„Es gibt keinen Fahrplan, der generell passt“
E-Autos sind auf dem Vormarsch. Wie aber sieht es mit den Lademöglichkeiten aus? Viele Nutzer haben ihr Auto in einer Tiefgarage stehen. Als Wohnungseigentümer haben sie das Recht, eine Wallbox zu installieren. Aber der Weg zur eigenen Stromtankstelle kann problematisch sein.
Von Florian Muhl
Backnang/Murrhardt. Die Zulassungszahlen beweisen: Elektroautos und auch Hybridfahrzeuge werden immer beliebter. Wohl auch wegen des Zuschusses vom Staat (Innovationsprämie). Elektrisch aufgeladen werden die Stromer an E-Ladestationen. Davon gibt es beispielsweise in Backnang laut Wirtschaftsbeauftragtem Reiner Gauger elf öffentliche beziehungsweise halböffentliche (siehe Infobox). In Murrhardt stehen drei Stationen zur Verfügung, wie Bürgermeister Armin Mößner mitteilt.
Aber viel bequemer und oft auch günstiger ist es doch, das Auto über Nacht zu Hause am eigenen Stromanschluss, der sogenannten Wallbox, aufzutanken. Auch diese sind – in der 11-kW-Version – förderfähig. Geld gibt’s von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Wer ein Eigenheim hat, kann sich problemlos eine Box installieren lassen. Wohnungseigentümer oder auch Mieter, die ihr Auto in Tiefgaragen parken, müssen sich zunächst an die Wohneigentümergemeinschaft (WEG) beziehungsweise an den Verwalter wenden. Seit Dezember 2020 haben sie gute Karten, denn seitdem besagt das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz (WEMoG), dass jeder einen Anspruch auf eine Wallbox hat. So weit die Theorie. Die Praxis zeigt, dass es viele Hürden gibt, zumindest geben kann.
Hausverwalter Daniel Kuschnertschuk, der seit 2018 im Familienunternehmen arbeitet, das bereits in dritter Generation in Backnang beheimatet ist, kennt sich mit der Problematik bestens aus. „Kollege Fabian Mathiowetz und ich sind beide hauptsächlich im Bereich WEG-Verwaltung tätig und deswegen mit dem Thema zwangsläufig beschäftigt“, sagt der 38-jährige Diplom-Immobilienwirt, der etwas über 170 Eigentümergemeinschaften mit rund 1900 Wohn- und Gewerbeeinheiten und ebenso vielen Garagenstellplätzen verwaltet, die meisten davon im Raum Backnang und Winnenden, einige auch in Murrhardt.
„Das WEMoG besagt zwar, dass ein Stromanschluss nicht mehr abgelehnt werden kann, jedoch die WEG nach wie vor entscheiden kann über das Wie“, sagt Kuschnertschuk. Er gibt zu bedenken, dass es bislang kaum Rechtsprechungen zu diesem Thema gibt. Der Immobilienwirt hat sich für die „proaktive“ Variante entschieden. „Ich warte nicht ab, bis die ersten Anfragen wegen Lademöglichkeiten eingehen, sondern ich gehe auf die WEG zu und frage in der Eigentümerversammlung ab: Wer hat denn Stand jetzt oder auch mittelfristig Interesse?“ Umso früher er diesen Bedarf erfasst habe, desto eher könne er über Fachfirmen klären, wie sich die Maßnahme in den einzelnen WEG umsetzen lassen könnte. Auch wenn es für den Hausverwalter wegen der Pandemie derzeit schwierig ist, Eigentümerversammlungen durchzuführen, vernimmt er folgende Tendenz: „Die Nachfrage ist da, allerdings glaube ich, dass die Nachfrage in den nächsten drei Jahren noch zunehmen wird.“ Eigentümer würden erkennen, dass die Lademöglichkeit auch eine Wertsteigerung der Liegenschaft darstelle.
Aufwand und Kosten des Einbaus von Stromanschlüssen hängen ganz entscheidend von folgenden Faktoren ab: Größe der Tiefgarage, Anzahl der Ladepunkte, Länge der Leitungswege und Anzahl der Hausanschlüsse sowie deren Größe (Leistung). Von diesen Faktoren hänge ab, welche Maßnahmen sinnvoll seien. „Es gibt keinen Fahrplan, der generell passt. Jeder Fall ist anders“, sagt Kuschnertschuk.
Der Verwalter nennt einen Fall: Bei einer Tiefgarage in Backnang mit rund 100 Stellplätzen und mehreren Hausstromanschlüssen wurde eine brandschutzkonforme Leitungsstraße geplant. So kann sich jeder Eigentümer jederzeit – auch in einigen Jahren – anschließen lassen, ohne zuvor den Bedarf angemeldet zu haben. Die Eigentümerversammlung hatte beschlossen, dass die Kosten der Vorbereitung auf jeden Stellplatzbesitzer umgelegt werden. Kosten pro Eigentümer: ein mittlerer dreistelliger Eurobetrag. Die Kosten für den Anschluss der Wallbox trägt dann jeder Nutzer selbst.
