Die flächengrößte Kreiskommune entsteht
50 Jahre Gemeindereform: Im Zuge der Verhandlungen mit diversen Anwärtern für eine Eingemeindung nach Murrhardt gibt es so gut wie alle Konstellationen – Einigkeit, ein Sich-Fügen, ein Hin und Her aufgrund von Interessenskonflikten und klare Absagen der einen oder anderen Seite.
Von Elisabeth Klaper
und Christine Schick
Murrhardt. Als sich Murrhardt sowie die Nachbargemeinden im Zuge der Gemeindereform vor 50 Jahren auf den Weg machen mussten, um in Abstimmung mit den übergeordneten Behörden zu überlegen, wie die künftigen Zusammenschlüsse aussehen sollten, gab es einige spannende Ausgangskonstellationen – und auch Konflikte. Das Regierungspräsidium und Landratsamt schlugen mit Blick auf die Walterichstadt die Eingemeindung von Fornsbach, Kirchenkirnberg und Grab vor. Zwischen den Kommunen bestanden seit Langem vielfältige Beziehungen. Vorstellbar schien – je nach dem Stimmungsbild in den Gemeinden oder kleineren Einheiten – auch ein Anschluss der Fichtenberger Ortsteile Plapp-, Retzen- und Rupphof sowie Hornberg genauso wie Fautspach, das zur damaligen Gemeinde Sechselberg gehörte. „Nach der Zielplanung des Landes sollen die Gemeinden Fornsbach, Kirchenkirnberg und Grab mit Murrhardt künftig eine Verwaltungseinheit bilden. Alle Bürger sollen gleiche Entwicklungschancen haben, egal wo sie wohnen“, erläuterte Murrhardts Bürgermeister Helmut Götz im Rechenschaftsbericht zur Gemeindereform bei einer Bürgerversammlung im Juni 1971. Die Walterichstadt konnte mit Sonderzuweisungen des Landes rechnen und sah Entwicklungschancen in Bezug auf Gewerbegebiete und Tourismus. Im Gegenzug hieß es, den Partnern in puncto Infrastruktur unter die Arme zu greifen.
In Fornsbach befanden sich die rund 1300 Einwohner 1971 insofern in einer besonderen Situation, da ihr Bürgermeister Emil Kasper in den Ruhestand gehen wollte und sich für eine Wahl kein fachlich qualifizierter Bewerber fand. So signalisierte der Gemeinderat seine Bereitschaft für Gespräche über eine mögliche Eingemeindung. Anfangs lehnten die Einwohner Fornsbachs diese noch ab, aber die Verantwortlichen setzen auf Aufklärungsarbeit. Sie machten deutlich, dass die Gemeinde den erforderlichen Ausbau der Infrastruktur nicht alleine würde stemmen können. Punkten konnte Fornsbach wiederum bei der Walterichstadt mit dem vorbildlich geführten Waldseegelände. Man einigte sich darauf, dass die Verwaltungsstelle im Fornsbacher Rathaus auch künftig von einem Fachmann besetzt sein würde. Nach einer Bürgeranhörung stimmten 55,1 Prozent für die Eingliederung. Der Fornsbacher Gemeinderat wählte drei Vertreter für das Murrhardter Stadtparlament und es entstand ein gemeinsamer Waldseeausschuss.
In Kirchenkirnberg war die Konstellation in Hinsicht auf die Führungsfigur ähnlich: Bürgermeister Friedrich Krauss wollte sich nach dem Ende seiner Amtszeit 1973 nicht mehr zur Wahl stellen, und so musste die Gemeinde über ihre Zukunft entscheiden. Allerdings war der Vorschlag zuvor gewesen, dass sich Kirchenkirnberg Gschwend anschließt, was bei einem Großteil der Bevölkerung nicht auf Gegenliebe stieß. Zwischen Murrhardt und Kirchenkirnberg bestanden mehr Beziehungen und bessere Verkehrsverbindungen, die Walterichstadt verfügt über einen Bahnhof und einige Kinder und Jugendliche besuchten Murrhardter Schulen. Man wandte sich an den Landtag und es wurden Verhandlungen mit der Stadt Murrhardt aufgenommen. Bei der Abstimmung nach der Bürgeranhörung, bei der sich 58 Prozent beteiligten, fiel das Ergebnis eindeutig aus. 94 Prozent befürworteten den Anschluss an Murrhardt. Der gemeinsame Vertrag wurde unterzeichnet und zwei Gemeinderäte stießen als Vertreter Kirchenkirnbergs zum Murrhardter Gremium. Angesichts der Tatsache, dass bei der Abstimmung nur 58 Prozent teilnahmen, ist zu vermuten, dass der Anschluss Kirchenkirnbergs nicht nur Befürworter hatte. Zeitzeuge Erich Wohlfarth erinnert sich: „Bei der Gemeindereform waren zahlreiche Einwohner für eine Eingemeindung nach Gschwend. Allerdings befürchteten sie verschiedene Nachteile, wenn Kirchenkirnberg zum Kreis Schwäbisch Hall oder zum Ostalbkreis zugeordnet worden wäre, auch da Gschwend eine eher ländliche Kommune war, Murrhardt hingegen eine Stadt mit städtischen Einrichtungen.