Kinderspiel gilt in Backnang nicht mehr als Lärm
Die Stadt Backnang aktualisiert nach 20 Jahren ihre Polizeiverordnung. Künftig dürfen Kinder von 8 bis 22 Uhr auf Kinderspielplätzen toben. Die üblichen Lärmgrenzwerte dürfen nach einer Gesetzesänderung bei der Beurteilung der Geräuschentwicklung nicht mehr herangezogen werden.
Von Matthias Nothstein
Backnang. Vor 20 Jahren ist die Polizeiverordnung der Stadt Backnang letztmals geändert worden. Seither hat es einige Änderungen der Rechtslage und der Rechtsprechung gegeben – Grund genug, die Polizeiverordnung zu aktualisieren. In seiner jüngsten Sitzung hat der Verwaltungs- und Finanzausschuss der Stadt Backnang deshalb dem Gemeinderat einstimmig eine Neufassung der Polizeiverordnung und der Grünflächensatzung vorgeschlagen.
Die vielleicht wesentlichste Änderung im Vergleich zu früher geht auf eine Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes zurück. Dort ist im Paragraf 22 Absatz 1a geregelt, dass Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen, Bolzplätzen oder ähnlichen Einrichtungen ausgehen, privilegiert sind. Das heißt: Der Lärm, der von Spielplätzen ausgeht, „stellt grundsätzlich keine schädigende Umwelteinwirkung dar“. Weiter heißt es in der Sitzungsunterlage, die von Rechts- und Ordnungsamtleiterin Gisela Blumer erläutert wurde: „Bei der Beurteilung der Geräuscheinwirkung dürfen Immissionsgrenz- und -richtwerte nicht herangezogen werden.“ Aber aufgepasst: Diese Privilegierung gilt nicht für Spielplätze, auf denen auch Jugendliche über 14 Jahre spielen dürfen.
Die letzte Backnanger Polizeiverordnung aus dem Jahr 2004 war also schon relativ modern und wegweisend, lobte Blumer, denn damals schon hätten die Stadträte die Nutzungszeiten deutlich über die Grenzen hinaus gelockert, die in einer Musterverordnung vorgegeben waren. So gab es keine Mittagspausen auf den Spielflächen. Im Hinblick auf das Immissionsschutzgesetz wurden die Nutzungszeiten für 72 Spielplätze im Stadtgebiet nochmals erweitert und lauten jetzt: von 8 bis 22 Uhr. Die Verlängerung am Abend bis 22 Uhr begründete Blumer damit, dass viele Eltern im Sommer, wenn es sehr heiß ist, die Kinder auch noch um 20 oder 21 Uhr spielen lassen. Konkret nannte sie etwa die Annonayanlage im Zentrum der Stadt.
Konstruktive Lösungen sollten im Vordergrund stehen
Laut Oberbürgermeister Maximilian Friedrich hat die Neufassung der Polizeiverordnung eine große Bedeutung, „um die öffentliche Sicherheit und Ordnung auf unseren Straßen und Anlagen zu gewährleisten sowie um umweltschädliches Verhalten effektiv zu bekämpfen“. Die Einführung einer neuen Polizeiverordnung eröffnet laut Friedrich stets die Möglichkeit, „erneut zu überprüfen, wie Gefährdungen und Ordnungsstörungen durch Regelungen minimiert werden können“. Auch wenn es dazu oft unterschiedliche Meinungen gibt, sollten doch konstruktive Lösungen für Probleme im Vordergrund stehen, die über reine Sanktionen hinausgehen. Als konkretes Beispiel nannte Friedrich das Rauchen: „Wir sind uns sicherlich alle darüber einig, dass Rauchen auf Spielplätzen kein erwünschtes Verhalten ist und definitiv auch aus der Zeit gefallen ist. Als Oberbürgermeister und als Familienvater liegt es mir besonders am Herzen, dass unsere Spielplätze frei von Zigarettenkippen sind und dass unsere Kinder vor Verletzungen durch Glasscherben geschützt werden.“
Neues Cannabisgesetz ist Thema
