Erstes Vorzeigeprojekt für die IBA 2027 in Backnang
Aus einem alten Fabrikgebäude der Lederwerke Backnang soll im Rahmen der Internationalen Bauausstellung etwas ganz Neues entstehen. Mit überraschenden Ideen haben zwei Berliner Architekten nicht nur den Eigentümer überzeugt.
Von Kornelius Fritz
Backnang. Seit zweieinhalb Jahren gibt es für das IBA-Quartier im Backnanger Westen einen sogenannten Rahmenplan. In einem städtebaulichen Wettbewerb mit mehr als 100 Teilnehmern aus aller Welt hatten sich damals die Planungsbüros Teleinternetcafé aus Berlin und Treibhaus aus Hamburg durchgesetzt. Ihr Entwurf hatte die Jury auch deshalb überzeugt, weil das Konzept nicht vorsieht, die alten Industriehallen, die auf dem 16 Hektar großen Gelände stehen, abzubrechen, sondern diese in die neuen Pläne integriert. Auf dem Gelände der ehemaligen Lederwerke Backnang (Leba) in der Fabrikstraße soll diese Idee nun in einem ersten Projekt umgesetzt werden.
Konkret geht es um ein altes Industriegebäude aus den 1940er-Jahren. Bis 1975 wurden dort Tierhäute gegerbt. Nach der Schließung der Lederfabrik wurde das Gebäude umgebaut und vermietet. Aktuell haben dort mehrere Metall verarbeitende Kleinbetriebe ihre Werkstätten. Die 4000 Quadratmeter Nutzfläche sind laut Vermieter Wolfgang Kaess komplett vermietet.
Allerdings ist das Gebäude mittlerweile in einem schlechten Zustand: „Seit 20 Jahren wurde dort wenig investiert. Es gab auch mal die Überlegung, das Gebäude abzureißen“, erzählt Kaess. Nun soll daraus ein Vorzeigeprojekt für die Internationale Bauausstellung werden, die 2027 in der Region Stuttgart stattfinden wird.
Das Bestandsgebäude soll saniert werden, eine Passage entstehen
Um möglichst gute Ideen für das geplante Bauprojekt zu sammeln, hatte der Eigentümer zusammen mit dem IBA-Team und der Stadt Backnang ein sogenanntes Werkstattverfahren gestartet. Vier renommierte Architekturbüros wurden eingeladen, Entwürfe für einen Umbau des bestehenden Gebäudes zu erarbeiten. Nach den Vorgaben des Rahmenplans, der diesen Bereich als „Wohnfabrik“ tituliert, sollten dabei gewerbliche Nutzungen und Wohnen unter einem Dach vereint werden.
Zum Sieger kürte eine Jury Anfang November den Entwurf der Architekten Marc Frohn und Mario Rojas vom Büro FAR aus Berlin. Dieser sieht vor, das Bestandsgebäude zu sanieren und dabei zwei aneinandergebaute Teile, wieder voneinander zu trennen. So entsteht dazwischen eine neue Passage.
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Auch künftig soll dort gearbeitet werden: Neben Werkstätten können sich die Planer auch Labore, Ateliers und Büros vorstellen. Obendrauf wollen sie zwei zweistöckige Querriegel mit Wohnungen setzen, die um 90 Grad gedreht sind. Dieser Kniff hat zwei Vorteile: Zum einen sind so bessere Grundrisse möglich, zum anderen sind alle Wohnungen nach Süden ausgerichtet. So blicken die Bewohner auf die Murr und sind gleichzeitig vom Lärm des Gewerbehofs abgeschottet.
Ergänzt werden soll der Komplex um einen siebenstöckigen Neubau: Im Erdgeschoss wäre hier Platz für ein Restaurant oder einen Veranstaltungssaal, darüber könnten weitere Appartements entstehen. Als Zielgruppe für die neuen Wohnungen sieht Tobias Großmann, Leiter des Backnanger Stadtplanungsamtes, zum Beispiel junge Fachkräfte nach dem Studium. Große Firmen suchten gezielt Wohnraum für solche „High Potentials“, die oft auch nur vorübergehend in Backnang sind. „Wir wissen, dass es dafür eine Nachfrage gibt.“
„Die Backnanger Industriegeschichte wird hier weitergeschrieben“
Von dem Entwurf der Berliner Architekten ist Großmann begeistert: „Die Backnanger Industriegeschichte wird hier weitergeschrieben“, sagt der Stadtplaner und schwärmt von dem „einmaligen Flair“, das dort entstehen könne. Großmann sieht die Pläne auch als Blaupause für weitere Projekte auf dem IBA-Areal. Die Stadt will die Entwicklung des Quartiers unterstützen, in dem sie das etwas abgelegene Leba-Areal besser an die Innenstadt anbindet. Im städtebaulichen Rahmenplan ist dafür auch der Bau einer neuen Murrbrücke auf Höhe der Schlachthofstraße vorgesehen.
Ob die Pläne der Berliner Architekten schon bis 2027 Realität werden, ist allerdings noch nicht sicher. Eigentümer Wolfgang Kaess möchte die Planung zwar weiter vorantreiben, muss dabei aber auch die Wirtschaftlichkeit im Blick haben. Denn steigende Zinsen und explodierende Baukosten haben die Rahmenbedingungen für solche Projekte verschlechtert. Kaess kann sich aber auch eine schrittweise Umsetzung vorstellen, die zunächst einmal mit der Sanierung der bestehenden Gebäude beginnt. Die Aufstockung und der ergänzende Neubau könnten dann später folgen. Sollte bis zur IBA noch nicht alles fertig sein, wäre das in den Augen von Tobias Großmann aber kein Beinbruch: „Auch als Baustelle wäre das ein interessanter Beitrag.“
Lederfabrik Hodum Auch für dieses ehemalige Industriegebäude neben dem Restaurant Merlin gibt es Pläne für eine Transformation. Der markante Backsteinbau soll saniert und aufgestockt werden. Als künftige Nutzungen sind hier Gastronomie, Büros und Wohnen auf Zeit angedacht. Aktuell sei er dazu noch in Gesprächen mit der Stadt, teilt Eigentümer Marcus Püttmer mit. Wie es dort weitergeht, soll sich 2024 entscheiden.
Parkaue am Murrufer Ein großer Park in der Mitte des neuen Quartiers ist zentraler Bestandteil des Siegerentwurfs von 2021. Die Stadt Backnang möchte diese Idee gerne umsetzen, allerdings gibt es noch einige Hürden. So wird etwa ein Teil der Flächen zurzeit von Tesat als Mitarbeiterparkplatz genutzt. Dafür muss Ersatz gefunden werden. Laut Stadtplaner Tobias Großmann ist man aber „auf einem guten Weg“.
Materiallager Die Wiederverwertung von Baustoffen ist eines der zentralen Themen der IBA 2027, auch mit Blick auf die CO2-Bilanz.
In Backnang soll deshalb ein „erlebbares Materiallager“ entstehen. Baumaterialien aus abgebrochenen Gebäuden werden dort gelagert, bis sich eine neue Verwendung findet. Beim Projekt auf dem Leba-Areal soll zum Beispiel aus alten Backsteinen eine neue Deckenkonstruktion entstehen.