Eine enge Freundschaft
Deutschland und Frankreich stellen ihre Partnerschaft auf neue Beine
Merkel und Macron schlagen ein neues Kapitel der deutsch-französischen Beziehungen auf. Sie vereinbaren die engste Kooperation, die es je gab.Besonders wichtig ist die Verteidigung.
Aachen Hinter den Absperrgittern auf dem Aachener Marktplatz zeigt sich, wie unterschiedlich die Europäer ticken. Vorne, ganz in Blau, stehen die Leute von Pulse of Europe, für die Europa das große Zukunftsversprechen ist, wenn es nur richtig gemacht wird. Hinter ihnen stehen Dutzende Gelbwesten aus Frankreich, die Präsident Emmanuel Macron vorwerfen, im Namen der wirtschaftlichen Angleichung an den Rest der Eurozone unsoziale Reformen durchzuführen. Dann gibt es die, die nicht wollen, dass die EU zum Militärbündnis wird. Ein paar ganz Rechte sind auch da, die zurück zum Nationalstaat alter Schule wollen und allen Ernstes meinen, mit dem neuen deutsch-französischen Vertrag, der später drinnen im Krönungssaal des Rathauses unterschrieben wird, käme das Elsass wieder unter deutsche Kontrolle.
Als Falschnachrichten bezeichnet Sylvain Waserman, der Straßburger Abgeordnete und Vizepräsident der Pariser Nationalversammlung, das, kurz bevor die Zeremonie beginnt. Er muss es wissen, hat er doch selbst jene Ideen für eine leichtere grenzüberschreitende Zusammenarbeit entwickelt, die in das Abkommen eingeflossen sind. „In Frankreich wie in Deutschland ist die innenpolitische Lage schwierig und komplex“, meint Waserman, „umso schöner ist doch, dass wir auch in dieser Lage einen wichtigen Schritt nach vorne gehen können.“
Wie schwierig es derzeit in Europa ist, weiß auch Michael Collins als irischer Botschafter in Berlin, der wegen des Brexit-Chaos der Verzweiflung nahe ist: „Das ist eine schöne Abwechslung heute“, sagt der Diplomat, der wie auch Vertreter anderer EU-Staaten eingeladen wurde, um zu dokumentieren, dass sich die deutsch-französische Gemeinschaft nicht gegen die europäische richtet.
Die Berliner Delegation, angeführt von Bundeskanzlerin Angela Merkel, hat sich ein wenig verspätet. Der Festakt verzögert sich, weil der Regierungsflieger in Tegel noch enteist werden musste. „Typisch“, spottet ein Brüsseler EU-Diplomat, der zur großen Unterzeichnungszeremonie eingeladen ist, „ständig muss Europa auf Deutschland warten.“
Dafür ist Zeit, ein wenig zu plaudern. Mit einem Bundestagsabgeordneten aus Merkels Partei etwa, der in dasselbe Horn stößt. Neuer Freundschaftsvertrag schön und gut – die deutsche Reaktion auf die weitgehenden europäischen Ideen von Staatspräsident Emmanuel Macron hat ihm nicht genügt. „Wir haben nur mit Zaudern geantwortet.“ Von wegen „Aufbruch für Europa“, der dem Koalitionsvertrag seinen Namen gegeben hat: „Wir sind nicht aufgebrochen, wir wurden aufgebrochen – von Macron.“
Es ist das große Thema an diesem Tag in Aachen, ob das, was Merkel und Macron da auf den Weg gebracht und wie die Außenminister Heiko Maas (SPD) und Jean-Yves Le Drain unterschrieben haben, ein ausreichend großer deutsch-französischer Impuls für die gesamte Europäische Union ist. Der französische Präsident geht in seiner Rede auf die Sache mit den verschiedenen europäischen Geschwindigkeiten ein: „Manchmal geht es nicht schnell genug“, mahnt er und fordert: „Wir müssen über den Schritt hinausgehen, den wir heute gehen.“
Die deutsche Kanzlerin sendet unterschiedliche Signale aus, mal zögernd, mal europäisch-entschlossen, wenn sie die zukünftig enge militärische Zusammenarbeit herausstellt: „Wir wollen damit unseren Beitrag leisten zur Entstehung einer europäischen Armee.“ Sie beklagt das „Beharrungsvermögen“ in Europa und will, dass Deutschland und Frankreich „Taktgeber“ und dem Rest der Union „ein Beispiel“ sind.
