Gelungene Premiere der ersten Backnanger Pen-and-Paper-Rollenspiel-Convention

Puppenhorror und mörderischer Schiffstrip: Im Club Junges Europa können sich Einsteiger und Erfahrene mit Papier und Stift bewaffnet in ganz unterschiedliche Fantasiewelten stürzen. Die halten Abenteuer bereit, die Einzelne und Gruppe physisch, aber auch psychisch fordern.

Spielleiter Achim Bechthold (Mitte) hat für das Treffen ein selbstentworfenes Spiel mitgebracht. Convention-Initiator Dirk Jerusalem (Zweiter von links) gesellt sich als Spieler zur Runde. Fotos: Alexander Becher

© Alexander Becher

Spielleiter Achim Bechthold (Mitte) hat für das Treffen ein selbstentworfenes Spiel mitgebracht. Convention-Initiator Dirk Jerusalem (Zweiter von links) gesellt sich als Spieler zur Runde. Fotos: Alexander Becher

Von Christine Schick

Backnang. Gegen 14 Uhr füllt sich das Café in den Räumen im Obergeschoss des Clubs Junges Europa (CJE). Es ist eine Mischung aus jüngeren und nicht mehr ganz so jugendlichen Gästen, die sich zur ersten Backnanger Pen-and-Paper-Rollenspiel-Convention in Backnang-Steinbach einfindet. Die meisten Spielfreudigen kommen aus Backnang und Umgebung oder dem Rems-Murr-Kreis. „Der Bedarf scheint schon da zu sein“, sagt Initiator Dirk Jerusalem mit einer gewissen Zufriedenheit.

Bisher hat er im Café mehrmals im Jahr einen Spieletreff angeboten, nun wollte er sich ans Thema Pen-and-Paper-Rollenspiel wagen, also Spielwelten, bei denen Stift und Papier im Einsatz sind und die Einzelnen in bestimmte Figuren schlüpfen und Abenteuer bestehen müssen. Dirk Jerusalem hat diese Form der Gruppenspiele schon im Studium kennengelernt und möchte, jetzt wo seine Kinder groß sind, den Faden wieder aufnehmen und mit der ersten Backnanger Convention ein Angebot an junge und spielhungrige Leute machen. Zur Unterstützung für die Premiere – es ist Zeit bis etwa 20 Uhr – hat er sich vier Spielleiter – Marcel Langner, Michel Saalbach, Richard Ihle und Achim Bechthold – an die Seite geholt. Bei der Vorstellung erfahren die, dass von den angemeldeten 16 Spielerinnen und Spielern fünf bisher keinen Kontakt zum Pen-and-Paper-Rollenspiel hatten, zwei zum Lager der Erfahrenen zählen, der Rest sich somit im Mittelfeld bewegen dürfte.

Im Gepäck haben die Spielleiter ganz unterschiedliche Welten. Marcel Langner wartet mit einem Abenteuer auf, das in den 1920er-Jahren angesiedelt ist, aber auch Mysteryelemente bereithält. Mit Michel Saalbach, Richard Ihle und Achim Bechthold lässt sich in vergleichsweise klassische Fantasiewelten eintauchen, wobei Letzterer sogar eine Eigenkreation mitgebracht hat.

Ein harmloser Umzug für einen Freund entwickelt sich zum Horrortrip

Die jeweils vierköpfigen Spielteams finden sich an den zusammengestellten Bistrotischen zusammen und wählen eine der bereit gestellten Rollen. In der „Puppenmacherin“ verwandelt sich Kai in einen erfolglosen Detektiv, Christian in einen Barkeeper, der wegen der Prohibition schon mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist. Claudia verkörpert eine Studentin und Carolin eine Hautärztin.

Bei Michel Saalbach (rechts) taucht das Spielteam in eine Mittelalterfantasiewelt ein.

© Alexander Becher

Bei Michel Saalbach (rechts) taucht das Spielteam in eine Mittelalterfantasiewelt ein.

Hinter dem harmlosen Auftrag, ihrem Freund Edwin im amerikanischen Arkham der 1920er bei seinem Umzug zu helfen, lauert der Horror. „Viele der Figuren werden wahnsinnig“, sagt Marcel Langner zum Hintergrund. „Sie können im Verlauf Lebenspunkte verlieren, die für ihre geistige Stabilität stehen.“ Genau das geschieht, als die vier ein Klavier auf der Treppe nach oben schaffen wollen, ihnen das Möbelstück entgleitet und die Nachbarin, eine alte Frau, die im Erdgeschoss lebt und an der Wohnungstür steht, bei diesem tragischen Unfall ums Leben kommt. Wäre das nicht schon genug, wird es auch noch gruselig: Die Wohnung der Toten ist überhäuft mit Puppen, die zu leben scheinen und von denen eine unausgesprochene Gefahr ausgeht. „Sie drehen sich zu euch, öffnen ihre Münder, imitieren einen Schrei“, sagt Langner und legt den Schnitt der Wohnung auf den Tisch.

„Ich will schnell hier raus“, stellt Carolin fest. Schließlich schauen sich die vier nach Gegenständen um, mit denen sie sich im Zweifel wehren können und bitten den Freund, die Polizei zu holen. Die erweist sich allerdings nicht als wirkliche Hilfe.

