„Fernweh“ begeistert mit musikalischer Weltreise
Der Murrpott als Rückzugsort – beschauliche Atmosphäre, familiäres Ambiente, unaufgeregte und doch mit Leidenschaft vorgetragene Musik.
Von Simone Schneider-Seebeck
Backnang. Ein lauer Sommerabend. Gerade noch hatte es düster ausgesehen, doch nun zeigt sich der Himmel von seiner schönsten Seite. Dennoch hat sich das Bandhaus-Team entschieden, das Publikum lieber im Inneren des Gebäudes aufzustellen. Man weiß ja nie. Ein wenig versteckt liegt der Ort, auf einem großen Fabrikareal mit Charme. Hinter einer ehrwürdig alten Mauer stehen hohe Bäume, es ist ruhig, Vögel zwitschern. Dabei sind es nur wenige Gehminuten bis in Backnangs Mitte.
Das Ensemble Fernweh ist im Rahmen des IBA’27-Festivals zu Gast im Murrpott, seit diesem Jahr eine zweite Spielstätte und Probebühne des Bandhaus-Theaters auf dem Kaess-Areal an der Murr. Ein Ort der Begegnung soll der Murrpott sein, nicht nur fürs Theater, sondern auch für andere Kunst- und Kulturschaffende.
Und so kann man neben dem Konzertgenuss auch einen kleinen Einblick in den Arbeitsraum der Künstlerin Barbara Kastin bekommen. Denn das Konzert findet im Rahmen der offenen Ateliertage statt. Die Türen sind einladend geöffnet, Musik erklingt, draußen sind Gartenstühle und Tische aufgestellt, die frühen Gäste lassen sich bereits in Einstimmung auf einen angenehmen Musikabend ein Gläschen Sekt schmecken. Sogar zwei Liegestühle stehen bereit und werden gern angenommen. Urlaubsstimmung. Wie gut passt das zum „Fernweh“.
Große Bottiche der Gerberei standen ehemals an dieser Stelle
Die Plätze füllen sich, alle Altersstufen sind vertreten. Die Zuschauerreihen ergießen sich bis nach draußen, wo ab und zu ein laues Lüftchen das Publikum erfrischt. Juliane Putzmann, Leiterin des Bandhaus-Theaters, ist erfreut über die vielen Musikfreunde und verrät, dass ehemals an dieser Stelle die großen Bottiche der Gerberei gestanden hatten. Nun ist alles aufgeschüttet, doch man ist sich der historischen Bedeutung des Orts bewusst. Schwungvoll startet die Gruppe junger Musiker, das erste Stück wird durch ein Horn-Solo von Pia Sophie Stahl begonnen, die sich als musikalisches Multitalent zeigt. Neben Horn und Trompete beherrscht sie auch die Gitarre und singt.
Moderatorin Nele Regenstein, die mit großer Leidenschaft und Virtuosität Klarinette spielt, nimmt die Zuhörerschaft mit auf eine Reise durch Zeit und Raum: „Wir spielen Klassik, Pop und alles, was uns gut gefällt.“ Zu jedem Stück weiß sie etwas zu erzählen. Und so erfährt man etwa, dass die beiden Klassiker „Bei mir bist du schön“ oder „Donna, Donna“ ursprünglich aus jiddischen Musicals stammen. Oder dass das Lied „Misirlou“, das dem ein oder anderen Tarantino-Fan aus „Pulp Fiction“ bekannt sein dürfte, eigentlich ein griechischer Tanz ist. Wobei sich das Stück eher orientalisch anhört – wunderbar passend zu einem schönen Sommerabend. „Will soon be a woman“ des französisch-libanesischen Musikers Ibrahim Maalouf darf ebenso wenig fehlen wie unaufgeregte, chillige Popsongs, die man am liebsten entspannt mit einem Cocktail in der Hand genießen möchte. Wie gut, dass die Bar geöffnet hat und die durstigen Gäste mit Getränken versorgt. Die Reise geht nach Argentinien, ein Tango darf natürlich auch nicht fehlen, weiter geht es nach Brasilien mit einem Bossa nova und ein musikalisch mit viel Humor dargebotenes Rezept für Chili con Carne sorgt für viel Applaus: „Don’t forget the Mexican spices!“ Ach ja, und dazu kann man sich gern noch zwei, drei oder vielleicht auch sieben Bier schmecken lassen.
Die sechs jungen Musikerinnen und Musiker (Nele Regenstein: Klarinette und Moderation, Pia Sophie Stahl: Horn, Trompete, Gitarre, Gesang, Lea Branz: Violine, Gesang, Leonie Hauchler: Klavier, Gesang, Felix Härer: Violoncello, Robin Knab: Schlagwerk) sind mit großer Leidenschaft dabei. Aus Biberach an der Riß, Leonberg und Backnang stammen die vielseitigen Künstler, die nicht nur spielen, sondern auch selbst komponieren. So begeistert Pia Sophie Stahl mit einer Liebeserklärung an ihren Mann. Eine kleine Pause zwischendurch wird von den Zuhörern genutzt, um etwas Abendbrise zu genießen: „Oh, ist das schön kühl hier!“ Grüppchen finden sich zum angeregten Gespräch zusammen: „Wie schön, dass wir uns gesehen haben.“
Zum Abschluss geht die Reise nach Frankreich. Ein munter vorgetragenes französisches Chanson ist jedoch nicht das Ende. Das Publikum ist von den Musikerinnen und Musikern so begeistert, dass noch ein weiteres folgen muss. Lang anhaltend ist der Abschiedsapplaus für ein wunderschönes kleines, aber feines Konzert in familiärer Atmosphäre auf historischem Grund.