Cyberkriminalität und Gewalt nehmen im Raum Backnang zu
Die Kriminalitätsstatistik des Polizeipräsidiums Aalen verzeichnet für 2023 steigende Fallzahlen in fast allen Bereichen. Teilweise sei dies eine Normalisierung gegenüber den Pandemiejahren, doch Polizeipräsident Reiner Möller sieht auch Anzeichen von Verrohung in der Gesellschaft.
Von Kai Wieland
Rems-Murr. Stolze 184 Seiten umfasst der Jahresbericht des Polizeipräsidiums Aalen für das Jahr 2023. Präsident Reiner Möller stellt bei der Kriminalitätsstatistik in vielen Bereichen eine Rückkehr zur „Normalität“ gegenüber den Pandemiejahren fest, gleichzeitig machten sich weiterhin verschiedene globale Entwicklungen auch im Rems-Murr-Kreis, im Ostalbkreis und im Kreis Schwäbisch Hall bemerkbar. „Die Energiekrise, die Inflation, aber auch weltweite Krisenlagen, etwa die Kriege in der Ukraine und in Israel, wirken sich aus.“ Es sei daher eine langfristige Betrachtung der Zahlen notwendig, um Aussagen über die Entwicklungen in der Region treffen zu können.
Insgesamt hat die Zahl der Straftaten, die im Jahr 2023 beim Polizeipräsidium Aalen bekannt geworden sind, um sieben Prozent gegenüber dem Vorjahr zugenommen – die Rede ist von 38107 Fällen, womit man sich auf einem ähnlichen Niveau wie im Jahr 2014 (39047 Fälle) bewegt. Die Aufklärungsquote liegt dem Bericht zufolge bei 60 Prozent.
Geografisch schwanke die Verteilung der Straftaten allerdings stark, betont der Polizeipräsident. So liegt die Häufigkeitszahl, also die begangenen Straftaten je 100000 Einwohner, im Rems-Murr-Kreis mit 4356 deutlich über den Werten des Ostalbkreises (3808) und des Kreises Schwäbisch Hall (3500). In der Stadt Backnang beträgt die Häufigkeitszahl gar 5540, die Aufklärungsquote ist mit 67,9 Prozent jedoch ebenfalls überdurchschnittlich hoch. „Eine hohe Bevölkerungsdichte, die Anbindung nach Stuttgart und Verkehrswege wie die B29, die B14 oder die Bahnstrecken bewirken andere Tatstrukturen als im ländlichen Bereich“, so Möller. Unter den 13 Polizeipräsidien in Baden-Württemberg weist Aalen die drittniedrigste Häufigkeitszahl aus.
Mehr Diebstähle und Einbrüche im Kreis
Den größten Anteil der erfassten Fälle stellen mit 27 Prozent die Diebstahlsdelikte, bei denen im Rems-Murr-Kreis gegenüber dem Vorjahr ein Anstieg von knapp 14 Prozent zu verzeichnen ist, vor allem im Bereich der Ladendiebstähle (1053 Fälle). Insbesondere die steigende Zahl von Straftaten durch Kinder (unter 14 Jahre) und Jugendliche (14 bis unter 18 Jahre) – eine Entwicklung, die Möller besondere Sorge bereitet – fällt schwerpunktmäßig in diesen Bereich.
Auffällig ist im Rems-Murr-Kreis außerdem die gestiegene Zahl von Wohnungseinbrüchen. Gegenüber dem Vorjahr ist diese von 130 auf 211 Delikte um 62 Prozent angewachsen, nachdem sie sich während der Pandemiejahre auf einem deutlich niedrigeren Niveau bewegt hatte. „Die reisenden Tätergruppen sind wieder mehr unterwegs“, stellt Reiner Möller fest. Allerdings sei es in rund 40 Prozent der Fälle beim Versuch geblieben, entweder aufgrund von Sicherungsmaßnahmen am Gebäude oder weil aufmerksame Nachbarn zugegen waren. „Wenn es nicht binnen weniger Minuten klappt, ziehen die Täter meistens weiter“, erklärt Möller. Die Gesamtschadenssumme sei über die drei Kreise hinweg dennoch um 32 Prozent auf rund 1,2 Millionen Euro angewachsen.
