Historische Ski aus der Gerberstadt
Das einstige Backnanger Karosseriebauunternehmen J. Knapp und Söhne produzierte eigentlich Führerkabinen für Sonderfahrzeuge, vor allem für die Firma Kaelbe. In der Zeit um den Zweiten Weltkrieg schuf es sich mit dem Bau von Ski allerdings ein überraschendes zweites Standbein.
Von Kai Wieland
Backnang. Wer an historische Erzeugnisse aus Backnang denkt, dem kommen wahrscheinlich zunächst einmal Leder und Textilien in den Sinn. Auch der Baumaschinen- und Fahrzeughersteller Kaelble prägte die Industriegeschichte der Stadt. Als Wintersportmekka ist sie hingegen wohl kaum bekannt, und so überrascht es doch sehr zu hören, dass es in der Gerberstadt ein Unternehmen gegeben haben soll, welches Ski produzierte.
Es war reine Neugier, die Matthias Votteler aus Radolfzell dazu bewog, sich an
die Redaktion unserer Zeitung zu wenden. Der passionierte Skifahrer hatte von einem Freund kurz zuvor ein offensichtlich historisches Paar Ski geschenkt bekommen. „Der Anlass war, dass bei uns im Wohnzimmer schon ein altes Paar Ski von meinem Schwiegervater als Deko aufgehängt ist“, erklärt der 65-Jährige. „Der Freund bemerkte das und sagte, so etwas habe er auch zu Hause.“ Matthias Votteler begutachtete daraufhin das ihm geschenkte Paar genau und fand ein Markenemblem, auf welchem „Marke ,Gipfel‘, J. Knapp, Backnang“ zu lesen war. Darüber wollte er mehr erfahren. Der besagte Freund, ein 83-jähriger Mann, habe kein Licht ins Dunkel bringen können. „Ich habe ihn natürlich nach der Herkunft der Ski gefragt, aber er konnte sich nicht erinnern, woher sie in seinen Haushalt gekommen waren“, sagt Votteler. „Der einzige Kommentar war, dass die Ski immer schon mit dabei gewesen seien, wenn die Familie umgezogen ist. Er war eine Zeit lang in Spanien und auch in der Klingenmühle bei Schorndorf (Anm. d. Red.: Welzheim), bevor er nach Markelfingen an den Bodensee kam.“
Ein zweites Standbein in der Not
Stadtarchivar Bernhard Trefz ist ein Backnanger Skihersteller zwar nicht bekannt, sehr wohl aber eine Firma Knapp. Deren letzter Geschäftsführer Eberhard Krumm ist zugleich der Großneffe des Unternehmensgründers Jakob Knapp (siehe Infotext) und weiß über die Skiproduktion des Wagners durchaus Bescheid. „In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg lief das Kerngeschäft nur zäh an, deshalb begannen die Knapps, sich mit anderen Produkten ein zweites Standbein zu schaffen.“
Sein Großvater, der aus Stuttgart stammende Kurt Krauss, habe Jakob Knapps Tochter geheiratet und sei zwar nicht im Unternehmen beschäftigt, sehr wohl aber als Berater und erfahrener Geschäftsmann eine treibende Kraft bei der Skiproduktion gewesen. „Mein Großvater arbeitete in der Luftfahrtindustrie bei Dornier und zog in den 30er-Jahren nach Friedrichshafen“, erzählt Krumm. „Er hatte auch eine Funktion beim Luftfahrtministerium und arbeitete mit Wernher von Braun zusammen, dessen Name fiel damals häufig“ – gemeint ist jener Wernher von Braun, der in Deutschland und später bei der NASA in den USA die Raketentechnologie vorantrieb, mittlerweile jedoch durch seine Rolle während der NS-Zeit in Ungnade gefallen ist. Auch Kurt Krauss habe die Gelegenheit gehabt, in die Staaten zu gehen, sich aber für das Bleiben entschieden. Im Hinblick auf die Ski habe er sich insbesondere um das Marketing gekümmert, weiß Krumm zu berichten. Er entwarf das Emblem, welches das Relief eines Berggebiets – „ich glaube, das Montafon“, so der Enkel – zeigt, und formulierte den Werbeslogan „Sei kein Zipfel, fahr Marke Gipfel“.
