Frischer Wind in Backnangs Gemeinderat

Ingrid-Matano Kress ist Backnangs erste schwarze Stadträtin. Die Public-Management-Studentin bringt aber auch als junge Mutter neue Einblicke mit. Ihrer Vorbildrolle ist sie sich durchaus bewusst.

In Backnang fühlt sich Ingrid-Matano Kress richtig wohl. Die Stadt habe für sie genau die richtige Größe, sagt sie. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

In Backnang fühlt sich Ingrid-Matano Kress richtig wohl. Die Stadt habe für sie genau die richtige Größe, sagt sie. Foto: Alexander Becher

Von Lorena Greppo

Backnang. Obwohl sie erst seit etwa drei Jahren in Backnang wohnt, ist Ingrid-Matano Kress bekannt. Bei einem kurzen Gang durch die Innenstadt wird sie von gleich mehreren Menschen freundlich gegrüßt. Das hängt einerseits wohl damit zusammen, dass die 30-Jährige sich vielfältig in der Stadt engagiert. Vor allem aber hat sie in den vergangenen Monaten offensiv das Gespräch mit den Backnangerinnen und Backnangern gesucht. Denn Ingrid-Matano Kress hat für den Gemeinderat kandidiert und ist auf Anhieb in das Gremium gewählt worden – als erste schwarze Frau.

Vielfalt der Gesellschaft wird noch nicht abgebildet

Eigentlich sollte das heutzutage keine Rolle mehr spielen. „Ich bin kompetent und engagiert, das sollte an erster Stelle stehen“, sagt Ingrid-Matano Kress. Zugleich weiß sie aber auch um ihre Ausnahmestellung. Denn die Zusammensetzung der politischen Gremien bildet längst noch nicht die Vielfalt der Gesellschaft ab. Das betreffe nicht nur sogenannte People of Color (siehe Infotext), sondern Menschen mit Behinderung, queere Menschen, junge Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund oder auch Frauen. „Ziel muss sein, dass wir irgendwann solche Gespräche nicht mehr führen müssen, dass die Vielfalt in den Gremien abgebildet wird“, sagt die Backnangerin. Um daran arbeiten zu können, müsse das Problem aber auch benannt werden. Dass sie als erste schwarze Stadträtin eine Vorbildrolle einnimmt, ist ihr bewusst – unter anderem, weil sie in ihrer Jugend selbst kein derartiges Vorbild hatte.

Die gebürtige Weinstädterin war zwar schon immer ehrenamtlich engagiert, allerdings nie in Parteien oder politischen Jugendorganisationen. „Ich habe mich nie in der Politik vertreten gesehen und hatte das Gefühl, dass es nicht so wichtig ist, was ich zu sagen habe.“ Immerhin diesbezüglich habe sich etwas getan, unter anderem durch Politikerinnen wie Aminata Touré, ehemalige Vizepräsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtags.

Ehrenamtliches Engagement

Ingrid-Matano Kress ist Mitglied im Integrationsrat in Backnang, im Kita-Beirat der Stadt Backnang und im Klimaforum. Des Weiteren nimmt sie am Bundesprogramm „YoungUp“ teil, das politische Teilhabe von unterrepräsentierten Gruppen fördert, ist Mitglied im Verein Junge Europäer Baden-Württemberg und engagiert sich in der Vesperkirche. Dass sie auch die politische Teilhabe in ihrem Wohnort anstrebt, scheint da folgerichtig. Sie habe sich bei verschiedenen Listen und Gruppierungen informiert und die meisten Übereinstimmungen bei den Grünen gefunden, erzählt sie.

Dass ihr direkt Listenplatz fünf angeboten wurde, habe sie überrascht. „Es ist nicht üblich, dass Neue so weit oben stehen“, weiß Ingrid-Matano Kress. Ihr sei großes Vertrauen entgegengebracht worden – von den Grünen, aber auch von der Backnanger Wählerschaft.

Auch wertet sie ihre Erfahrungen aus dem Wahlkampf überwiegend positiv. Denn in Einzelgesprächen sei die Rückmeldung der Backnangerinnen und Backnanger ermutigend gewesen. „Es wird als positiv und erfrischend wahrgenommen“, sagt sie, wenn es um ihre Hautfarbe ging. Nur in einem Fall sei mit ihr merklich anders umgegangen worden als mit anderen Personen am Infostand. Für Ingrid-Matano Kress ist das aber leider nichts Neues.

Es vergehe kaum ein Monat, in dem sie keine Erfahrungen mit Rassismus erlebt. Das können vermeintlich kleine Dinge sein. „Alltagsrassismus erlebe ich am häufigsten und fast ausschließlich“, berichtet sie. Dass sie in einer fremden Sprache angesprochen wird oder Menschen überrascht sind, dass sie kein gebrochenes Deutsch spricht. Dass sie gleich zu Beginn einer Unterhaltung gefragt wird, woher sie komme, und die Antwort „aus Weinstadt“ nicht akzeptiert wird. Dass Menschen „Witze“ machen, ob sie zu lange in der Sonne gelegen habe. Oder dass Fremde ungefragt ihre Haare anfassen.

