Fitnessstudio ohne Dach
Die Calisthenics-Anlagen in Maubach und im Plattenwald haben in der Coronazeit viele Fans gewonnen.
Von Kornelius Fritz
BACKNANG. Wer die Calisthenics-Anlage in Maubach sucht, muss nur der Hip-Hop-Musik folgen. Dominik Thumm und Luis Frank haben eine kleine Box mitgebracht, die den passenden Sound zum Training liefert. Calisthenics ist nicht nur Sport, sondern auch ein Lebensgefühl, das seine Wurzeln in den Armenvierteln von New York hat. Die Anlage in Maubach steht zwar nicht im Ghetto, sondern am Rande einer schmucken Einfamilienhaussiedlung, aber auch hier stößt das Angebot auf große Resonanz. In der Coronazeit, als Fitnessstudios geschlossen hatten und der Vereinssport pausierte, ist das Interesse noch einmal gestiegen.
Dominik Thumm und Luis Frank sind extra aus Waiblingen hierher gekommen, weil es in der Kreishauptstadt kein vergleichbares Angebot gibt. Auf die Frage, warum sie nicht in einem Fitnessstudio trainieren, blickt Thumm zum strahlend blauen Himmel hoch: „Hier bin ich an der frischen Luft und es kostet nichts. Warum sollte ich da in ein Studio gehen?“, fragt er. Aber es ist auch die Art des Trainings, die ihm gefällt: Bei den Übungen an den verschiedenen Stangen trainiere man nicht isoliert einzelne Muskeln, sondern immer ganze Muskelgruppen: „Das ist gesünder und man kann dabei nicht schummeln.“ Wem es nicht um Muskelberge, sondern um Kraft gehe, der sei hier besser aufgehoben als in einer Muckibude.
Vom Einsteiger bis zum Prof ikann jeder mitmachen.
Beim Calisthenics gibt es Übungen für jedes Niveau. Luis Frank führt den „Back Lever“ vor, bei dem er seinen Körper rückwärts an der Stange hängend in die Horizontale bringt. Eine Übung, die auch in eine olympische Kür am Reck passen würde. „Das hat viel mit Turnen zu tun“, bestätigt der 26-Jährige. Manche Übungen müsse man ein Jahr lang trainieren, bis es endlich klappt, erzählt Dominik Thumm. Aber auch für Einsteiger gibt es viele Möglichkeiten. Wer zum Beispiel noch keinen Klimmzug schafft, kann Gummibänder zur Hilfe nehmen, die einen bei der Übung unterstützen.
Inzwischen sind weitere Sportler eingetroffen. Matthias Wieland hat gerade seine Joggingrunde hinter sich und will zum Abschluss noch was für seine Muskeln tun. Wieland wohnt in Maubach und genießt es, dass er hier trainieren kann, wann immer er möchte: „Manchmal komme ich sogar nachts vorbei“, erzählt er. Zu der Männerrunde gesellt sich bald darauf auch Lisa Hillmann: Die 15-jährige Maubacherin trainiert fast jeden Tag auf der Anlage. „Am Anfang habe ich nur gehangelt“, erzählt die Schülerin, bei einem Kurs vom SV Maubach hat sie dann auch andere Übungen kennengelernt. Und als ihr Klettertraining wegen Corona ausfiel, ist sie vorübergehend ganz auf Calisthenics umgestiegen. Den Erfolg des Trainings kann sie genau beziffern: „Am Anfang habe ich nur zwei oder drei Klimmzüge geschafft, heute sind es zehn“, erzählt sie.
Der Maubacher Ortsvorsteher Karl Scheib freut sich, wenn er die Sportler beim Training sieht: „Früher war das eine Schlafsiedlung, jetzt ist hier Leben.“ Als Sportmediziner ist es Scheib ein persönliches Anliegen, dass sich die Menschen mehr bewegen. Deshalb hat er sich bei der Stadt auch vehement dafür verkämpft, dass nicht nur im Plattenwald, sondern auch in Maubach eine solche Anlage aufgestellt wird. Vor vier Jahren erfüllte sich dieser Wunsch, von der Resonanz ist der Ortsvorsteher begeistert: „Das ist ein Selbstläufer“, sagt er. An manchen Abenden versammeln sich bis zu 20 Sportler an der Anlage. Während des Lockdowns schaute der Ortsvorsteher deshalb regelmäßig vorbei, um an die Abstandsregeln zu erinnern.
Lediglich die Älteren ließen sich noch nicht so oft blicken wie erhofft, bedauert Scheib. Dabei wäre das Ganzkörpertraining auch für Senioren genau das Richtige. Die Stammgäste, die regelmäßig in Maubach trainieren, heißen Neulinge jeden Alters immer herzlich willkommen. Das sei typisch für Calisthenics, sagt Matthias Wieland: „Alle sind cool miteinander. Jeder hilft dem anderen und man gibt sich gegenseitig Tipps.“ Auch das ein Pluspunkt im Vergleich zu einem Fitnessstudio, findet Dominik Thumm: „Dort geht es viel unpersönlicher zu.“
Der Begriff Calisthenics leitet sich von den griechischen Begriffen kalos (schön) und sthenos (Kraft) ab. Kennzeichnend für
diese Form des Krafttrainings ist, dass die Sportler auf zusätzliche Gewichte verzichten und stattdessen nur mit ihrem eigenen Körpergewicht trainieren.
Die meisten Übungen, wie etwa Klimmzüge oder Liegestützen, waren schon zu Turnvater Jahns Zeiten beliebt. Anfang der 2000er-Jahre wurden sie als „Streetwork-out“ in amerikanischen Großstädten wieder entdeckt. Junge Leute trainierten dort zum Beispiel an Gerüsten oder Geländern.
Unterstützt durch die sozialen Medien hat sich daraus in den vergangenen Jahren ein weltweiter Trend entwickelt. Mittlerweile gibt es auch Calisthenics-Wettkämpfe und sogar Weltmeisterschaften. Die Videos
bekannter Sportler werden bei Youtube millionenfach geklickt.