Gespräche statt „schulrechtlicher Keule“

Mehrheit der Rektoren an Backnanger Schulen hat Verständnis für demonstrierende Schüler – Heute weltweiter Klimastreik

Die Schülerstreikbewegung „Fridays for Future“ ist in Backnang und Umgebung angekommen. Auch hier bleiben junge Menschen dem Freitagsunterricht fern, um auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren, etwa in Stuttgart oder Ludwigsburg. Auch zum heutigen weltweiten Streik sind die Schüler wieder unterwegs. An den Schulen selbst wird mit dem Thema unterschiedlich umgegangen. Wir haben nachgefragt.

Heute streiken Schüler in über 90 Ländern und 1600 Städten für eine bessere Klimapolitik. In Stuttgart findet eine Kundgebung statt. Foto: Imago

Heute streiken Schüler in über 90 Ländern und 1600 Städten für eine bessere Klimapolitik. In Stuttgart findet eine Kundgebung statt. Foto: Imago

Von Silke Latzel

BACKNANG/WEISSACH IM TAL. Sie haben Angst um ihre Zukunft und die Zukunft unseres Planeten: Seit einigen Monaten gehen Schüler an Freitagen auch in Deutschland auf die Straße und demonstrieren für den Schutz des Klimas. Die Bewegung nennt sich „Fridays for Future“ und findet mittlerweile auch im Raum Backnang Anhänger.

An den meisten weiterführenden Schulen gibt es streikende junge Menschen. So zum Beispiel auch am Backnanger Max-Born-Gymnasium. Dessen Rektorin Sonja Conrad sagt: „Natürlich ist die Bewegung bei uns auch schon angekommen und es gibt Schüler, die an Freitagen wegen des Streiks gefehlt haben.“ Sie gehe davon aus, dass das heute auch wieder der Fall sein wird – denn die Bewegung hat für den 15. März zu einem globalen Klimastreik aufgerufen, an dem sich Schüler und junge Erwachsene auf der ganzen Welt beteiligen. „Ich freue mich prinzipiell über politisch engagierte Schüler, habe auch angeboten das Thema im Unterricht zu behandeln“, so Conrad. „Trotzdem tragen wir diese Schüler als unentschuldigt fehlend ein. Politisches Engagement ist gut, wenn es im Rahmen der Gesetze stattfindet und die Schulpflicht ist nun einmal ein Gesetz.“

Ähnlich sieht es auch Thomas Maier, Rektor der Schickhardt-Realschule Backnang: „Der Streik ist bei uns auf jeden Fall ein Thema. Wir haben einige engagierte Schüler in der 9. und 10. Klasse, die schon an den Freitagsdemonstrationen teilgenommen haben und es auch heute tun werden. Ebenso wie Kanzlerin Merkel freuen wir uns über das Engagement der Schüler. Es ist nur so: Dem Recht auf Demonstrationen steht die Schulpflicht gegenüber. Und darauf weisen wir die Schüler auch hin, wir klären sie über ihre Rechte und Pflichten auf und stoßen bei ihnen damit auch auf Verständnis.“ Und wie wird auf das Fehlen der Schüler reagiert? „Pädagogisch angemessen“, sagt Maier. „Wir packen nicht sofort die schulrechtliche Keule aus, sondern suchen das Gespräch, auch mit den Eltern der streikenden Schüler. Wir arbeiten derzeit auch an einem Elternbrief zu diesem Thema.“ Bemühungen, die Thematik von der Straße in den Unterricht zu holen, gibt es auch schon. „Wir haben ja genug Anknüpfungspunkte, zum Beispiel wenn es um die Vermeidung von Plastikmüll oder Ähnlichem geht.“ Maier hat Verständnis für die Streikbewegung: „Wir erziehen unsere Schüler ja zu mündigen Bürgern, müssen ihr Ängste und Sorgen wahr- und ernst nehmen.“ Auch die kontrovers diskutierte Aussage von FDP-Politiker Christian Lindner möchte Maier in diesem Zusammenhang nicht unkommentiert stehen lassen. Lindner sagte vor Kurzem, Schüler sollten sich besser im Unterricht informieren, statt für den Klimaschutz zu streiken, denn man könne von ihnen nicht erwarten, dass sie die Zusammenhänge verstünden – das sei eine Sache für Profis. Maier kontert: „Unsere Kinder sind die Profis von morgen, vielleicht sollte man das Herrn Lindner mal genau so sagen.“ Nichtsdestotrotz ist der Rektor noch nicht ganz sicher, wie er reagieren wird, wenn die Streiks anhalten. „Beim ersten Mal haben wir noch ein Auge zugedrückt, aber wenn es sich ständig wiederholt, wird es halt auch für uns schwierig.“ Was Maier ausschließt: Die Schüler für Demonstrationen, egal welcher Art, zu beurlauben.

