Große Resonanz auf Warnstreik im Rems-Murr-Kreis
Verdi hat auch im Rems-Murr-Kreis zum Warnstreik in allen Bereichen des öffentlichen Diensts von Bund und Kommunen aufgerufen. Die Gewerkschaft mobilisiert rund 800 Angestellte, die ihre Haltung bei einer Kundgebung und einem Demonstrationszug in Waiblingen deutlich machen.

© ALEXANDRA PALMIZI
Pflegekräfte und Mitarbeiter in kommunalen Kindertagesstätten haben unter anderen gestern ihre Arbeit niedergelegt. Verdi fordert 10,5 Prozent mehr Lohn. Foto: Alexandra Palmizi
Von Ingrid Knack
Rems-Murr. „Heute ist kein Arbeitstag, heute ist Streiktag“, skandieren am Dienstagmorgen zwischen 700 und 800 Beschäftigte aus unterschiedlichen Bereichen des öffentlichen Diensts bei der Kundgebung am Elsbeth-und-Hermann-Zeller-Platz in Waiblingen, zu der die Gewerkschaft Verdi aufgerufen hatte. Gewerkschaftssekretärin Ariane Raad ruft den Streikenden zu: „Was steht denn im Vordergrund der Tarifrunde? Wir haben gesagt, uns ist die soziale Komponente wichtig.“ Verdi sei vor allem daran gelegen, dass die unteren und mittleren Gehaltsgruppen davon profitierten. „Die Arbeitgeber dagegen haben sich gerade auf dieser Ebene quergestellt.“ Deshalb gibt Raad eine neue Parole aus: „Nicht nur Geld – auf die Stelle – wir wollen Geld – auf die Tabelle.“ Weiter erklärt sie: „Einmalzahlungen ja, die nehmen wir gerne mit, aber die sichern euch nicht vor Altersarmut in der Rente. Wir wollen das Geld auf die Tabelle und nicht einfach nur einmal mehr Geld haben, um uns irgendwas zu leisten. Wir brauchen langfristige Gehaltserhöhungen, die sich auch langfristig bemerkbar machen.“
Verdi fordert eine Anhebung der Einkommen um 10,5 Prozent
Andreas Henke, Pressesprecher des Verdi-Landesbezirks Baden-Württemberg, lässt auf Nachfrage wissen: „Verdi fordert für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Diensts von Bund und Kommunen eine Anhebung der Einkommen um 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro monatlich bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Die Ausbildungsvergütungen und Praktikantenentgelte sollen um 200 Euro monatlich angehoben werden.“ Das Ergebnis solle später zeit- und wirkungsgleich auf Beamte, Richter, Soldaten sowie Versorgungsempfänger übertragen werden.
Verdi führt die Tarifverhandlungen gemeinsam mit der Gewerkschaft der Polizei (GdP), der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), der IG Bau und dem DBB Beamtenbund und Tarifunion. Die Arbeitgeber hatten ein Angebot vorgelegt, das eine tabellenwirksame Erhöhung von drei Prozent Ende 2023 und zwei Prozent Mitte 2024 über eine Laufzeit von 27 Monaten vorsieht. Dazu kommt eine Inflationsausgleichsprämie in zwei Raten von 1.500 und 1.000 Euro. Was Verdi als inakzeptabel ansieht. Die Warnstreiks wurden deshalb ausgeweitet. Viele Erzieher sind dabei. Doch auch andere Berufsgruppen sind stark vertreten. Sehare Velin aus Backnang, die als Gesundheits- und Krankenpflegerin bei den Rems-Murr-Kliniken arbeitet, trägt ein Schild, auf dem steht: „Gehaltsvolumen aufgebraucht. Wir arbeiten jetzt mit reduzierter Geschwindigkeit!“ Sie nimmt mit vielen Kollegen an dem Warnstreik teil. „100 sind es auf jeden Fall“, meint sie. Und: „Man soll uns ernst nehmen. Wir sind nicht nur Nummern, sondern auch Menschen.“
Auch Backnanger streiken für mehr Anerkennung und Gehalt
Mathias Strüvy aus Backnang arbeitet im IT-Bereich in einer kommunalen Verwaltung. „Ich bin begeistert darüber, wie viele Leute hier sind“, sagt er. Und: „Es muss auf jeden Fall etwas passieren. Gegenüber der Privatwirtschaft sind wir nicht mehr attraktiv.“ Deshalb sei es schwierig, Fachkräfte zu finden.
