Das rote Samtkleid hängt noch immer im Schrank
Ute und Peter Saczinowski aus Sulzbach sind seit 60 Jahren verheiratet. In der Tanzstunde haben sie sich kennengelernt.

© Jörg Fiedler
Vor 60 Jahren haben sich Ute und Peter Saczinowski das Jawort gegeben. Foto: J. Fiedler
Von Renate Schweizer
SULZBACH AN DER MURR. Schon die Geburtsdaten und -orte der beiden führen mitten hinein ins Auge des Orkans. Ute Saczinowski (sprich: Saschinowski) ist 1939 in Breslau (heute: Wroclaw in Polen) geboren. Keine drei Monate nach ihrer Geburt begann der Zweite Weltkrieg mit dem Überfall Deutschlands auf Polen. Peter Saczinowski ist drei Jahre älter, geboren 1936 in Berlin. So etwas wie unbeschwerte Kindheit gab es in diesen Jahrgängen nirgends in Europa – in Berlin und Breslau aber ganz sicher nicht.
Ausgebombt, evakuiert (er ausgerechnet in einen Vorort von Dresden, das 1945 vollkommen zerstört wurde), wieder ausgebombt, vertrieben, das Lager in Frankfurt an der Oder – kaum zu fassen, mit welch pragmatischer Nonchalance Ute Saczinowski die Stationen ihrer Kindheit und der ihres Mannes schildert: „Man darf sich nicht beschweren, wir waren ja selber schuld, wir Deutschen.“ Sie war noch keine sechs Jahre alt, als sie, die Jüngste von vieren, an der Hand der Mutter 1945 nach Berlin zurückkam.
Alle Habseligkeiten, die ihnen geblieben waren, hatte die Mutter in einem Kinderwagen verstaut, der Koffer mit den Papieren war ihnen gestohlen worden. „Im Hansa-Viertel stand noch ein einziges Haus“, erzählt sie. Man spürt, wie lebendig das Bild in ihr ist: „Ein einziges Haus inmitten der Trümmer und das war die Polizeistation, in der wir uns melden mussten.“ Jetzt, wo sie beide über 80 sind, kehrt der Schrecken immer öfter wieder: „Neulich knallte es irgendwo, ich weiß nicht mehr, ob mir was runtergefallen war, da fing Peter an zu zittern und dachte, es geht wieder los.“
Trotzdem, es ging weiter, ganz „normal“ halt: Schule, Ausbildung (sie zunächst Schneiderin, er Kaufmann), Tanzstunde. Tanzstunde, ja genau. Beim Abschlussball lernten sie sich kennen, das war am 30. März 1958. „Der Weltuntergang fand am 30. März 1958 statt“, witzelt Peter seitdem – aber so dramatisch war’s gar nicht. Man traf sich dann eben wieder, „wie das in Berlin üblich war: am Bahnhof Zoo unter der Uhr“. Pragmatismus hin, Weltuntergang her – das rote Samtkleid, das sie trug, als sie Peter zum ersten Mal sah, das hängt noch im Schrank, das ist über alle Stationen des Lebens, die da noch kommen sollten, mitgegangen. „Es passt nicht mehr“, sagt sie trocken, „ich bin stärker geworden.“
Peter Saczinowski hatte damals schon eine Jolle, ein kleines Segelboot, auf einem der vielen Berliner Gewässer liegen. Und das Segeln wurde auch zum gemeinsamen Hobby, das sie bis zur goldenen Hochzeit 2011 miteinander verband. 1960 ging sie zur Ausbildung als Bekleidungstechnikerin nach Kirchheim am Neckar, er folgte ihr ein paar Monate später und fand eine Stelle in Stuttgart.
Und dann wurde geheiratet. „Mussten wir ja“, erklärt Ute lapidar, „man hätte ja sonst keine Wohnung bekommen.“ 1961 war standesamtliche Trauung am 4. Februar und etwa zwei Monate später die kirchliche Hochzeit. Ihre Mutter wollte da aus Berlin kommen und seine Großmutter, und ein Freund, der schon ein Auto hatte, wollte sie nach Süddeutschland fahren. Aber dann ging das Auto kaputt und ein anderer sprang mit seinem ein und so fuhren sie zu viert bis nach Kirchheim. Wo denn grade die Hochzeit sei, fragten sie am Ortseingang und man lotste sie zur Kirche, wo die Hochzeit in vollem Gange war. Sie warfen sich auf die Kirchenbänke, bis das Brautpaar sich zur Gemeinde umdrehte: Es war das falsche. Sie waren nach Kirchheim unter Teck gefahren, während Ute und Peter in Kirchheim am Neckar auf sie warteten.
Die hatten inzwischen die Trauung verschoben, weil die Gäste nicht kamen, und das Essen in der Wirtschaft storniert. Geheiratet wurde dann halt ein paar Stunden später. Sie lachen noch heute über diese Geschichte. „Meine Geschwister heirateten innerhalb von ein paar Monaten alle grade selbst und Geld, um zu kommen, hatte sowieso keiner“, erzählt Ute Saczinowski. Aber vor zehn Jahren zur goldenen Hochzeit, da sind sie alle gekommen. „Das war ein richtig tolles Fest!“
Jetzt zur diamantenen Hochzeit wird’s ruhiger werden, nicht nur wegen Corona. „Von meinen Geschwistern lebt nur noch eins“, sagt die Jubilarin wehmütig. Aber die Saczinowskis wären nicht sie selbst, wenn sie jammern würden. Die beiden Töchter werden kommen „und das ist auf jeden Fall schon ein Fest“, sagt Ute Saczinowski, auch dann, wenn sie coronabedingt nacheinander kommen statt gleichzeitig. Aus dem, was ist, das Beste machen – wenn jemand das von der Pike auf gelernt hat, dann doch wohl die Saczinowskis. Eine Frage noch zum Schluss, die obligatorische Abschlussfrage, was sie beide denn wohl zusammengehalten habe. „Kameradschaft kittet“, antwortet sie. „Wir waren immer gute Kameraden – und Glück natürlich, ein bisschen Glück gehört auch dazu.“