Ratten und eine Höhlenspinne tauchen als Gegner auf

Bei Michel Saalbach tasten sich Mario als Magier, Lea als Kriegerin, Alexander als Elf und Patrick als Zwerg in einer Grafschaft an ihre Mission heran. Die Ausgangskonstellation von „Das Geheimnis des Drachenritters“: Die Tochter des Grafen wurde entführt, eine erste Lösegeldübergabe ist aus dem Ruder gelaufen und die vier treten an, um die Edle zu finden. „Das ist an eine klassische Mittelalterfantasiewelt wie beispielsweise ,Herr der Ringe‘ angelehnt“, sagt Michel Saalbach. Die Spieler wagen sich im Verlauf in eine Höhle, in der sie es mit Ratten und einer Höhlenspinne als Gegner zu tun bekommen. Es zeigt sich außerdem, dass die spezifischen Fähigkeiten der Figuren helfen oder auch Probleme bereiten können. „In der Höhle stinkt es, das ist für mich schwer zu ertragen und schwächt mich“, sagt der Elf. Der Zwerg hat im Gegensatz zur Kriegerin kein Problem, einen toten Soldaten zu durchsuchen und findet bei ihm eine Karte der Höhle, die die Gruppe weiterbringt. Die Runde wird noch mit Leuchtpilzen und eindringendem Wasser konfrontiert, um nur ein paar Details zu nennen.

„Ihr kennt euch nicht, euch erreicht ein Brief mit einer etwas kryptischen Botschaft, die Einladung, an einer Schatzjagd teilzunehmen“, sagt Achim Bechthold. Auch bei ihm steht das Team vor einer Höhle, in die sich die Spieler als ebenso klassische Figuren – Magier, Schurkin, Kämpfer und Priester – schließlich hineinwagen.

Die Figuren müssen mit ihren Stärken und Schwächen umgehen lernen

Sie arbeiten sich für den Geschmack des Spielleiters noch nicht ganz so entschlossen an einem untoten Gerippe ab. „Nachdem ihr das Skelett zu Tode gezahnstochert habt, müsst ihr jetzt überlegen, wie es weitergeht“, sagt er. Seine Eigenkreation „Fresh Blood on the ,Old Tide‘“ führt sie auf ein Schiff, wo sie in einen mysteriösen Mordfall verstrickt werden. An Deck überlegt der Kämpfer, ob er mit seiner Kernkompetenz punkten kann („Ich könnte anbieten, die Tür aufzubrechen.“), der Priester möchte lieber die Schurkin interviewen. Am Nebentisch stellt der Elf fest: „Wir reden noch zu wenig miteinander!“, und bei Spielleiter Richard Ihle und der Kulisse von „Winter’s Daughter“ bekommen Kämpfer, Zwerg, Halblingsfrau und Zauberer den Konflikt um eine Schatulle gelöst – sprich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Convention gehen mittlerweile voll in ihren Rollen auf. Dieses Ein- und Abtauchen in eine Welt, die völlig anders als die eigene aussieht und funktioniert, ist für Michel Saalbach eines der zentralen Charakteristika von Rollenspielen. „Das ist schon Eskapismus in Reinkultur“, sagt er. Dieses Ausbrechen eröffnet den Spielerinnen und Spielern die Chance, sich eben auch ganz anders zu erleben und auszuleben – physisch wie psychisch. Jemand, der als Sozialpädagoge im Alltag dazu anleitet, Streitigkeiten verbal zu schlichten, kann sich beispielsweise im Schwertkampf üben, ein Atheist sich an der Welt der Götter abarbeiten. Und der Blick in die Runde im CJE-Café zeigt – die Conventiongäste haben definitiv eine Menge Spaß daran.

Empathie und Teamspirit

Pen-and-Paper-Rollenspiele Diese Spielform fordert und fördert die Fantasie und das gemeinsame Teamspiel genauso wie empathische Fähigkeiten und Toleranz. In der Regel müssen sich die Mitspieler in eine andere Persönlichkeit, erfundene Charaktere, versetzen wie einen gemütlichen Hobbit, eine heldenhafte Schwertkämpferin oder einen humorlosen Polizisten, und sich so verhalten, wie es diese tun würden. Spiel und Spielleiter geben den Handlungsverlauf der Geschichte vor, trotzdem sind auch Zufallselemente beispielsweise über Würfel miteingebaut, die den Ausgang der einzelnen Schritte variieren und die Spannung so aufrechterhalten sollen. Meist, aber nicht immer arbeiten die Charaktere zusammen. Die Spiele können lange, oft einen ganzen Tag, im Extremfall Monate und Jahre dauern.

Anfänge Eines der bekanntesten Pen-and-Paper-Spiele ist das bereits 1974 erschienene „Dungeons & Dragons“ (englisch für Verliese und Drachen). Sehr viele klassische und moderne Varianten stammen von diesem ab oder verwenden zumindest einige Grundzüge des Originals. Wichtige Elemente sind eine Geschichte mit Handlungsverlauf und Spannungsbogen ähnlich wie in Film oder Roman, Charakterbögen der Figuren inklusive Stärken und Schwächen sowie ein Regelwerk beispielsweise mit verschieden gestalteten Würfeln.

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Erstellt:
23. Januar 2023, 06:00 Uhr

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