Der Geist des Rostelschäfers findet keine Ruhe

Eine uralte Geschichte handelt von einem jungen Mann aus Sulzbach, der seine Geliebte ermordet haben soll und dafür hingerichtet worden ist

Im Lautertal soll’s spuken. Und zwar nicht nur an Halloween. So jedenfalls erzählt es eine uralte Geschichte. Danach soll der junge Rostelschäfer seine Geliebte ermordet und verscharrt haben. Er wurde des Verbrechens überführt und hingerichtet. Seither verängstigt der Geist des Rostelschäfers die Menschen im Raum Sulzbach.

Der Mörder bringt die Leiche seiner Geliebten mit einem Leiterwägelchen in den Wald unterhalb des Rostel-Bergrückens. Illustration: Magdalena Gruber

Der Mörder bringt die Leiche seiner Geliebten mit einem Leiterwägelchen in den Wald unterhalb des Rostel-Bergrückens. Illustration: Magdalena Gruber

Von Ute Gruber

SULZBACH AN DER MURR. Harmlos liegt das Dörfchen Lautern im warmen Licht der herbstlichen Abendsonne. Ab und zu gackert ein Huhn, bellt ein Hund. Aus einem Kamin steigt Rauch – jemand hat schon Feuer im Ofen gemacht, denn die Nächte werden jetzt kühl. Jenseits der Lauter, die sich von Weiden und Erlen gesäumt durchs Wiesental in Richtung Murr schlängelt, erhebt sich düster ein Bergkamm: der Rostel. Aufsteigend vom Murrtal aus, zieht sich der Grat Richtung Westen, auf halber Höhe immer begleitet von einem alten Saumpfad – war doch in früheren Zeiten die sumpfige Talaue meistens nicht passierbar. Hier sollen schon die alten Römer vor fast 2000 Jahren von ihrer Garnison in Benningen zum vorgelagerten Murrhardter Kastell marschiert sein. Auch wurde wohl Salz aus dem Bergwerk in Heilbronn auf dieser Route transportiert.

Möglicherweise geht der Name der Bergnase auf eine frühere Burg zurück, die Lage wäre günstig und würde die hochdeutsche Lesart des Rossstalls erklären. Die Erklärung, dass vielleicht an dieser Stelle wegen der Steigung zusätzliche Pferde vorgespannt wurden, so wie im weiteren Verlauf, wo es bei Spiegelberg eine Untere und eine Obere Roßstaig gibt, ist eher unwahrscheinlich, da es sich dem Vernehmen nach um reine Fußwege gehandelt haben soll. Diese konnten freilich auch von Reitern oder mit Tragtieren wie Eseln oder Maultieren benutzt werden.

Eins jedenfalls ist sicher: An diesem heute so friedlichen Ort muss sich vor langer Zeit eine Tragödie um eine nicht standesgemäße Liebe ereignet haben. So zumindest lautet die Sage. Die Kinder der Familie Magenau sind in den 50er-Jahren in Lautern aufgewachsen. „Gucket, dass ihr hoim kommet, wenn’s Nacht wird“, wurden die Lausbuben beim Spielen nach Feierabend aufgefordert, „sonscht holt euch d’r Roschtlschäfer.“ Was andernorts der Nachtkrabb ist, war in Lautern der ruhelose Geist eines unglückseligen Mörders. Barbara Gruber geborene Magenau hat dessen Geschichte eindrücklich erzählt. Früher wurden die steilen Hänge der Bergflanken mit Schafen abgeweidet, das war auch noch vor 100 Jahren üblich. Heute steht hier Wald. Oft verdingten sich junge Burschen ohne Besitz als Schafhirten und hüteten für andere Leute die Tiere. Damit standen sie im Ansehen unter den Bauern, die Vieh und Felder besaßen.

Der Schafhirte in der Geschichte – nennen wir ihn Jakob – war wahrscheinlich ein attraktiver Bursche, jedenfalls war ihm eine ledige Bauerntochter Marie zugeneigt. Obwohl sie wusste, dass ihre Eltern die Verbindung nicht gutheißen würden. Heimlich haben sie sich immer wieder getroffen und es blieb nicht bei einer rein platonischen Beziehung, denn es heißt, sie habe ein Kindlein erwartet.

