In sozialen Berufen kann KI weniger punkten
Schlaue Systeme (14)Die Agentur für Arbeit Waiblingen und ihre Partner gehen davon aus, dass KI-Technologien Tätigkeitsprofile verändern, aber kaum ganze Berufe ersetzen. Weniger betroffen sind Bereiche, bei denen es um menschlich-kommunikative oder pflegerische Arbeit geht.
Von Christine Schick
Rems-Murr. Wer als junger Mensch vor der Entscheidung steht, in welche Richtung es beruflich gehen soll, könnte sich durch die jüngsten Entwicklungen um KI-Technologien verunsichert fühlen. Aber auch Beschäftigte fragen sich möglicherweise, ob ihr Beruf in absehbarer Zeit von der künstlichen Intelligenz (KI) ersetzt wird. Insofern ist das Gebiet auch für Christine Käferle, Leiterin der Agentur für Arbeit Waiblingen, ein wichtiges. Fachlich kann sie dabei auf die Unterstützung und den Austausch mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) setzen. Insbesondere Michael Stops und Verena Malfertheiner befassen sich auch mit dieser Thematik.
Bei einer Prognose, welche Berufe möglicherweise von KI übernommen werden, ist allerdings eine gewisse Vorsicht geboten, betonen alle drei. „Wir gehen davon aus, dass in der Regel nicht komplette Berufe von diesem Wandel betroffen sind, sondern lediglich bestimmte Tätigkeiten“, sagt Verena Malfertheiner. Dabei geht es vor allem um Bereiche, in denen große Mengen an Daten ver- beziehungsweise bearbeitet werden, wie beispielsweise in der Qualitätskontrolle, Fehlererkennung oder Bildbearbeitung, erläutert die wissenschaftliche Mitarbeiterin. Christine Käferle grenzt umgekehrt ab: „Weniger Potenzial, ersetzt zu werden, haben Tätigkeiten, bei denen soziale, kommunikative und menschliche Fähigkeiten wichtig sind wie in der Erziehung, Sozialarbeit oder Pflege.“
Mit ChatGPT lassen sich Artikel möglicherweise in kürzerer Zeit schreiben
Ein Beispiel: Mit Blick auf ChatGPT geht Michael Stops nicht davon aus, dass Journalistinnen und Journalisten verschwinden werden, und begründet dies damit, dass neben einer reinen Textproduktion auch Stil und spezifische Perspektive eines Mediums von Bedeutung sein können. „Möglicherweise lassen sich aber künftig mehrere Artikel in einer kürzeren Zeit schreiben, weil sich erste Textentwürfe schneller generieren lassen“, sagt er. Gleichzeitig erwartet er, dass die Arbeit mit und durch KI nicht weniger wird, weil der Einsatz der zugehörigen Tools gelernt, trainiert und beurteilt werden muss. Zudem müssen diese Werkzeuge gewartet und auch angepasst werden. Stellenauswertungen des IAB zeigen zudem, dass zunehmend Spezialistinnen und Spezialisten gesucht werden, die für viele Branchen KI-Tools entwickeln und implementieren können.
Für den Rems-Murr-Kreis gibt es noch keine Zahlen, in welchen Sparten KI eine Rolle spielt oder spielen soll, aber Christine Käferle verweist auf eine aktuelle, nicht repräsentative Befragung der IHK in der Region Stuttgart mit 106 Unternehmen, von denen etwa 30 Prozent KI bereits einsetzen und 42,5 Prozent einen Einsatz in den nächsten drei Jahren planen. Bei 27 Prozent ist beides kein Thema. In welchen Branchen spielt KI nach den Ergebnissen (künftig) eine Rolle? In der Industrie, aber auch in Dienstleistungs-, Kommunikations- und Informationsbereichen. Genutzt werde KI beispielsweise für eine personalisierte Kundenansprache, so Käferle. Ein konkretes Beispiel kann sie aus dem eigenen Haus geben. Die Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit hat Mitte des letzten Jahres begonnen, im Rahmen der Kindergeldbewilligung die Studienbescheinigungen KI-gestützt auszuwerten und entlastet so die Beschäftigten. Gleichzeitig setzen rechtliche Rahmenbedingungen Grenzen: Aufgrund des Datenschutzes sei es nicht möglich, die Reisekostenabrechnung komplett zu automatisieren, weil immer noch ein Vieraugenprinzip zur Überprüfung nachgewiesen werden muss.
