„Ich hab’s hier richtig super getroffen“

Anne Harrschar ist glücklich. Nach 100 Tagen im Amt ist sich die Direktorin des Backnanger Amtsgerichts sicher, die richtige Entscheidung für sich getroffen zu haben. Esslingen sei auch sehr schön gewesen, aber hier hat die 54-Jährige eine Leitungsfunktion.

Anne Harrschar fühlt sich in Backnang pudelwohl. Ihr macht die Arbeit als Richterin und Direktorin in jeder Hinsicht sehr viel Spaß.  Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Anne Harrschar fühlt sich in Backnang pudelwohl. Ihr macht die Arbeit als Richterin und Direktorin in jeder Hinsicht sehr viel Spaß. Foto: A. Becher

Von Florian Muhl

BACKNANG. „Ich hab’s hier richtig super getroffen, ich bin wirklich total zufrieden.“ Anne Harrschar strahlt, als sie die Frage beantwortet, wie es ihr nach 100 Tagen als neue Direktorin des Backnanger Amtsgerichts geht. Ein Wunsch sei in Erfüllung gegangen, nämlich der, eine Direktorenstelle und damit eine Leitungsfunktion übernehmen zu dürfen. Und das noch in einer Stadt, die sie bereits kannte. Denn ihre Großeltern haben früher hier gelebt. „Da war ich natürlich häufig in Backnang“, sagt die 54-Jährige, „und mein Großvater war auch Jurist.“

Für ihre Rundumzufriedenheit gibt es aber auch noch weitere Gründe: „Hier herrscht eine ausgesprochen angenehme Arbeitsatmosphäre im Haus und ich habe sehr engagierte, zugewandte, freundliche Kollegen.“ Harrschar ist es wichtig in diesem Zusammenhang zu sagen, dass das kein Kritikpunkt an Esslingen ist. „Dort bin ich nicht weg, weil mir irgendetwas nicht gefallen hätte, sondern dass es für mich einfach die Gelegenheit und die Chance war, hier eine Stelle zu übernehmen, die ich mir erhofft und erwünscht habe.“

Die Juristin hat bereits an einem Landgericht und einem Oberlandesgericht gearbeitet – was gefällt ihr an einem Amtsgericht? „Ich war ja in Esslingen stellvertretende Direktorin, das hat mir ausgesprochen gut gefallen, weil’s einfach eine sehr vielfältige Tätigkeit ist.“ Sie hatte dort am Amtsgericht etwas über zweieinhalb Jahre lang ein Strafrichterreferat und auch einen Verwaltungsanteil. Diese Mischung empfand sie als sehr bereichernd. „Beim Amtsgericht schätze ich den unmittelbaren Kontakt zu den Kollegen und das Verhandeln als Richterin, das hat mir sehr gut gefallen“, sagt Harrschar. Und deshalb habe sie sich für die Direktorenstelle in Backnang sehr interessiert.

Das Betreuungsrecht ist für Harrschar ein ganz neues Rechtsgebiet.

Die ersten 100 Tage seien für die Richterin erwartungsgemäß verlaufen. „Wie bei jeder Einarbeitung muss man sich erst mal vertraut machen mit den Gegebenheiten.“ Und die Kollegen kennenlernen sei natürlich wichtig, was ja im Moment leider auch nicht so einfach sei in Coronazeiten. Zudem müsse man sich mit seinen Fällen befassen, die Abläufe kennenlernen. „Das ist einerseits anstrengend, andererseits hat’s auch ganz viel Spaß gemacht.“

Harrschar hat in Backnang auch einen für sie ganz neuen Bereich übernommen, das Betreuungsrecht. „Da hatte ich das große Glück, dass mein Vorgänger, Herr Lehmann, bereit war, eine Übergabe zu machen.“ Tipps vom Praktiker seien immer sehr lehrreich und wertvoll. Dann gebe es natürlich Lehrbücher, Skripte oder passende Kommentare zum Rechtsgebiet und auch Fortbildungsveranstaltungen. Zudem übernimmt Harrschar die Jugendstrafsachen. Am Amtsgericht Backnang ist sie eine von sechs Richtern. Jeweils zwei sind zuständig fürs Familienrecht, fürs Zivilrecht und das Strafrecht. Allerdings gibt es nur 5,5 Richterstellen. Das kommt daher, dass eine Richterin für Zivilrecht jeweils eine 50-Prozent-Stelle in Backnang und in Esslingen hat. Üblicherweise hat die 54-Jährige mittwochs ihren Verhandlungstag für die Straf- und Richtersachen. Bei den Betreuungssachen sehe das Verfahren in aller Regel vor, dass der Richter die Betroffenen persönlich vor Ort anhören muss. Häufig sind es Menschen, die nicht zum Gericht kommen können. „Dann fahre ich zu den verschiedenen Pflegeeinrichtungen oder auch mal in eine Klinik und mache dann dort die Anhörung, und das mache ich meistens donnerstagnachmittags.“