Die Kanzlerin signalisiert später im Dialog mit Bürgern beider Länder, dass sie noch in viel mehr Fragen auf Paris zuzugehen bereit ist: „Irgendwann muss jeder über seinen Schatten springen.“ Auf der anderen Seite scheint immer wieder Merkels vorsichtige Schritt-für-Schritt-Attitüde durch. Als der 23-jährige Aachener Physikstudent Aaron Schäpers zu Merkel meint, sie habe angesichts des absehbaren Endes ihrer Kanzlerschaft nichts mehr zu verlieren und könne jetzt den großen europapolitischen Wurf wagen, blockt sie ab – und verweist auf die verschiedenen Interessen, die sie unter einen Hut bringen muss: „Ihnen geht es zu langsam in Europa, manchen geht es zu schnell, andere halten es für ganz falsch.“
Es fehlt aber nicht an Pathos an diesem historischen Tag in geschichtsträchtiger Umgebung. Exakt 56 Jahre ist es her, dass Bundeskanzler Konrad Adenauer und Präsident Charles de Gaulle mit ihren Unterschriften unter den Élysée-Vertrag aus Erbfeinden Freunde gemacht haben. Jetzt wird das Aussöhnungsversprechen von damals mit dem Vertrag von Aachen um ein umfassendes Kooperationsversprechen in allen politischen Bereichen erweitert – an einem Ort voller uralter Wandfresken, die die Geschichte des Kontinents atmen. Karl der Große hatte Aachen einst zur Hauptstadt seines Reiches gemacht, welches das heutige Deutschland wie Frankreich umfasste.
Für große Emotionen ist Merkel nicht berühmt. Sie versucht sich aber daran, den Anlass zu würdigen. „Atemberaubend“ nennt sie den Weg, den Deutschland und Frankreich seit Ende des Zweiten Weltkriegs genommen haben. Damit habe „die Geschichte eine Wendung genommen, die für uns glücklicher nicht hätte sein können“. Und sie schließt feierlich: „Es lebe die deutsch-französische Freundschaft.“
Emmanuel Macron wiederholt diesen Satz. Was große Gefühle und Gesten angeht, hat er der „lieben Angela“ jedoch etwas voraus. Der junge Staatschef spürt „das schlagende Herz der europäischen Geschichte“, erzählt vom „romantischen Charme“, den deutsche Wörter auf ihn ausüben, die er nicht versteht – und dass genau dieser „magische Teil“ der europäischen Verständigung, die Kooperation der verschiedensten politischen und gesellschaftlichen Kulturen, erhalten bleiben muss, um Europa in die Zukunft zu führen. „Europa“, ruft Macron in den Saal, „ist der Schutzschild unserer Völker gegen die neuen Stürme der Welt.“
Wirklich eindringlich kann Sabine Thillaye davon erzählen, was es bedeutet, dass Deutsche und Franzosen jetzt in einem geeinten Europa lieber über EU-Richtlinien streiten, als sich in Schützengräben gegenüberzuliegen. Die 59-Jährige ist in Macrons offizieller Delegation angereist. Die deutsche Unternehmerin hat vor 36 Jahren einen Sprachkurs besucht und dort ihren Mann kennengelernt – sie blieb in Frankreich, nahm die doppelte Staatsbürgerschaft an und schloss sich, als mit Macron plötzlich einer nicht mehr über die EU schimpfte, sondern offensiv für sie warb, dessen Bewegungspartei an. Heute steht Sabine Thillaye dem Europaausschuss der Pariser Nationalversammlung vor und sagt: „Ich bin ein Kind des Élysée-Vertrages.“ Dass ihre Heimatländer nun eine noch engere Zusammenarbeit beschließen, „ist sehr emotional für mich“.
Und dennoch ist auch Thillaye Realistin genug, um zu wissen, dass die schönen Worte drinnen im Saal die teilweise aufgebrachten Menschen draußen auf dem Marktplatz nicht beruhigen werden. Ergebnisse müssen her, Europa muss zeigen, dass es das leisten kann, was es verspricht: „Wir müssen über die Absichtserklärungen hinauskommen.“