Ausbildung zur Europasekretärin

Weitere Themen

Bei der Demo gegen Rechtsextremismus im März wurde sie nach ihrem Redebeitrag hierüber noch mehrfach angesprochen, berichtet Ingrid-Matano Kress. Diese Gespräche habe sie als besonders wertvoll empfunden, „wenn die Menschen eine gewisse Offenheit und Bereitschaft mitbringen, richtig zuzuhören, wenn Betroffene ihre Erfahrungen schildern“. Denn was Außenstehenden womöglich als unbedeutend erscheint, bleibt für Betroffene nicht ohne Effekt. „Man fühlt eine gewisse Ausgrenzung“, sagt Ingrid-Matano Kress. Das erstrecke sich auch auf Situationen wie die Wohnungssuche oder Bewerbungsgespräche. „Man wird in eine Schublade gesteckt“, erklärt sie weiter. Als könne man ja unmöglich dazugehören. Dabei ist die junge Frau in Deutschland aufgewachsen. „Ich fühle mich hier zugehörig.“

Nach dem Abitur am Waiblinger Wirtschaftsgymnasium hat Ingrid-Matano Kress eine schulische Ausbildung zur Europasekretärin gemacht. Durch ihre familiären Wurzeln in Angola ist Portugiesisch neben Deutsch und Lingala eine ihrer Muttersprachen. Zudem belegte sie Englisch und Spanisch. Im Berufsleben als Teamassistentin habe es ihr gefehlt, Verantwortung zu übernehmen, sagt die dreifache Mutter. Deswegen habe sie noch ein Studium im Bereich Public Management begonnen. Aktuell befindet sie sich im dritten Semester, bald stehen Praxiseinsätze unter anderem in Rudersberg und Backnang an.

Gewappnet für die Arbeit im Gremium

Die Erfahrung im Verwaltungswesen werde ihr im Gemeinderat zugutekommen, hebt Ingrid-Matano Kress hervor. Obwohl sie im Gremium neu ist, bringt sie also schon Wissen mit. Und nicht nur das. Auch bei Themen wie der Familienfreundlichkeit der Stadt und der Verbesserung der Kinderbetreuung bringt sie wertvolle Einblicke mit – aus ihrem Alltag mit drei Kindern wie auch ihrem Engagement im Kita-Beirat. Darüber hinaus möchte sich die Backnangerin dafür einsetzen, dass nachhaltige Mobilität gefördert wird. „Wir müssen Anreize zur Nutzung schaffen“, fordert sie.

Im Gremium wird sie unter anderem mit vier AfD-Stadträten sitzen, sie repräsentieren also eine Partei, deren Vertreter immer wieder mit diskriminierenden Aussagen von sich reden machen. Wie sieht sie dem entgegen? „Im Allgemeinen ist mir ein respektvolles Miteinander wichtig“, sagt die 30-Jährige, fügt aber hinzu: „Mir ist jedoch bewusst, dass es unbequem werden kann, und ich schrecke nicht davor zurück, klare Kante zu zeigen, sollte dies nötig werden.“ Schon im Vorfeld der Wahl hatte sie angekündigt, sich für Vielfalt und ein gutes Miteinander in der Gesellschaft starkzumachen. Daher wolle sie sich auch keine Angst machen lassen – auch wenn ihr durchaus klar sei, dass Übergriffe auf Politikerinnen und Politiker auch abseits der großen Bühne in den vergangenen Jahren zugenommen haben. „Ich gehe nicht naiv an die Sache ran, bin aber auch selbstbewusst genug, um mich nicht einschüchtern zu lassen.“

Rassismus beruht auf einem realen Machtunterschied in unserer Gesellschaft

PoC Person of Color (Plural: People of Color, abgekürzt PoC) ist eine Bezeichnung für Menschen, die von der Mehrheitsgesellschaft als nicht weiß angesehen werden und aufgrund ethnischer Zugehörigkeit Alltags- und anderen Formen von Rassismus ausgesetzt sind. In Deutschland wird der Begriff nach Angaben der Uni Köln eher im akademischen Kontext und als Selbstbezeichnung verwendet, hat aber noch keine Anwendung in der Breite gefunden.

Rassismus ist nach Angaben der Amadeu-Antonio-Stiftung als eine Ideologie definiert, die Menschen aufgrund ihres Äußeren, ihres Namens, ihrer (vermeintlichen) Kultur, Herkunft oder Religion abwertet. In Deutschland betrifft das nicht weiße Menschen – jene, die als nicht deutsch, also vermeintlich nicht wirklich zugehörig angesehen werden. Wenn Menschen nicht nach ihren individuellen Fähigkeiten und Eigenschaften oder danach, was sie persönlich tun, sondern als Teil einer vermeintlich homogenen Gruppe beurteilt und abgewertet werden, dann ist das Rassismus.

Auswirkungen Mit dieser Ideologie werden ungleichwertige soziale und ökonomische Lebensverhältnisse, Ausschlüsse von Menschen oder sogar Gewalt gerechtfertigt. Rassismus ist dabei kein „einfaches“ Mobbing, denn Rassismus beruht auf einem realen Machtunterschied in unserer Gesellschaft. Rassismus drückt sich nicht nur in physischer Gewalt aus, sondern zuerst in Gedanken, Worten und Handlungen. Nach Recherchen der Amadeu-Antonio-Stiftung sind seit dem Wendejahr 1990 mindestens 219 Menschen durch die Folgen menschenfeindlicher Gewalt ums Leben gekommen. Rassismus findet sich aber auch versteckt, etwa wenn Menschen mit deutsch klingendem Namen eher einen Arbeitsplatz oder eine Wohnung bekommen.

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Erstellt:
3. Juli 2024, 06:00 Uhr

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