Eine KI wird niemals 100 Prozent fehlerfrei sein
Für Michael Stops ist es auch eher unwahrscheinlich, dass beispielsweise Rechtsanwälte oder Mediziner komplett ersetzt werden, weil sie immer noch die letzten Bewertungen und Entscheidungen treffen müssen. „Würde eine KI allein über eine Diagnose entscheiden, stellt sich die Frage, wer im Zweifel dafür verantwortlich ist. Davon abgesehen, dass sie nie 100 Prozent fehlerfrei wäre, müsste man letztlich den Programmierer in Regress nehmen“, sagt der Senior Researcher. In diesem Sinne wird es auch weiterhin noch Übersetzerinnen und Übersetzer brauchen, wenn übersetzte Dokumente beispielsweise rechtssicher sein müssen. In der Gesprächsrunde wird auch klar, dass Automatisierung, Softwareanwendungen und KI nicht immer ganz einfach voneinander abzugrenzen sind. Der Befürchtung, dass durch den Ersatz von Bürotätigkeiten insgesamt mehr Frauen von KI-Technologien betroffen sein könnten, widerspricht Malfertheiner aber ganz klar, da andere Berufe, zum Beispiel im sozialen oder pflegerischen Bereich, mit einem ebenfalls hohen Frauenanteil weniger tangiert sind.
Michael Stops weist auch darauf hin, dass man bei der Wirkung der Digitalisierung ebenso berücksichtigen müsse, ob die Technologie tatsächlich die Automatisierung von Tätigkeiten erlaubt oder ob sich Aufgaben möglicherweise lediglich nur verschieben lassen. Beispielsweise hat die Digitalisierung den Beruf der Datentypistin oder des Datentypisten bei Banken so gut wie verschwinden lassen, aber vielmehr zunächst, weil diesen Job beispielsweise bei Überweisungen die Kunden und Kundinnen selbst übernommen hatten. KI-Tools bieten auch hier nun Unterstützung, die Aufgabe der Erfassung verbleibt aber weiterhin beim Kunden. Generell sind, anders als beim Einsatz von (reiner) Software, am ehesten Tätigkeiten hoch qualifizierter Beschäftigter von den Veränderungen durch KI betroffen, fasst Stops zusammen.
Eine Programmiersprache wie Python zu erlernen, kann helfen
Das Trio ist sich aber auch einig, dass KI sich vor allem in der Bildung und Weiterbildung bemerkbar machen wird. In der Schule oder Ausbildung braucht es Grundlagenkurse zur künstlichen Intelligenz, um das Instrument im Sinne eines Werkzeugs auch besser zu verstehen, sagt Michael Stops. Helfen kann dabei auch, eine Programmiersprache wie Python zu erlernen, mit der KI-Algorithmen erprobt werden können. Dies trägt dazu bei, besser zu verstehen, was die Systeme leisten oder auch nicht leisten können.
Für Christine Käferle stellt sich beispielsweise die Frage, wie sich KI (noch) für das eigene Team nutzen lässt. Eine Idee: zu weiteren Themen Chatbots über die Homepage zur Verfügung stellen, um Kundinnen und Kunden eine erste Einschätzung zu ermöglichen, ob zum Beispiel Anspruch auf eine Leistung besteht. Die Familienkasse hat bereits eine solche digitale Assistenz im Einsatz. Die Kundinnen und Kunden können so unabhängig von Zeit und Ort eine erste Einschätzung erhalten und die Beschäftigten werden für andere Bereiche wie Beratung entlastet.
Eines ist für Michael Stops aber ebenso klar: Eine Ausbildungsempfehlung sollte sich weniger an den technischen Entwicklungen orientieren als an den spezifischen Neigungen und Interessen. Wichtig bleibt dabei, während des gesamten Erwerbslebens „das Lernen nicht zu verlernen“.