Rems-Murr-Kreis will auf freiwillige Rückkehr statt Abschiebung setzen
Asylbewerber, die sich entscheiden, in ihr Heimatland zurückzukehren, können auf Unterstützung zählen. Der deutsche Staat organisiert nicht nur die Reise, sondern fördert auch den Neustart in der Heimat. Im Rems-Murr-Kreis wächst das Interesse an diesem Programm.
Von Kornelius Fritz
Rems-Murr. Wer in seiner Heimat alle Zelte abbricht und sich auf den langen, oft lebensgefährlichen Weg nach Deutschland macht, verbindet mit dieser Flucht große Hoffnungen. Doch die erfüllen sich nicht immer: „Viele kommen mit falschen Vorstellungen hierher“, weiß Frank Polachowski, der in der Ausländerbehörde des Landratsamts in Waiblingen arbeitet. Oft seien daran auch Schlepper schuld, die die Not leidenden Menschen mit falschen Versprechungen ködern. In Deutschland angekommen, platzen die Träume vom besseren Leben dann oft wie Seifenblasen.
Niedrige Anerkennungsquoten bei manchen Herkunftsländern
Vielen wird auch erst hier klar, dass sie kaum Chancen auf eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung haben. Bei Asylbewerbern aus Ländern wie Indien, Tunesien oder Georgien liegt die Anerkennungsquote im einstelligen Prozentbereich. So mancher kommt dann irgendwann ins Grübeln und denkt vielleicht über eine freiwillige Rückkehr in seine Heimat nach. Befördert werden solche Überlegungen zum Teil auch durch Veränderungen im persönlichen Umfeld, etwa wenn Verwandte in der Heimat krank werden und Unterstützung brauchen.
Wenn Asylbewerber im Rems-Murr-Kreis solche Gedanken laut äußern, sei es auf dem Ausländeramt oder im Gespräch mit einem Sozialbetreuer, werden sie in der Regel zu Frank Polachowski geschickt. Der organisiert im Waiblinger Landratsamt die Unterbringung von Geflüchteten, hat sich daneben aber auch auf die sogenannte Rückkehrberatung spezialisiert. Denn ganz so einfach ist die Heimreise für Asylbewerber in den meisten Fällen nicht.
Hilfsorganisationen unterstützen auch nach der Rückkehr
Oft müssen erst einmal Dokumente beschafft werden, teilweise müssen die Betroffenen dafür persönlich auf dem Konsulat ihres Heimatlandes erscheinen. Polachowski bucht aber auch Flüge und organisiert Transfers zum Flughafen. Außerdem beantragt er Fördergelder beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), denn der Staat unterstützt freiwillige Rückkehrer auch finanziell (siehe Infotext).
Steffen Blunck, Fachbereichsleiter im Ausländeramt, ist froh, dass es diese Anreize gibt. „Eine Abschiebung kostet mindestens 30000 Euro, in extremen Fällen sogar bis zu 200000 Euro“, rechnet er vor. Hinzu kommen die Kosten für Unterbringung und Sozialleistungen. Jeder Asylbewerber, der aus freien Stücken das Land verlässt, spare dem Steuerzahler deshalb viel Geld.
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Aber auch jenseits von finanziellen Erwägungen ist eine freiwillige Ausreise für alle Beteiligten die beste Lösung. „Die Menschen haben so die Chance, unser Land erhobenen Hauptes zu verlassen“, sagt Frank Polachowski. Auch die traumatische Erfahrung einer Abschiebung, bei der Polizeikräfte meist früh morgens vor der Haustür stehen, bleibe den Betroffenen erspart. Das sei umso wichtiger, wenn auch Kinder mit dabei sind. Die Förderung, die bei einer Familie bis zu 4000 Euro betragen kann, bietet den Rückkehrern die Möglichkeit, in ihren Heimatländern neu anzufangen. Denn Frank Polachowski weiß: „Sie kommen als Verlierer zurück.“ Manche trauten sich gar nicht mehr zu ihren Familien, die sie losgeschickt hatten in der Hoffnung, dass der Verwandte im fernen Europa auch ihnen ein besseres Leben finanziert.
Auch anerkannte Asylbewerber kehren zurück
Neben dem Geld, das die Rückkehrer direkt bekommen, können sie deshalb auch noch weitere Unterstützung durch lokale Hilfsorganisationen in ihrem Heimatland erhalten. „Wenn einer zum Beispiel einen Malerbetrieb eröffnen möchte, kann ihm dafür die Erstausstattung finanziert werden“, erklärt Steffen Blunck. So könne man den Leuten in ihren Herkunftsländern vielleicht die Zukunftsperspektive bieten, die es für sie in Deutschland nicht gab. Viele der Rückkehrer freuten sich am Ende darauf, wieder nach Hause zu kommen, erzählt Frank Polachowski. Unter den Personen, für die er die Heimreise organisiert hat, waren auch schon anerkannte Asylbewerber, die dauerhaft in Deutschland hätten bleiben dürfen.
Das Programm soll gezielt beworben werden
Im Waiblinger Landratsamt registrieren die Verantwortlichen derzeit ein wachsendes Interesse an dem Rückkehrerprogramm. Waren es im gesamten Jahr 2023 nur 38 Personen, die von diesem Angebot Gebrauch machten, hat die Ausländerbehörde in den ersten beiden Monaten des neuen Jahres bereits 32 Fälle registriert, weitere 24 Personen planen derzeit ihre Ausreise, unter anderem nach Georgien, Nordmazedonien und in die Türkei.
Steffen Blunck und Frank Polachowski sind davon überzeugt, dass man die Zahl der freiwilligen Rückkehr noch weiter steigern könnte, wenn das Programm gezielter beworben würde. „Statt immer nur über Abschiebungen zu sprechen, wäre es besser, eine Rückkehroffensive zu starten“, findet Blunck. Wobei das eine letztlich wohl nicht ohne das andere funktioniert, denn klar ist auch: Je weniger jemand eine Abschiebung fürchten muss, desto geringer ist auch die Motivation, das Land freiwillig zu verlassen.
Reisekosten Das Förderprogramm REAG/GARP 2.0 bietet Personen finanzielle Unterstützung, die sich freiwillig zu einer Rückkehr in ihr Heimatland entscheiden. Neben Flugtickets und den Fahrtkosten zum Flughafen erhalten die Ausreisenden eine Reisebeihilfe von 200 Euro für Erwachsene und 100 Euro für unter 18-Jährige.
Starthilfe Zusätzlich können Rückkehrer eine Unterstützung in Höhe von 1000 Euro (500 Euro für Minderjährige) erhalten, um ihnen den Neustart in ihrem Herkunftsland zu erleichtern. In einigen Ländern kann nach sechs Monaten eine weitere Förderung von bis zu 400 Euro gewährt werden. Auch notwendige medizinische Hilfe wird im Rahmen des Programms finanziert.
Probleme Bis Ende 2023 lief das Programm unter der Regie der Internationalen Organisation für Migration (IOM), einer Einrichtung der Vereinten Nationen. Das habe immer bestens funktioniert, berichtet Frank Polachowski. Die IOM habe sogar eigene Mitarbeiter an den Flughäfen gehabt, die die Rückkehrer in Empfang nahmen und bei den Formalitäten unterstützten. Seit Januar 2024 ist nun das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zuständig. Seitdem dauere die Bearbeitung der Anträge länger und die Betreuung sei nicht mehr so gut.