Extremer Starkregen fordert zwei Todesopfer
Die Jahrhundertflut im Welzheimer Wald richtet immense Schäden an. Mehrere Tausend Menschen müssen wegen einer Evakuierung entlang der Rems für mehrere Stunden ihre Häuser verlassen. Das Landratsamt Rems-Murr-Kreis löst den Katastrophenvoralarm aus.
Von Matthias Nothstein
Rems-Murr. Zwei extreme Wetterereignisse innerhalb von 48 Stunden haben im Rems-Murr-Kreis am Samstag und Sonntag eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Während die Helfer das Hochwasser der Rems im Laufe des Sonntags mit Müh und Not in den Griff bekommen hatten, eskalierte die Situation am Sonntag gegen 21 Uhr nach einem Starkregen der heftigsten Kategorie im Bereich Welzheimer Wald. Innerhalb weniger Minuten schwollen kleine Bäche zu reißenden Flüssen an. Besonders betroffen war Rudersberg (siehe Seite 20), wo riesige Schäden entstanden. Schlimme Bilder, die die Betrachter an die Katastrophe von Braunsbach 2016 erinnerten, gab es im gesamten Wieslauftal sowie von den Orten entlang des Buchenbachs. Auslöser war eine große Gewitterzelle, die mit sintflutartigem Starkregen zu einem Hochwasser führte, das größer war als eines der Kategorie HQ 100. Das heißt, größer als ein Hochwasser, das rechnerisch nur einmal in 100 Jahren vorkommt. Das Jahrhunderthochwasser wütete außer in Rudersberg auch in Teilen von Welzheim, Kaisersbach, Berglen, Winnenden, Schorndorf, Leutenbach und selbst noch in Weissach im Tal.
Todesopfer In Schorndorf-Miedelsbach haben Einsatzkräfte der Feuerwehr gestern Mittag bei Abpumparbeiten in einem Keller in der Mühlstraße zwei Leichen entdeckt. Dabei handelt es sich um den 58-jährigen Hausbewohner und seine 84-jährige Mutter. Beide waren nach Zeugenaussagen in den Abendstunden des Sonntags damit beschäftigt, das in das Haus eingedrungene Wasser im Keller abzupumpen. Die Todesursache ist bislang unklar. Die Kriminalpolizei hat die Ermittlungen vor Ort aufgenommen.
Hochwasser im Rems-Murr-Kreis
In der Nacht von Sonntag auf Montag ist es zu ernormen Starkregen in einigen Gebieten im Rems-Murr-Kreis gekommen. Hunderte Einsatzkräfte waren mit der Rettung, Evakuierung und Koordinierung vor Ort.
Remshochwasser Am Samstag hatte der kräftige Regen zu einem starken Anstieg der Rems geführt. Alle Hochwasserrückhaltebecken entlang des Flusses, vor allem die in Urbach und Winterbach, waren bis an den Rand gefüllt. Trotzdem konnte der Krisenstab im Landratsamt im Lauf des Sonntags aufatmen und die ersten Becken wieder kontrolliert ablaufen lassen. Landrat Richard Sigel dazu: „Wir hatten die Lage nach einer dramatischen Nacht zu diesem Zeitpunkt wieder gut im Griff.“
Starkregen Dann passierte das, was in keiner Wetterprognose vorhergesagt war: Eine Starkregenzelle entlud sich am Sonntag ab 21 Uhr über dem Welzheimer Wald und ließ die Rems erneut anschwellen. Das Winterbacher Rückhaltebecken war phasenweise über sein eigentlich vorgesehenes Limit hinaus befüllt. Die Lage war laut Landrat Sigel in der Nacht auf Montag erneut dramatisch. Die Verantwortlichen entschieden sich, die Remsrenaturierungsflächen zur Entlastung zu fluten. Trotzdem stand für einige Stunden die Gefahr im Raum, dass die Dämme des Beckens den Wassermassen nicht standhalten. Bevor es zu einem Dammbruch gekommen wäre, hätten die Verantwortlichen das Stauwehr geöffnet und Überflutungen in Kauf genommen, denn ein Dammbruch hätte weitaus fatalere Folgen gehabt. Hätten sich die 1,5 Millionen Kubikmeter Wasser – so viel fasst dieses Becken – schlagartig flussabwärts ergossen, so wäre eine Spur der Verwüstung von Winterbach über Waiblingen bis Remseck nicht zu verhindern gewesen. Der Regen hörte gerade noch rechtzeitig auf. Der Winterbacher Bürgermeister Sven Müller sagte laut Waiblinger Kreiszeitung am Montagmittag: „Wir haben eine Million Schutzengel gehabt.“ Das neuralgische Becken wird nun wieder kontrolliert entleert.
Evakuierung Weil die Gefahr des Dammbruchs bestand, wurden in Winterbach, Weinstadt, Remshalden und Waiblingen Evakuierungen angeordnet. Etwa 5000 bis 10000 Menschen waren laut Landrat Sigel davon betroffen. Das Landratsamt löste Katastrophenvoralarm aus. Im Landratsamt tagten der Verwaltungsstab und der Führungsstab der Blaulichtfraktion im engen Austausch mit den Städten und Gemeinden. Die Evakuierung wurde erst gegen 11.30 Uhr wieder aufgehoben, die Menschen durften wieder in ihre Häuser zurück.