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Interessant sind in diesem Kontext auch die Bindungen der Ski, auf denen der Schriftzug „Unitas“ zu lesen ist. Gretsch-Unitas, damals ein Hersteller von Baubeschlägen, ist heute ein Unternehmen für Türtechnik und Eingangssysteme in Ditzingen. „Es könnte durchaus sein, dass in der fraglichen Zeit auch Beschläge für Lkw-Aufbauten und Fahrerkabinen hergestellt wurden“, sagt Eberhard Krumm. „Da gibt es durchaus Berührungspunkte und Knapp, im Kerngeschäft Hersteller von Fahrerkabinen und Aufbauten für Kaelble, war vermutlich in dieser Zeit Kunde von Gretsch-Unitas.“ Krumm hält es daher gar für möglich, dass die Initiative für eine mögliche Kooperation von den Ditzingern ausging. „Falls das Unternehmen in dieser Zeit auch Skibindungen im Programm hatte, ist es nicht abwegig, dass dieses aktiv einen Holzverarbeitungsspezialisten, also eine Wagnerei, suchte, der Interesse daran hatte, ein zweites Standbein aufzubauen.“ Laut einer Firmenbroschüre von Gretsch-Unitas anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Unternehmens im Jahr 2007 war dies tatsächlich von 1932 bis 1953 der Fall. „J. Knapp dürfte zu diesem Zeitpunkt bereits ein namhaftes Unternehmen in dieser Branche gewesen sein, zumal als Systemlieferant von Kaelble“, glaubt Eberhard Krumm.
Spekulationen über das Alter der Ski
Matthias Votteler bezweifelt indessen, dass es sich bei seinem Exemplar um Ski aus der Nachkriegszeit handelt. „Sie müssen älter sein“, vermutet er. Seine Annahmen gründen auf verschiedenen technischen Merkmalen, etwa dem Fehlen von Stahlkanten oder der Art, wie die Bindungen auf den Ski angebracht sind. Zugleich seien sie sehr professionell gemacht. „Das ist nichts, was mal nebenbei zusammengeschustert wurde. Ich kenne mich da etwas aus und habe auch andere alte Ski als Vergleich.“
Eberhard Krumm ist sich dennoch sicher, dass die Ski wahrscheinlich von Anfang der 50er-, allenfalls Ende der 40-Jahre stammen. „Ab 1955 lief die Zusammenarbeit mit Kaelble dann so gut, dass man sich darauf konzentriert hat.“ Der 63-Jährige, der heute als Ingenieur beim Automobilzulieferer Magna in Bietigheim tätig ist, stieg 1994, kurz vor der ersten Insolvenz von Kaelble, in die Firma J. Knapp ein und versuchte in den weiteren Jahren mit einigem Erfolg, das Unternehmen neu aufzustellen und sich von Kaelble zu emanzipieren. Mit der zweiten Insolvenz des Großkunden ging der Ofen dann aber im Jahr 2004 aus. Krumm räumte die Firmengarage in der Blumenstraße und stiftete viele Fundstücke dem Technikforum – unter anderem ein altes Paar Ski, zwar ohne Emblem, aber zweifellos aus dem Hause Knapp. „Seit damals habe ich die Ski nicht mehr gesehen“, sagt Krumm und erkennt sie dennoch sofort, als er sie im Technikforum in den Händen hält. „Auf ihnen hat wahrscheinlich meine Mutter Skifahren gelernt.“
Gründung Im Jahr 1894 kaufte der Wagner Jakob Knapp ein Gebäude in der heutigen Eugen-Adolff-Straße 10 in Backnang und betrieb darin eine Wagnerwerkstatt. Seine Söhne Wilhelm und Adolff Knapp stiegen später in das Unternehmen mit ein. Am
1. Januar 1939 wurde die Firma J. Knapp und Söhne als OHG im Handelsregister eingetragen.
Produkte Neben klassischen Wagnerarbeiten, also dem Bau von Anhängern und Transportkarren sowie von anderen Holzprodukten für den privaten Gebrauch, begann sich die Firma früh als Lieferant für Fahrerkabinen und Lkw-Aufbauten zu spezialisieren. Als wichtigster Kunde etablierte sich die Firma Kaelble. Zudem wurden Sonderaufbauten für die Fahrgestelle anderer Nutzfahrzeuge, etwa von Daimler, gebaut. Auch Omnibusaufbauten und Wechselsysteme – etwa für den unterwöchigen Gebrauch als Pritschen-Lkw und die sonntägliche Nutzung als Omnibus – wurden gefertigt.
Wachstum und Niedergang Zusammen mit Kaelble begann nach dem Zweiten Weltkrieg ein rasches Wachstum des Unternehmens, denn fast alle von Kaelble gefertigten Fahrzeuge wurden von Knapp mit einem Fahrerhaus ausgestattet. 1948/1949 zog das Unternehmen in neue, deutlich größere Produktionsanlagen in der heutigen Blumenstraße 14 um. Die enge Partnerschaft mit Kaelble brachte Vorteile, hatte jedoch den Nachteil, dass kein Freiraum blieb, um andere Geschäftsfelder zu erschließen. Nachdem zu Spitzenzeiten Anfang der 60er-Jahre mit über 50 Mitarbeitern der maximale Belegschaftsstand erreicht war, begann parallel zu Kaelble ein schleichender Niedergang. Nach der zweiten Insolvenz des größten Kunden Anfang der 2000er musste J. Knapp im Jahr 2004 nach über 100 Jahren Firmengeschichte schließen.