„Aber wieso bricht man heutzutage überhaupt noch ein?“, fragt der Polizeipräsident und schlägt damit den Haken zum immer komplexer werdenden Feld der Cyberkriminalität. 3543 Straftaten, 17 Prozent mehr als im Vorjahr, hat das Polizeipräsidium Aalen 2023 erfasst, davon 1711 im Rems-Murr-Kreis. Die besondere Schwierigkeit dabei: Ein Großteil der Delikte wird aus dem Ausland begangen und fließt daher gar nicht in die offizielle Statistik ein. „Schockanrufe beispielsweise erfolgen überwiegend aus ausländischen Callcentern.“ Die Maschen ändern sich dabei stetig. „Der falsche Polizeibeamte kommt aktuell nur noch selten vor, dafür gibt es sehr viele Betrugsnachrichten und -anrufe per Whats-App“, so Möller. Davon werde allerdings nur ein kleiner Teil angezeigt. Die Senkung der Erfolgsquote von Straftaten gegen ältere Menschen definiert er als einen der aktuellen Handlungsschwerpunkte.
Verrohung der Gesellschaft nimmt zu
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Ebenfalls einen Handlungsschwerpunkt bilden Aggressionsdelikte im öffentlichen Raum, die zwar nur einen kleinen Teil aller Straftaten im öffentlichen Raum ausmachen, jedoch viel Aufmerksamkeit erfahren und das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung daher stark beeinträchtigen. „Wir stellen eine zunehmende Verrohung in der Gesellschaft fest, in der Wut und Streitigkeiten immer schneller in Gewalt umschlagen“, erklärt Möller. Bei etwa einem Viertel der Taten handelt es sich um schwere oder gefährliche Körperverletzungen. Im Rems-Murr-Kreis wurden 1052 Aggressionsdelikte im öffentlichen Raum dokumentiert, außerdem 49 Messerangriffe gegenüber 37 derartigen Fällen im Vorjahr.
Die zunehmende Gewaltbereitschaft spiegelt sich auch in der Gewalt gegen Polizeibeamte und Rettungskräfte, die im Rems-Murr-Kreis um 17 Prozent auf 185 Fälle gewachsen ist, sowie bei der Gewalt gegen (ehemalige) Partner, von der im Kreis 712 Delikte festgestellt wurden. Einer der wenigen Bereiche, in denen die Fallzahlen gesunken sind, ist die politisch motivierte Kriminalität: 155 derartige Taten wurden im Rems-Murr-Kreis festgestellt, davon waren 70 dem rechten Spektrum zuzuordnen und 26 dem linken, der Rest entfiel auf religiöse (6), ausländische (13) oder sonstige (40) Ideologien. „Der Rückgang erklärt sich vor allem dadurch, dass es keine Montagsdemonstrationen mehr gibt“, sagt Möller.
28 Fälle von Mord, Totschlag oder fahrlässiger Tötung
Leider kam es auch im vergangenen Jahr zu besonders schweren sogenannten Straftaten gegen das Leben: 28 Fälle von Mord (4), Totschlag (20) und fahrlässiger Tötung (4) weist die Statistik auf, zwölf davon im Rems-Murr-Kreis. Von den 37 Tatverdächtigen waren 35 männlich.
Ein Rückgang von 23 Prozent ist im Kreis bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu verzeichnen, allerdings bildete das Jahr 2022 hier auch einen traurigen Höhepunkt, sodass das Niveau nach wie vor hoch ist. Auffällig ist dabei, dass die Mehrheit der 73 Opfer (darunter ist ein Mann) eine zumindest flüchtige Bekanntschaft zum Täter hatte.