Urteil in Braunschweig
Christian B. aus Mangel an Beweisen freigesprochen
Ein Gericht hat den mehrfach vorbestraften Sexualstraftäter Christian B. freigesprochen. Ende kommenden Jahres könnte er ein freier Mann sein. Was bedeutet das für den Fall Maddie?
Von Von Maurice Dirker und Christina Sticht (Text) und Michael Matthey (Foto), dpa
Braunschweig - Keine erkennbare Regung zeigt Christian B., als das Landgericht Braunschweig ihn vom Vorwurf mehrerer schwerer Sexualstraftaten freispricht. Statt 15 weiterer Jahre in Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung, wie es die Staatsanwaltschaft forderte, könnte er im kommenden Jahr freikommen. Für eine Verurteilung von Christian B. gebe es nicht ausreichend Beweise der fünf Taten in Portugal, sagte die Vorsitzende Richterin. B. steht auch im Fall Maddie unter Mordverdacht.
Wie schon an den mehr als 30 Verhandlungstagen zuvor trug er am Dienstag ein zerknittertes graues Jackett. Die mehr als zweistündige Urteilsbegründung verfolgte er mit meist ausdruckslosem Blick.
Mit ihrem Urteil folgten die drei Berufsrichter und zwei Schöffen der Strafkammer im Wesentlichen den Forderungen der Verteidigung. "Das, was wir an Beweisen hatten, hat für eine Verurteilung des Angeklagten nicht gereicht", sagte die Vorsitzende Richterin Uta Engemann. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Staatsanwaltschaft kündigte Revision an.
Weiter sagte die Richterin: "Wir haben es mit unzuverlässigen, mit zum Teilen das Gericht bewusst anlügenden Zeugen zu tun gehabt." Darauf könne die Kammer kein Urteil stützen. Weiter argumentierte sie, dass Zeugen durch die Berichterstattung über Christian B. in ihren Aussagen beeinflusst worden seien. Der Angeklagte sei in den Medien "als Sexmonster und Kindermörder stilisiert worden".
B. spätestens 2026 auf freiem Fuß
Bis September 2025 verbüßt der mehrfach vorbestrafte Sexualstraftäter noch eine Haftstrafe wegen der Vergewaltigung einer 72-jährigen US-Amerikanerin. 2019 war er deshalb vom Landgericht Braunschweig verurteilt worden. Anschließend muss B. laut Staatsanwaltschaft Braunschweig noch eine Ersatzfreiheitsstrafe bis zum 6. Januar 2026 absitzen, sollte er nicht 1.446 Euro zahlen. Tatort war die portugiesische Algarve. Nach neuen Erkenntnissen aus dem aktuellen Verfahren hat die Verteidigung dazu einen Wiederaufnahmeantrag angekündigt.
Nach derzeitigem Stand ist ist Christian B. spätestens Anfang 2026 ein freier Mann. Eine Sicherungsverwahrung zum Beispiel dürfe ohne Verurteilung nicht angeordnet werden, teilte die Staatsanwaltschaft mit. In diesem Fall hätte B. nicht nach Verbüßung der Haft entlassen werden können. Daran ändere auch das psychiatrische Gutachten nichts.
Ein Gutachter hatte gesagt, dass Christian B. in "die absolute Topliga der Gefährlichkeit" einzuordnen sei. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass B. dann in Freiheit in den nächsten zwei Jahren wieder inhaftiert werde, liege bei 30 bis 50 Prozent. Der Psychiater betonte aber auch, dass er nur eine Verdachtsdiagnose stellen könne, weil der Angeklagte nicht bereit gewesen sei, mit ihm zu sprechen. Laut Staatsanwaltschaft wurde für Christian B. noch nie eine Sicherungsverwahrung angeordnet worden, auch nicht unter Vorbehalt.
Bedeutung für den Fall Maddie
Das Braunschweiger Verfahren stand im Fokus internationaler Medien, weil der Angeklagte im Fall der aus einer portugiesischen Ferienanlage verschwundenen dreijährigen Madeleine "Maddie" McCann unter Mordverdacht steht. Der Maddie-Komplex ist aber offiziell nicht Gegenstand des aktuellen Verfahrens; es gilt die Unschuldsvermutung.
Dass die Kammer einen Zeugen, der auch im Maddie-Komplex eine Rolle spielt, für unglaubwürdig hielt, beeinträchtigt die Maddie-Ermittlungen nach Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht. "Das sind nicht unsere Kronzeugen in unserem Maddie-Verfahren", sagte ein Sprecher. "Es sprechen auch andere Indizien im Fall Maddie gegen Christian B."
Die deutschen Ermittler gehen davon aus, dass das britische Mädchen tot ist. Im Sommer 2020 gab es im Zusammenhang mit den Mordermittlungen tagelange Grabungen in einem Kleingarten in Hannover. Die Ermittlungen dazu gehen weiter, eine Anklage ist bisher aber nicht absehbar. Auch mit einem Haftbefehl habe sich die Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben bisher nicht beschäftigt.
Die damals dreijährige Britin Madeleine McCann ist seit Mai 2007 verschwunden. Die Eltern hatten sie am Abend des 3. Mai 2007 im Appartement gelassen, als sie in einem nahe gelegenen Restaurant mit Freunden aßen. Seitdem ist der Fall ungeklärt.
Seit dem 3. Juni 2020 ist bekannt, dass Christian B. im Fall Maddie unter Mordverdacht steht. Das gaben damals das Bundeskriminalamt (BKA) und die Staatsanwaltschaft Braunschweig überraschend bekannt. Parallel gab es dazu auch einen Bericht in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY... ungelöst". An den Fall wurde im Zuge des nun wohl vorerst zu Ende gegangenen Prozesses erinnert.
Gericht: "Lügende Zeugen"
Die Vorsitzende Richterin schilderte in der Urteilsbegründung ausführlich die Widersprüche in den Aussagen der beiden Zeugen, die Videos von zwei der drei angeklagten Vergewaltigungen gesehen haben wollen. Die beiden hätten in ihren polizeilichen Vernehmungen im vorherigen Vergewaltigungs-Prozess 2019 und als Zeugen im aktuellen Prozess in vielen Punkten völlig unterschiedliche Angaben gemacht. Die beiden Opfer wurden bis heute nicht gefunden.
Dem Opfer der dritten Vergewaltigung glaubte die Kammer zwar - nicht aber, dass sie den Angeklagten nur anhand der Augenfarbe wiedererkennen könne. Die 40-jährige Irin war im Mai mehrere Tage lang als Zeugin befragt worden.
Angeklagter schweigt weiter
Für Prozessbeobachter blieb Christian B. während der Verhandlungstage kaum greifbar. Er schwieg und verzichtete auch auf die Möglichkeit eines letzten Wortes, die jedem Angeklagten zusteht. Das könnte mit anwaltlichem Rat zusammenhängen, in einem Strafprozess möglichst wenig Emotionen zu zeigen, sagte Verteidiger Friedrich Fülscher nach der Verhandlung.
Die Staatsanwaltschaft hatte B. in ihrem Plädoyer noch zwei Vergewaltigungen sowie zwei Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch im Zeitraum zwischen 2000 und 2017 vorgeworfen. Im Fall einer Vergewaltigung habe der Vorwurf nicht aufrechterhalten werden können.