In der übrigen Zeit habe sie weniger feste Termine, sondern widme sich den Dingen, die täglich per Post oder E-Mail eingehen. „Ich muss natürlich auch die Verfahren für die Sitzungen vorbereiten, dass heißt die Akten noch mal genau und gründlich lesen, dass ich dann alles parat hab an den Mittwochen.“ Und sie müsse Urteile schreiben. In den Betreuungssachen sei auch viel Schriftverkehr dabei wie Gutachten einholen und Stellungnahmen lesen.

„Wenn ich Zweifel habe oder mir unsicher bin, dann verurteile ich nicht, dann spreche ich frei.“

Gibt es einen Austausch unter den Richtern? Einerseits bearbeiten alle Richter ihre Verfahren in der richterlichen Unabhängigkeit. „Was es natürlich gibt, ist, dass man schon mal zu einem Kollegen geht und fragt: Wie würden Sie das Problem sehen? Man tauscht sich aus auf eine sehr kollegiale Art und Weise“, sagt Harrschar. Das sei äußerst angenehm, denn es gebe immer mal wieder Punkte, bei denen man so oder so entscheiden könne. Natürlich gebe das Gesetz immer den Rahmen vor. „Aber es gibt Situationen, wo man sich fragt: Brauche ich jetzt den einen Zeugen oder brauche ich ihn nicht?“, so die Richterin. Da könne man auch mal zum Kollegen gehen und fragen, ob er so einen ähnlichen Fall schon mal gehabt habe und wie er es dann gehandhabt habe.

Bei Strafsachen hat sie eine klare Linie, sagt die Direktorin: „Entweder ich bin wirklich davon überzeugt, dass die Person die Tat begannen hat, die ihr in der Anklage zur Last gelegt wird, und dann verurteile ich. Wenn ich Zweifel habe oder mir unsicher bin, dann verurteile ich nicht, dann spreche ich frei.“ Sie habe den Anspruch, dass sie dem Fall und vor allem dem Angeklagten gerecht werde.

Es gibt auch schöne Fälle und erfreuliche Momente. Das sind die, bei denen sich die Angeklagten nach der Urteilsbegründung bei ihr bedankt und gesagt haben: „Danke, dass Sie mir zugehört haben“ oder „Danke, dass ich mich äußern durfte“. Was Harrschar auch freut, ist, wenn sie mal eine Bewährungsstrafe verhängt hat und es dann danach gut klappt. Die Leute haben ihre Aufgaben gut erfüllt und sind nicht wieder straffällig geworden. „Schöne Fälle sind auch, wenn sich ein Angeklagter nachher beim Geschädigten entschuldigt und der Geschädigte kann sagen: Ja, danke für die Entschuldigung, ist ok so.“

Zur Person

Anne Harrschar ist in Stuttgart geboren und aufgewachsen und hat in der Landeshauptstadt auch ihr Abitur abgelegt.

Die 54-Jährige war zuletzt stellvertretende Direktorin am Amtsgericht Esslingen und dort befasst mit Strafsachen.

Harrschar hat an den Universitäten Tübingen, Bonn und Freiburg im Breisgau Rechtswissenschaften studiert, mit Abschluss Erstes Staatsexamen.

Ihr Referendariat hat sie in Stuttgart absolviert und das Zweite Staatsexamen abgeschlossen. Nach der Assessorenzeit übernahm sie Tätigkeiten bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart unter anderem in Dezernaten für Betäubungsmittel- und Umweltstrafrecht.

Im Jahr 2007 wechselte Harrschar zum Landgericht Stuttgart und war dort größtenteils in der Schwurgerichtskammer und in einer allgemeinen Großen Strafkammer beschäftigt.

Ab dem Jahr 2012 war sie Richterin am Oberlandesgericht in Stuttgart. Im Mai 2018 wechselte sie schließlich ans Amtsgericht Esslingen und am 1. Februar 2021 nach Backnang.

Harrschar ist verheiratet und hat eine Tochter, die studiert.

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Erstellt:
18. Mai 2021, 06:00 Uhr

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