Interview über das G9: „Kein Nachmittagsunterricht bis Klasse 8“

Interview Mindestens bis 2028 bleibt das Backnanger Gymnasium in der Taus eines von 43 neunjährigen Gymnasien im Land. Im Interview spricht Schulleiter Udo Weisshaar über die Vorteile des zusätzlichen Jahrs und die Forderung nach einer flächendeckenden Rückkehr zum G9.

Überzeugter G-9-Anhänger: Udo Weisshaar glaubt, dass das zusätzliche Jahr auf dem Weg zum Abitur Schüler und Lehrkräfte entlastet. Deshalb hofft der Rektor, dass seine Schule auch über 2028 hinaus G-9-Gymnasium bleiben darf. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Überzeugter G-9-Anhänger: Udo Weisshaar glaubt, dass das zusätzliche Jahr auf dem Weg zum Abitur Schüler und Lehrkräfte entlastet. Deshalb hofft der Rektor, dass seine Schule auch über 2028 hinaus G-9-Gymnasium bleiben darf. Foto: Alexander Becher

Seit 2013 brauchen Schüler am Gymnasium in der Taus wieder neun Jahre bis zum Abitur, nachdem Baden-Württemberg erst 2004 flächendeckend das achtjährige Gymnasium (G8) eingeführt hatte. Was waren die Gründe für die Rückkehr zum alten Modell?

Wenn Sie bei der Einführung des G8 die Lehrer an unserer Schule befragt hätten, hätten Sie wohl kaum jemanden gefunden, der das befürwortet. Wir hatten damals das Gefühl, dass im Bildungsplan zu wenig weggenommen wurde, um ein ganzes Schuljahr zu streichen. Dadurch ist der Druck auf Schüler und Lehrkräfte gestiegen und es gab Klagen über Klagen. Als 2012 der Modellversuch startete, war sich unsere Schulgemeinschaft deshalb einig, dass wir uns bewerben sollten. Den Zuschlag haben wir aber erst ein Jahr später bekommen.

Bei den Eltern ist das G-9-Modell sehr beliebt. Wie haben sich die Anmeldezahlen am Tausgymnasium seit der Einführung von G9 entwickelt?

Sehr positiv. In den letzten zehn Jahren waren wir achtmal vierzügig, davor immer drei- und manchmal sogar nur zweizügig. Es ist aber nicht so, dass wir im Vergleich zu anderen G-9-Gymnasien überrannt werden. Zuletzt lagen wir mit dem Max-Born-Gymnasium immer ungefähr gleichauf und wir mussten bis jetzt auch nur ein einziges Mal Schüler abweisen.

Ihre Schule ist das einzige G-9-Gymnasium im Rems-Murr-Kreis. Nehmen deshalb auch Schülerinnen und Schüler aus anderen Teilen des Landkreises die Fahrt nach Backnang in Kauf?

Das gibt es vereinzelt: Wir haben Schüler aus Althütte, Leutenbach, Winnenden oder Sulzbach an der Murr. Der größte Teil kommt aber aus dem Einzugsbereich, den wir auch schon vorher hatten.

Die Bildungspläne sind ja eigentlich auf das G8 ausgelegt. Wie verteilen Sie diesen Stoff auf neun Jahre? Haben die Schüler weniger Wochenstunden oder bleibt im Unterricht mehr Zeit für dieselben Inhalte?

Beides. Der Bildungsplan ist derselbe, aber wir haben mehr Zeit. In der 5. und 6. Klasse gibt es bei uns keinen Unterschied zum G8 und in der Kursstufe auch nicht. Für den Stoff der Klassen 7 bis 10 am G8 haben wir aber ein Jahr mehr Zeit. Für dieses zusätzliche Schuljahr bekommen wir insgesamt nur zwölf Wochenstunden hinzu, sodass wir die Stundenpläne entzerren können. Das bedeutet, dass ein Schüler bei einer optimalen Verteilung des Stundenplans bis zur 8. Klasse überhaupt keinen Nachmittagsunterricht hat und in den Klassen 9 bis 11 nur einen Nachmittag pro Woche. So bleibt mehr Zeit, um den Stoff zu Hause zu vertiefen und auch für den Freizeitbereich.

Besonders interessant dürfte das Modell für Eltern sein, die sich nicht sicher sind, ob ihr Kind es in einem achtjährigen Gymnasium schafft. Haben Sie am Tausgymnasium dadurch mehr schwächere Schüler als andere Gymnasien?