Auch an der Freien Waldorfschule in Backnang streiken die Schüler fürs Klima. „Wir haben einige Schüler in der 9. und auch ein paar in der 10. Klasse, die sehr engagiert sind und auch mit Kenntnisnahme und Entschuldigen der Eltern streiken. Außerdem haben wir von ihnen die Versicherung, dass sie den Unterrichtsstoff, den sie verpassen, nacharbeiten. Denn nur einfach so vom Unterricht wegbleiben, das geht natürlich nicht“, sagt Musiklehrerin Juliane Peiffer. „Prinzipiell begrüßen wir das Engagement unserer Schüler. Und einer unserer Lehrer, der Geschichte und Gemeinschaftsschule unterrichtet, thematisiert den Streik auch in seinem Unterricht, da erzählen die Schüler, die dort waren, dann auch von ihren Eindrücken.“ Zudem sei in der Überlegung, dass der Lehrer mit seiner ganzen Klasse eine der Demonstrationen besucht, „gelebte Demokratie quasi“, so Peiffer. Danach soll ausführlich darüber gesprochen werden.

„Bislang fehlen bei uns an Freitagen nur wenige Schüler, aber mit denen haben wir gesprochen und wissen auch, dass sie sich wirklich engagieren“, sagt Udo Weisshaar, Schulleiter des Gymnasiums in der Taus Backnang. „Wir erwarten, dass auch heute wieder vereinzelt Schüler beim Klimastreik sind, allerdings ist bei uns die Teilnahme daran eher verhalten, wenn man es mit Städten wie Stuttgart vergleicht, in denen ja Kundgebungen direkt vor der Tür stattfinden.“ Auch im Gymnasium in der Taus werden Schüler als unentschuldigt fehlend eingetragen – ganz nach den Empfehlungen des Kultusministeriums. „Vom Herzen her befürworte ich das politische Engagement und auch das Anliegen der Schüler. Aber als Schulleiter kann ich das natürlich nicht undokumentiert lassen“, so Weisshaar. „Wie wir das Fehlen dann am Ende ahnden, dazu kann ich jetzt noch nichts sagen, wir warten erst einmal ab, wie sich alles entwickelt und gehen dann in Gespräche mit unseren Schülern.“ Zwar sei da Thema Nachhaltigkeit auch im Bildungsplan Leitmotiv, doch „ich weiß, dass das den Schülern zu wenig ist. Sie suchen mit ihrem Protest die Öffentlichkeit. Dass sie mit diesem bewussten Rechtsbruch – an einem Tag zu demonstrieren, an dem sie eigentlich in der Schule sein müssten – mehr Aufmerksamkeit bekommen, ist natürlich klar. Und ich lehne auch eine pauschale Verurteilung mancher Leute ab, die sagen, dass die Schüler ja alle nur schwänzen wollen und lieber am Nachmittag oder an Samstagen auf die Straße gehen sollen. Die Schüler an unserer Schule, von denen ich weiß, dass sie an Freitagen fehlen, die machen das aus Idealismus. Und nicht, weil sie schwänzen wollen. Das weiß ich.“

Bislang noch keine streikenden Schüler gibt es am Bildungszentrum Weissacher Tal, Abteilung Realschule. Rektor Jürgen Wörner sagt: „Unsere Schüler planen wohl aber in der Zeit bis zu den Osterferien eine einmalige Aktion.“ Man müsse grundsätzlich dafür sorgen, dass die Schüler am Unterricht teilnehmen, aber „wenn es nur einmal stattfindet, dann ist das etwas anderes“.

Info
Wie alles begann

Mit ihr hat alles angefangen: Am 20. August 2018 verweigerte die damals 15 Jahre alte schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg den Unterrichtsbesuch und saß anschließend zunächst jeden Tag während der Unterrichtszeit vor dem schwedischen Reichstagsgebäude in Stockholm und zeigte ein Schild mit der Aufschrift „Schulstreik fürs Klima“.

Nach den Parlamentswahlen beschränkte Thunberg ihren Unterrichtsboykott auf Freitage. Durch ihren Protest erzeugte sie internationale Aufmerksamkeit, sodass sich in Städten weltweit Gruppen bildeten, die sich der von ihr initiierten Bewegung anschlossen. In Deutschland wurde das erste Mal im Dezember 2018 unter anderem in Berlin gestreikt.

Für den heutigen 15. März hat die „Fridays for Future“-Bewegung zu einem weltweiten Klimastreik aufgerufen, an dem sich Schüler und junge Menschen in über 90 Ländern und rund 1600 Städten beteiligen.

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Erstellt:
15. März 2019, 06:00 Uhr

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