Anderes Beispiel, eine Tiefgarage in Backnang mit 20 Stellplätzen, aufgeteilt auf zwei Hausstromanschlüsse. „Eine ganz andere Herangehensweise“, sagt Kuschnertschuk. Kurze Leitungswege, nur ein Durchbruch vom Zählerkasten weg. „Wir fragen ab, wer möchte, holen Vergleichsangebote ein, lassen es beschließen und diejenigen, die es wollen, zahlen es.“ Spätere Interessenten müssten sich dann anteilig an den Kosten beteiligen. Kosten pro Eigentümer inklusive Wallbox: um die 1600 Euro.
Ein Beispiel aus Murrhardt: „Ein Eigentümer wollte einen Anschluss, die Leitungswege waren sehr günstig“, so der Verwalter. „Wir haben einen Beschluss ausgearbeitet und die WEG sagte: Du darfst, wir haben keine Nachteile.“ Vorgaben der WEG: maximal 11-kW-Anschluss, Ausführung von einer Fachfirma mit Vorlage der Rechnung, Brandschutzauflagen beachten, VDE-Prüfnachweis, Anmeldung beim Netzbetreiber und Tragen aller Kosten. Kuschnertschuk: „Das hat problemlos funktioniert.“
„Große Tiefgaragen in älteren Wohnanlagen sind die kritischsten Fälle“
Michael Meyle, Regionalleiter bei der Süwag-Netztochter Syna, zum Thema Lademöglichkeiten in Tiefgaragen: „Das ist ein zunehmend sensibles und sehr wichtiges Thema im Zeitalter der Elektromobilität. Der Hintergrund bei dem Thema ist, dass wir beim klassischen Standardhausanschluss einen baukostenzuschussfreien Leistungsbereich bis 33 kW pro Anschluss haben. Hier muss der Netzkunde nichts bezahlen. Alles, was darüber hinausgeht, muss jedoch bei uns gemeldet werden und führt zu einer Nachverrechnung.
Einfamilienhaus Der einfachste Fall: Eine Familie hat eine Förderungszusage von der KfW für eine 11-kW-Wallbox erhalten. Die ist bei uns nur meldepflichtig, nicht genehmigungspflichtig. Das EFH hat nur einen Hausanschluss, die Familie muss nichts dafür bezahlen. Wir nehmen den Vorgang zu unseren Akten, um zu erkennen, wenn in einer Straße eine Vielzahl solcher Wallboxen installiert werden. Dann müssten wir eventuell in unserem Netz aktiv werden, um dort eine Verstärkungsmaßnahme zu unseren Lasten durchzuführen.
Neues Mehrfamilienhaus Da muss der Bauträger in der Planungsphase daran denken, dass in den Tiefgaragen die Leistung für potenzielle Wallbox-Errichter bei der Anmeldung des Netzanschlusses bei uns mitberücksichtigt wird, auch wenn die Boxen erst später installiert werden. Für uns ist entscheidend: Welche Leistung elektrischer Energie müssen wir zur Verfügung stellen? Wenn später ein Käufer einer Wohnung eine Wallbox will, müssen wir sagen: Das wurde beim Hausanschluss damals nicht angemeldet.
Ältere Wohnanlagen und Mehrfamilienhäuser In diesen Fällen kann aus Netzbetreibersicht der Rat gegeben werden, dass der Bedarf an Ladeinfrastruktur in solchen Objekten vonseiten der Hausverwaltung als koordinierende Stelle gesammelt über einen Elektroinstallateur gemeldet werden sollte. Dadurch wird sichergestellt, dass neben erforderlichen Netzmaßnahmen auch der Elektroinstallateur die Maßnahmen innerhalb der Gebäudeinstallation, falls erforderlich, erheben und planen kann.“
Backnang Von elf Ladestationen in Backnang sind folgende zwei öffentlich:
Bleichwiese
Park-and-ride-Parkplatz Bahnhof
Von den neun halböffentlichen Lademöglichkeiten sind drei kostenlos (Kaufland Nord und Süd und Lidl Weissacher Straße). Die weiteren Stationen stehen bei: Firma Hackenschuh, Parkhaus Adenauerplatz, Firma Feucht, Autohaus Walter Mulfinger, Firma Hahn Automobile und Stiftshof.
Murrhardt Drei öffentliche beziehungsweise halböffentliche Ladestationen stehen derzeit in Murrhardt zur Verfügung:
Parkplatz Gartenstraße
Carsharing-Stellplatz am Bahnhof
Lidl-Markt Fornsbacher Straße
Umland Weitere Ladestationen gibt es in Allmersbach im Tal, Althütte; Aspach, Oppenweiler und Weissach im Tal.