Dazu habe ich keine Zahlen. Es kann schon sein, dass es Eltern am G9 versuchen, obwohl die Realschule vielleicht besser gepasst hätte. Wir sagen aber schon bei unseren Informationsveranstaltungen klipp und klar: G9 bedeutet nicht, dass bei uns weniger Leistung gefordert wird als an anderen Gymnasien. Der einzige Unterschied ist die Zeit, die wir zur Verfügung haben.

Eines der Hauptargumente gegen G9 ist, dass es ja bereits einen neunjährigen Weg zum Abitur gibt, nämlich die Mittlere Reife und anschließend drei Jahre Oberstufe an einem beruflichen Gymnasium. Wozu braucht man da noch eigene G-9-Gymnasien?

Nicht jeder möchte diese frühe Festlegung auf ein bestimmtes Profil wie an den beruflichen Gymnasien. Und es gibt auch Unterschiede im Niveau: Die beruflichen Gymnasien setzen ja auf den Realschulen auf und holen deshalb die Realschüler dort ab, wo sie nach der 10. Klasse stehen. Wenn ich das aber mit dem Niveau einer 10. Klasse am G-9-Gymnasium vergleiche, ist das ein großer Unterschied.

Bayern ist 2018 wieder zum G9 zurückgekehrt, eine Elterninitiative fordert das auch für Baden-Württemberg. Was halten Sie von dieser Idee?

Wir sind überzeugte „G9-ler“, deshalb wäre es uns recht, wenn G9 in Baden-Württemberg wieder flächendeckend eingeführt würde. Wir sehen auch Vorteile für die Persönlichkeitsbildung: Ein Jahr bedeutet für den Reifegrad eines jungen Menschen sehr viel. Wir haben das gemerkt, als wir noch G8 und G9 parallel hatten. Da gab es zum Beispiel auf den Studienfahrten große Unterschiede bei der Selbstständigkeit und im Sozialverhalten.

Die Landesregierung sagt, man habe gar nicht genügend Lehrer, um das G9 flächendeckend einzuführen. Wie viele zusätzliche Lehrkräfte haben Sie an Ihrer Schule im Vergleich zu einem G-8-Gymnasium gleicher Größe?

Das kann ich gar nicht genau sagen. Ich würde schätzen, dass das an unserer Schule mit 70 Lehrkräften etwa vier Stellen ausmacht. Aber klar: Ein flächendeckendes G9 gibt es nicht umsonst und den Lehrermangel merken wir inzwischen auch an den Gymnasien. Hätte ich nicht einen Pensionär, der mit 71 Jahren noch unterrichtet, könnte ich schon heute nicht mehr alle Geografiestunden abdecken. Auch für die Kommunen ist G9 teurer, weil sie zum Beispiel einen weiteren Jahrgang mit Büchern und iPads ausstatten müssen.

Auch nach zehn Jahren läuft der neunjährige Weg zum Abitur am Gymnasium in der Taus noch als Schulversuch, der nun erneut um fünf Jahre verlängert wird. Ist diese Befristung aus Ihrer Sicht noch gerechtfertigt?

Die erste Verlängerung kam 2019 wegen des neuen Bildungsplans. Das war nachvollziehbar, weil man noch weitere Erfahrungen sammeln wollte. Warum der Versuch jetzt noch einmal verlängert wird, weiß ich nicht, aber wir sind natürlich froh darüber.

Glauben Sie, dass Ihre Schule auch über 2028 hinaus G-9-Gymnasium bleibt?

Das ist schwer zu sagen. Jedenfalls sollte der Versuch nach 16 Jahren dann mal abgeschlossen sein. Ich glaube, wenn der Druck der Eltern bis dahin noch mehr wächst, wird die Politik gar keine andere Wahl haben, als G9 zumindest als Option wieder flächendeckend einzuführen.

Das Interview führte Kornelius Fritz.

Zur Person

Ausbildung Udo Weisshaar ist in Trossingen (Landkreis Tuttlingen) aufgewachsen. Nach dem Realschulabschluss machte er eine Ausbildung als Justizbeamter im Mittleren Dienst und arbeitete in der Verwaltung verschiedener Gerichte. Nach seiner Bundeswehrzeit holte er am Kolping-Kolleg Bad Cannstatt das Abitur nach und studierte anschließend in Tübingen und Basel Geschichte und evangelische Theologie auf Lehramt.

Laufbahn Sein Referendariat absolvierte Udo Weisshaar an zwei Gymnasien in Tübingen, 1997 kam er ans Gymnasium in der Taus, zeitweise war er auch ans Heinrich-von-Zügel-Gymnasium in Murrhardt abgeordnet. Ab 2010 war er als Abteilungsleiter für die Evaluation am Tausgymnasium zuständig, seit 2014 ist er Schulleiter. Der 61-Jährige ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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Erstellt:
1. Februar 2023, 06:00 Uhr

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