Sperrungen Die Helfer von Feuerwehr, DRK oder Technischem Hilfswerk waren selbst bei der Anfahrt vor große Probleme gestellt. So war das Wieslauftal ab Miedelsbach nicht mehr befahrbar. Die Helfer mussten über den Rettichkreisel anfahren. Von dort war die Straße für alle anderen Verkehrsteilnehmer gesperrt. In Rudersberg stand dann das Wasser bis zum Rathaus. Viele Straßen im Landkreis sind derzeit nicht befahrbar. Erdrutsche und umgestürzte Bäume behindern den Verkehr.
Zugverkehr Der Verkehr der Wieslauftalbahn ist eingestellt, es gibt keinen Schienenersatzverkehr. In den betroffenen Kommunen (Waiblingen, Weinstadt, Remshalden, Winterbach) bleiben Schulen und Kitas geschlossen. Gleiches gilt für das Berufsschulzentrum Schorndorf. Alle Schüler, die nicht in die Schule gelangen können, sollen laut Empfehlung des Landratsamts ebenfalls zu Hause bleiben.
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Sachschaden Zu der Höhe des Sachschadens gibt es noch keinerlei Angaben, es dürften etliche Millionen Euro werden. Neben Gebäuden wurden zahlreiche Fahrzeuge demoliert, darunter auch ein Feuerwehrfahrzeug und ein DRK-Rettungsfahrzeug. In Winnenden wurde der städtische Bauhof in der Wiesenstraße überflutet, ein Drittel der Fahrzeuge konnte laut Holzwarth nicht mehr in Sicherheit gebracht werden.
Weissach im Tal Das neue Hochwasserrückhaltebecken für den Gruppenbach in Cottenweiler hat seine Feuertaufe mit Bravour bestanden. Das Becken war randvoll und hat seinen Zweck erfüllt. Allerdings – so die Einschätzung eines Lesers – hätte nicht mehr viel Wasser dazukommen dürfen. Es hatte sich ein riesiger See gebildet. Viele Weissacher haben sich selbst ein Bild vor Ort gemacht. Auch Bürgermeister Daniel Bogner erklärt: „Das ganze Wochenende über zeigte sich die große Schutzwirkung dieser Hochwasserdämme, indem große Wassermengen aus den Ortsteilen herausgehalten werden konnten. Dies natürlich auch unter großem Einsatz und verschiedener Präventionsmaßnahmen unserer Einsatzkräfte.“ Im Ortsteil Bruch traten der Bubwiesenbach und der Langwiesenbach an zwei neuralgischen Stellen über die Ufer. Sie überschwemmten eine Straße. Größere Wassermengen gelangten in einzelne Wohngebäude.
Winnenden Die Sintflut hat auch in Winnenden zu großen Schäden geführt. Besonders Birkmannsweiler war stark betroffen. Dort musste unter anderem die Flüchtlingsunterkunft Buchenbachhalle evakuiert werden, das Wasser stand kniehoch. Auch die Birkmannsweiler Halle weist Schäden auf. Betroffen waren des Weiteren Höfen und später Winnenden selbst. Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth sprach ebenfalls von einem 100-jährlichen Hochwasser.
Blaulichtkräfte Alle Verantwortlichen zollten den Helfern der Blaulichtfraktion höchstes Lob. Feuerwehr, DRK, THW oder DLRG waren mit über 110 Fahrzeugen und 700 Personen im Einsatz. Und das zum Teil 48 Stunden am Stück. Landrat Sigel lobte die „hervorragende Zusammenarbeit“. Besonders würdigte er, dass es Kommunen gab, die selbst „Land unter“ meldeten und trotzdem Hilfskräfte entsandten. Backnangs Oberbürgermeister Maximilian Friedrich zum Beispiel erklärte: „Obwohl unsere Feuerwehr seit Tagen selbst sehr stark gefordert war, wird heute großflächig interkommunal unterstützt. So ist die Feuerwehr Backnang derzeit in Winnenden, Nellmersbach, Leutenbach und Rudersberg mit im Einsatz. In Leutenbach hat unsere Wehr beispielsweise einen kompletten Einsatzabschnitt übernommen und ist mit Spezialfahrzeug zur Heizölbeseitigung vor Ort.“ Und immerhin: Die Stuttgarter Regierungspräsidentin Susanne Bay unterbrach ihren Urlaub, um sich vor Ort ein Bild von der Lage machen zu können.
Hilfen Landrat Richard Sigel kündigte schnelle und unbürokratische Hilfen für die Flutopfer an. Unter anderem wird die Abfallwirtschaft Rems-Murr Container für Sperrmüll zur Verfügung stellen und Sammelplätze anlegen. Zudem hat das Landratsamt unter der Telefonnummer 07151/501-1111 ein Bürgertelefon eingerichtet. Weitere Informationen gibt es unter www.rems-murr-kreis.de.