sind, die einen neuen Zuschnitt der kommunalen
Gebietskörperschaften vorsehen, haben wir eine klare, wenn auch einsilbige Antwort erhalten: „Nein.“
Leistungsfähigkeit Auf die Frage, was gegen eine Neuordnung spreche, antwortet das Innenministerium: Die Landesregierung sieht keinen Änderungsbedarf im Hinblick auf Zuschnitt und Größe der Kommunen und Landkreise in Baden-Württemberg. Die vorhandenen räumlichen Strukturen erweisen sich als bewährte Grundlage für eine leistungsfähige öffentliche Verwaltung und als stabiler Rahmen für eine örtliche Gemeinschaft, mit der sich die Bürgerinnen und Bürger identifizieren können. Umfassendere Aufgaben, wie zum Beispiel der Breitbandausbau, die einzelne Kommunen unter Umständen an die Grenzen ihrer Leistungskraft bringen könnten, können in den bestehenden Gebietszuschnitten gegebenenfalls im Rahmen der interkommunalen Zusammenarbeit gut bewältigt werden.“
Rückbau Auch die Frage, ob es vielleicht sogar Bestrebungen gibt, den Zuschnitt der Gebietskörperschaften auf den Status vor der Reform vor 50 Jahren zurückzusetzen, wird vom Ministerium klar verneint.
Befürchtungen Also hat sich die letzte Gebietsreform aus Sicht des Innenministeriums bewährt? „Die Gebietsreform hat zu einer leistungsfähigeren und effizienteren öffentlichen Verwaltung geführt, die auch aufgrund des neuen Gebietszuschnitts ihre Aufgaben besser als in der vorangegangenen kleinteiligen Struktur wahrnehmen kann. Sie hat sich deshalb nach Auffassung der Landesregierung bewährt. Befürchtungen hinsichtlich einer bürgerfernen Verwaltung haben sich nicht bewahrheitet“, so die Antwort aus Stuttgart.