“ Rolf Schweizer, Murrhardter Altstadtrat, sagt sogar: In Kirchenkirnberg „gab es aus unterschiedlichen Gründen Abneigungen gegen die Walterichstadt, etliche Einwohner wollten trotz großer Finanzprobleme der Gemeinde auch nicht zu anderen Nachbarkommunen und die Selbstständigkeit beibehalten“. Eine weitere Facette war, dass durch die Notwendigkeit, sich zwischen zwei möglichen Partnern zu entscheiden, innerörtliche Konflikte entstanden. Paradebeispiel in dieser Hinsicht ist Fautspach, das vor der Gemeindereform Teilort von Sechselberg war. Zunächst wollten sich die Fautspacher Murrhardt anschließen, was sie auch in einer Bürgeranhörung mehrheitlich beschlossen hatten. Allerdings traten später 45 Bürger auf den Plan, die in einem Aufruf erklärten, gegen die Eingemeindung zu sein, und sich bei einer erneuten Abstimmung durchsetzten. Über die Hintergründe berichtet Rolf Schweizer: Die Mehrheit der Einwohner, meist Landwirte, seien für Murrhardt, eine von Handwerkern und Geschäftsleuten beeinflusste Minderheit aber für Althütte gewesen. In Grab, das eigentlich Murrhardt angegliedert werden sollte, entwickelten sich ebenfalls Konflikte. „Es gab Verhandlungen zwischen Murrhardt und Grab, doch bestand ein großes Problem. Erich Schunter war zugleich Bürgermeister von Großerlach und von Grab, und ihm war es wichtig, dass beide Gemeinden zusammenbleiben“, erzählt Rolf Schweizer. Und Schunters Ehefrau, die Gemeindeschwester und Sozialfürsorgerin war, habe sich ebenfalls stark für das Ziel ihres Mannes eingesetzt, vor allem bei alten und kranken Einwohnern. Auch finanzielle Aspekte spielten eine Rolle. Die Einwohner vom Plapp-, Retzen- und Rupphof sowie von Hornberg „befürchteten, die Abgaben seien in Murrhardt viel höher als in Fichtenberg“, darum stimmten sie gegen die Eingemeindung nach Murrhardt, berichtet Zeitzeuge Heinz Goller. Die umgekehrte Konstellation gab es ebenfalls: Fichtenberg und Spiegelberg, die an einer Eingemeindung nach Murrhardt interessiert waren, bekamen von der Walterichstadt eine Absage. Und Wolfenbrück, das sich zumindest teilweise der Stadt zugehörig fühlte, entschied sich letztlich doch für Oberrot.
Alles in allem bewertet Rolf Schweizer den Prozess heute folgendermaßen: Die Gemeindereform „brachte manche Probleme für die Stadt und die Notwendigkeit zum Ausbau und zur Vereinheitlichung der Infrastruktur mit sich“. So waren erhebliche Investitionen erforderlich, um die Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung auszubauen. Zudem gab es verschiedene Elektrizitätsversorger. „Es dauerte einige Jahre, bis die Lebensverhältnisse in Fornsbach und Kirchenkirnberg sich auf einem vergleichbaren Niveau wie in der Kernstadt befanden“, resümiert Schweizer.
Für Heinz Goller hat sich die Eingemeindung Fornsbachs nach Murrhardt insgesamt positiv ausgewirkt: Der Ort erlebte einen Aufschwung, dank der Ausweisung mehrerer neuer Wohngebiete stieg die Einwohnerzahl deutlich. Zudem siedelten sich verschiedene Unternehmen und Betriebe in den neuen Gewerbegebieten an. Das Vereinsleben, bereichert durch die Gründung des Musikvereins 1971, bekam mit dem Bau der Gemeindehalle Mitte der 1980er-Jahre ein Zentrum für Treffen, Proben und Veranstaltungen. Und der Waldsee mit seinen diversen Einrichtungen ist nach wie vor ein über die Region hinaus beliebtes Freizeit- und Erholungsgebiet. Auch Rolf Kirschbaum zieht eine überwiegend positive Bilanz der Gemeindereform für Kirchenkirnberg: Für den Stadtbezirk waren mit dem Anschluss große Investitionen in die Infrastruktur und öffentliche (Freizeit-)Einrichtungen möglich. Beispiele sind der von der Stadt geförderte evangelische Kindergarten, der Bau der Gemeindehalle, die Erschließung neuer Baugebiete und der Bau von Spielplätzen. Hinzu kommt die Förderung des kulturellen Lebens und der Vereine.
Auch Bürgermeister Armin Mößner sieht die Gemeindereform positiv: „Durch die Zusammenführung von Murrhardt, Fornsbach und Kirchenkirnberg ist die flächengrößte Kommune im Rems-Murr-Kreis entstanden. Zum 1. Juli 1971 kam zusammen, was heute selbstverständlich zusammengehört, und die gute Entwicklung seit der Zusammenführung zeigt, dass es damals ein Schritt in die richtige Richtung war. Zur gedeihlichen Entwicklung der letzten 50 Jahre haben alle Einwohnerinnen und Einwohner in vielfältiger Weise beigetragen.“
„Es dauerte einige Jahre, bis die Lebensverhältnisse in Fornsbach und Kirchenkirnberg sich auf einem vergleichbaren Niveau wie in der Kernstadt befanden.“