Wie zu erwarten ward der Vater des Mädchens zornig und versagte den beiden sein Einverständnis zur Heirat. Damit war in früheren Zeiten die Sach g’schwätzt. Warum nun Jakobs Wut sich gegen das Mädchen richtete, wird nicht erzählt. Vielleicht hat sie ihn verspottet oder ihm Vorwürfe gemacht? Vielleicht war er einfach jähzornig? Jedenfalls hat er sie wohl im Affekt umgebracht, dann des Nachts mühselig mit dem Leiterwagen ein Stück den steilen Rostel hinauf geschunden und dort heimlich verscharrt, um keine Spuren zu hinterlassen. In einer anderen Version heißt es: Er sei ihrer überdrüssig geworden und wollte sie loswerden. Dazu hätte er freilich auch fortgehen können. Sei’s drum: Tot ist tot.

Zu seinem Pech hatte er ein wichtiges Detail übersehen: Als fleißiges schwäbisches Mädchen hatte Marie nämlich ihr Strickzeug dabei, vielleicht in ihrer Schürzentasche. So konnten die Frauen früher auch mal mit ihren Handarbeiten zusammensitzen und schwatzen, ohne sich gleich des Müßiggangs schuldig zu machen. Als es nun den Hang hinaufging, kullerte das Wollknäuel aus dem Wägelchen, in das der Schafhirte die tote Braut gehievt hatte, und wickelte sich nach und nach ab.

Am nächsten Tag suchte man nach dem verschwundenen Mariele, fand das Ende des Garns und folgte diesem Ariadnefaden bis zu der Stelle, wo das Gewaltopfer begraben lag. Der Schuldige war schnell ermittelt, verurteilt und wurde hingerichtet. Enthauptet, wie es heißt. So sorgte ein schlichter Wolleböbbel für Gerechtigkeit.

Der Geist des Mörders fand keine Ruhe und soll seitdem am Tatort sein Unwesen treiben. Gottlob Stricker aus den „Baurelautern“ hatte vor über 100 Jahren als Bub noch die Aufgabe, auf den Wiesen an der Lauter die Schafe zu hüten. Er hat seinen Enkel Markus später vor dem Rostelschäfer gewarnt, denn damals hörte er ein paar Mal nachts Geräusche vom Rostel herüber, als wie wenn ein Mensch einen Leiterwagen ziehe und wegen der schweren Last heftig schnaufen müsse. „Mein Großvater war ein tiefgläubiger Mensch“, erzählt Markus Stricker, „dem war das todernst.“

Den Gründer von Wendrsonn hat diese Geschichte so sehr berührt, dass er einen Song darüber geschrieben hat, in Schwäbisch natürlich und mit einer schwermütigen Melodie aus dem 16. Jahrhundert. Er befindet sich auf dem Debütalbum „Songs von dahoim“ der inzwischen überregional erfolgreichen Mundartband. Stricker weiß auch von einem Busunfall in den 50er-Jahren, der sich abends bei der Lauterbrücke unterhalb des Rostels ereignet haben soll, weil eine Person mit einem Leiterwagen über die B14 gehuscht sei. Der Unfallverursacher verschwand jedoch spurlos.

Info
Ein Lied über den Mörder

Der Rossstall (mundartlich Rostel) ist die von Wilhelmsheim und Reichenberg herkommende Bergnase zwischen Murr- und Lautertal. Die Überlieferung weiß von einer Burg, einem Gang zum Wasserschloss Lautereck und dort umgehenden Spuk- und Sagengestalten (Rostelschäfer).

Beschreibung: Sichtbar sind Unebenheiten an der Bergnase. Diese könnten allerdings auch auf einen früheren, noch um 1900 betriebenen Steinbruch zurückgehen. Von den Aussichtsmöglichkeiten wäre eine Burg oder eine Warte gut vorstellbar, da von hier aus das Murr- und Lautertal weit einzusehen ist.

Wendrsonn hat ein Lied vom „Rostelschäfer“ im Repertoire. Aus dem Text:

Rostelschäfer, so nenned se mi,

im Kerker wart i uffs jüngste Gericht,

//mei Herz so schwer, die Nacht so kalt,

der Tod kommt viel zu bald.//

Mein Kopf, der rollt im Morgenrot,

für meine Schandtat zahl i mit dem Tod //

Oh Herr mein Gott, vergib mir mei Sünd,

an Engele lass werda, mei o’bornes Kend //

Marile, mei Liebchen jetzt bischt du tot,

dei Haut schneeweiß, des Blut so rot //

St. Wendalinus, bitt für mich,

sonst brenn i im Fegefeuer ewiglich //

Oh Fremder wenn du am Rostel stehst,

gedenk meiner Seel ond sprich a Gebet //

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Erstellt:
31. Oktober 2019, 06:00 Uhr

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