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Ordnungsamtsleiterin Gisela Blumer sprach verschiedene Punkte an, die in der Polizeiverordnung geregelt werden können beziehungsweise darin nichts zu suchen haben. Bevor etwa Alkoholverbote für bestimmte Bereiche ausgesprochen werden, müssten hohe Hürden überwunden werden. Die Stadt müsste nachweisen, dass in einem Bereich die Straftaten, was Schwere und Häufung angeht, infolge von Alkoholkonsum passieren. In Backnang sei dies glücklicherweise nirgends der Fall. „Aufgrund der Streifen der Landespolizei, des städtischen Vollzugsdiensts und des beauftragten privaten Ordnungsdiensts sind die registrierten Vorkommnisse deutlich von den erforderlichen Fallzahlen zum Erlass einer separaten Polizeiverordnung entfernt.“
Großen Raum nahm in der Aussprache das neue Cannabisgesetz ein, obwohl auch dies kein Thema der lokalen Polizeiverordnung ist. Denn heute schon regelt das Gesetz den Konsum von Cannabis sehr detailliert. Es ist also unnötig, den Konsum des Rauschmittels auf Spielplätzen oder tagsüber in der Fußgängerzone zu verbieten, da all dies im höherrangigen Gesetz bereits geregelt ist. Backnang könnte nur dann aktiv werden, wenn sich herausstellen würde, dass sich der öffentliche Konsum auf bestimmte Plätze konzentrieren würde. Und das ist laut Blumer bislang nicht der Fall, es gebe derzeit keinen Platz, von dem man sagen könnte, da werde besonders viel geraucht. Blumer: „Für eine solche Einschätzung ist auch der Zeitraum seit der Legalisierung zu kurz.“ Die Stadt und die Polizei werden die Situation weiter beobachten, kündigte die Amtsleiterin an.
Unterschiedliche Meinungen zur Cannabislegalisierung
Besonders Rolf Hettich (CDU) machte kein Geheimnis daraus, dass er mit der Legalisierung von Cannabis, „die von unserer Regierung leider beschlossen wurde“, nicht sehr glücklich ist, „als ob wir keine anderen Probleme im Gesundheitsbereich haben“. Er zeigte sich über die Szene entsetzt, die er bereits am ersten Tag der Legalisierung auf dem Uferweg neben der Oberen Walke beobachten musste. Dort hätten größere Gruppen so kräftig gekifft, dass er beim Durchqueren der Rauchschwaden jetzt quasi auch in den Genuss seines ersten Joints gekommen sei. Für Blumer sind die Zustände dort jedoch noch kein Grund, diesen Bereich als „Untersagungsfläche“ auszuweisen. Dass dort auch harte Drogen konsumiert und gehandelt werden, wisse sowohl sie als auch die Polizei, die dort regelmäßig Kontrollen vornehme. Heinz Franke (SPD) ließ Hettichs Ansicht zum Thema Cannabislegalisierung nicht unkommentiert stehen. Ohne dessen Namen zu nennen, sagte Franke: „Wenn man wie ich viele Jahre beruflich mit Suchtkranken gearbeitet hat, kann man es durchaus auch differenziert sehen, ob ein Verbot sinnvoll ist oder ob eine strukturierte Genehmigung auch positive Auswirkungen haben könnte.“ Er sprach sich dagegen aus, den Cannabiskonsum zu kriminalisieren: „Wir haben das Gesetz jetzt, wir müssen jetzt lernen, damit umzugehen.“
Einig waren sich Franke und Hettich, dass Verordnungen nur Sinn machen, wenn sie auch kontrolliert werden. Hettich forderte etwa, ausreichend Personal vorzuhalten. Franke wollte wissen, ob eine Aufstockung des Vollzugsdiensts geplant sei. „Wir schaffen es doch jetzt schon nicht, dafür zu sorgen, dass der Wochenmarkt hundefrei ist oder dass Autoanhänger nicht sechs Monate auf einem Parkplatz stehen.“ Franke sagte: „Wir werden nicht ernst genommen, wenn wir Verordnungen erlassen und dann nicht in der Lage sind, Verstöße gegen diese zu ahnden. Dann motiviert das eher diejenigen, die keine Regeln einhalten, nach dem Motto: Die machen ja eh nichts.“