Staatskrise in Südkorea
Ein Präsident mit dem Rücken zur Wand
In Südkorea wird gegen Yoon Suk Yeol wegen Hochverrats ermittelt. Am Samstag könnte im Parlament ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet werden. Doch der Präsident klammert sich weiter an sein Amt.
Von Fabian Kretschmer
Die südkoreanische Öffentlichkeit hat keinen blassen Schimmer, wo er sich derzeit aufhält. Wie es um seine psychische Verfassung steht. Und vor allem: Was ihn dabei geritten hat, mit dem Ausrufen des Kriegsrechts die Demokratie des Landes aufs Spiel zu setzen. „Es hat nichts mehr mit der Realität zu tun, die das Land derzeit erlebt“, sagt die ehemalige Außenministerin Kang Kyung Wha in einem TV-Interview.
Präsident Yoon Suk Yeol steht mit dem Rücken zur Wand. Die Polizei hat am Donnerstag Ermittlungen wegen Hochverrat eröffnet; ein Strafbestand, der mit der Todesstrafe geahndet werden kann. Am Samstag wird im Parlament über ein Amtsenthebungsverfahren abgestimmt. Es bräuchte nur acht Abweichler aus den eigenen Reihen.
Erstes indirektes Lebenszeichen
In einer so ausweglosen Situation wäre wohl die naheliegendste Lösung, von sich aus das Amt niederzulegen. Selbst der „Economist“, dessen wirtschaftsliberale Linie mit der Politik des Präsidenten übereinstimmt, titelt: „Yoon Suk Yeol sollte zurücktreten oder seines Amtes enthoben werden.“
Doch der 63-Jährige denkt gar nicht daran. Alles deutet daraufhin, dass sich der konservative Staatschef seine Macht bis zum letzten Moment verteidigen möchte. Diejenigen, die ihn kennen, sagen: Selbstaufgabe passt nicht zu seiner Mentalität.
Am Donnerstagmorgen gab Yoon erstmals ein indirektes Lebenszeichen: Er habe den Rücktrittsgesuch seines ehemaligen Verteidigungsministers Kim Yong Hyun akzeptiert und bereits einen Nachfolger ernannt, heißt es aus dem Präsidentenbüro.
Kim und Yoon sind alte Freunde, kennen sich noch aus der Oberschule. Dass Kim ein Befürworter fürs Ausrufen des Kriegsrecht war, darüber besteht kein Zweifel. Doch laut Yoons Lager soll er gar der alleinige Strippenzieher gewesen sein, der den Präsident dazu gedrängt habe. Kritiker aber werfen ein: Yoon Suk Yeol nutzt einen Sündenbock, um die eigene Verantwortung abzuwälzen.
Auch mehrere Tage nach dem spektakulären Ausnahmezustand rätselt die südkoreanische Öffentlichkeit über das Warum. Dass „nordkoreanische Kräfte“ ausschlaggebend gewesen sein könnten, wie Yoon das Kriegsrecht begründete, dafür gibt es keinerlei Hinweise. An der Demarkationslinie heißt es vom Militär, dass die Lage den Umständen entsprechend ruhig sei.
Wohl muss man psychologische Erklärungsmuster heranziehen. Leute, die Yoon begegnet sind, zeichnen das Bild eines cholerischen Mannes mit Hang zu Esoterik und Verschwörungstheorien. Ein Mann, einst Staatsanwalt, der dem Druck des Politikerlebens nicht gewachsen ist. Und der in einer Kurzschlussreaktion zum Äußersten griff.
Sturm mit nicht geladenen Waffen
Viele Indizien sprechen dafür, dass sein Coup nicht geplant war. Der Chef der südkoreanischen Marine hat sich zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht im Lande befunden. Dabei wäre es von essenzieller Bedeutung, dass Yoon die vollständige Kontrolle über sein Militär innehätte.
Doch dies war nie der Fall: Zeugen berichten, dass die Soldaten beim Sturm auf die Nationalversammlung ihre Waffen demonstrativ mit leerem Patronenlauf führten. Und dass sie es mit Absicht nicht schafften, das Parlament vollständig abzuriegeln.
Am Dienstagnacht ist es 190 Abgeordneten gelungen, trotz des Ausnahmezustands den Plenarsaal der Nationalversammlung zu erreichen, wo die Politiker unisono die Rücknahme des Kriegsrechts forderten. Unter den Anwesenden waren ein Dutzend Mitglieder der Regierungspartei, die ebenfalls gegen die Entscheidung ihres Präsidenten stimmten.
Innerhalb der breiten Öffentlichkeit hat Yoon seinen Rückhalt ohnehin mehrheitlich verloren. Laut einer aktuellen Umfrage befürworten sieben von zehn Koreanern, dass der Präsident seines Amtes enthoben wird.
Für diesen Samstag haben die Gewerkschaften, Oppositionsparteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen zu riesigen Demonstrationen aufgerufen. Die Zeit, so scheint es, ist nicht auf Yoons Seite.