Auch mehrere Hundert Mitarbeiter der Kreissparkasse Waiblingen sind bei dem Warnstreik dabei. Warum, das formuliert einer von ihnen, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, während es Demonstrationszugs durch die Innenstadt so: „Weil das Angebot der Arbeitgeberseite völlig inakzeptabel und unverständlich ist, da unter anderem die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst in den Krisenzeiten bewiesen haben, dass man sich auf sie verlassen kann und wie wichtig wir für eine funktionierende Gesellschaft sind. Weil im öffentlichen Dienst viele Stellen unbesetzt sind, man kaum noch Auszubildende bekommt, die Arbeit für jeden Einzelnen immer mehr wird und bei der hohen Inflation fürs gleiche Geld weniger im Einkaufswagen ist. Weil wir zweitens ein Teil des öffentlichen Diensts sind und wir Solidarität zeigen und nur gemeinsam etwas bewegen können. Wir stehen alle zusammen. Und drittens, weil die Sparkassenmitarbeiter schon wieder ein ,Sonderopfer’ bei der Tarifrunde bringen sollen. Nachdem bei der letzten Tarifrunde als ,Sonderopfer Sparkassen’ unter anderem die Sparkassensonderzahlung um 14 Prozent gekürzt wurde, sollen jetzt die angedachten beiden Lohnsteigerungen nur bei den Sparkassenmitarbeitern drei beziehungsweise acht Monate später gezahlt werden und die Sparkassensonderzahlung eingefroren werden. Das heißt, sie soll nicht mehr an den Tarifsteigerungen teilnehmen.“
Junge Menschen von Inflation besonders getroffen
Valentin Gashi, Jugendsekretär bei Verdi, weist noch auf den Jugendstreiktag am 1. März hin. Bundesweit geht die VerdiJugend heute für ihre Forderungen auf die Straße. „Auszubildenden und dual Studierenden würde das in der zweiten Verhandlungsrunde vorgelegte Angebot von Bund und Kommunen maximal 68 Euro mehr im Monat bringen. Dabei trifft sie die hohe Inflation besonders. Gleichzeitig sind gute Bedingungen für junge Menschen und anständige Entgelte nach der Ausbildung das beste Rezept gegen den Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst. Die Verdi-Jugend macht daher mobil für ein Gesamtpaket, das die Jungen finanziell entlastet und durch die unbefristete Übernahme eine langfristige Perspektive im öffentlichen Dienst bietet“, heißt es in einer Mitteilung. In der Region wird heute in Esslingen gestreikt. Die Azubis versammeln sich am Bahnhofsvorplatz. Ab 10.45 Uhr gibt es eine Streikparade durch die Stadt mit Partytruck. Die Abschlusskundgebung ist am alten Rathaus. Erwartet werden rund 300 Streikende.
In Baden-Württemberg arbeiten nach Zahlen des Statistischen Landesamts aus dem Jahr 2022 rund 236.000 Tarifbeschäftigte bei den Kommunen. Etwa 67 Prozent der Beschäftigten sind Frauen, die Teilzeitquote beträgt rund 44 Prozent (insgesamt, inklusive Beamtinnen). Außerdem haben die bundesweiten Verhandlungen unter anderem Auswirkungen auf den Verlauf der Tarifrunde von rund 10.000 Beschäftigten bei der Agentur für Arbeit und über 3.000 Beschäftigten bei der Deutschen Rentenversicherung im Land.
Backnang „Der Streik hat, soweit wir das erfassen, ausschließlich den Kitabereich betroffen“, gibt Pressesprecher Christian Nathan von der Stadt Backnang Auskunft. Zirka 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten gestreikt. „Es blieb auch bei den sieben von 23 Einrichtungen, von denen wir gestern schon wussten.“ Die Eltern waren bereits am Montag entsprechend informiert worden. Eine Notdienstregelung konnte aufgrund der Kurzfristigkeit des Streiks nicht eingerichtet werden. Über Streikteilnehmer aus anderen Bereichen kann Nathan nichts Näheres sagen: „Wenn, dann waren es Einzelfälle“, erklärt er. „Dass es zu Ausfällen kam mit Teilschließungen, das gab es nur bei Kitas.“ Was Tariferhöhungen je nach Variante für die Stadt Backnang bedeuten, „haben wir mal grob überschlagen“, so Nathan. „Das Angebot der Arbeitgeber, das jetzt vorliegt, würde für uns als Stadt Backnang einen Mehraufwand von rund 1,7 Millionen Euro bedeuten. Allerdings mit der Laufzeit von 27 Monaten. Bei der Forderung der Gewerkschaft müssten wir mit einem Mehraufwand von zirka vier Millionen Euro rechnen, allerdings schon auf die ersten zwölf Monate, weil das eine Direkterhöhung wäre.“
Murrhardt „Murrhardt ist nach meiner Kenntnis nicht vom Streik betroffen“, sagt Bürgermeister Armin Mößner. „In Summe rechnen wir 2023 mit Personalkosten von 10,9 Millionen Euro. Hierin ist bereits eine in den letzten Jahren durchschnittlich zu erwartende Lohnsteigerung einberechnet. Dennoch gehen wir aktuell von einem mittleren sechsstelligen Betrag aus, der die Personalausgaben mehr belasten wird als geplant.“
Allmersbach im Tal Auch Bürgermeisterin Patrizia Rall lässt wissen, dass die Allmersbacher Kindergärten nicht bestreikt wurden.