Kirchberger schildert Eindrücke aus Israel
Der Student Valentin Schmid weilt für sein Auslandssemester aktuell in Jerusalem. Die Angriffe der Hamas am Wochenende und der Gegenschlag der israelischen Armee haben dort im Alltag vieles auf den Kopf gestellt.
Von Lorena Greppo
Kirchberg an der Murr/Jerusalem. Valentin Schmid klingt sehr gefasst. Gut gehe es ihm, sagt er, „auch wenn gerade noch einmal Sirenen zu hören waren“. Der Kirchberger befindet sich zurzeit in Jerusalem, am Sonntag soll sein Auslandssemester an der Hebräischen Universität Jerusalem beginnen. Im Moment sei er dabei, herauszufinden, ob sich angesichts der jüngsten Ereignisse daran etwas geändert hat. Stand jetzt gelte der Starttermin noch. Die Fakultät für die einheimischen Studenten habe hingegen verkündet, dass der Semesterbeginn sich um eine Woche verschiebe. Valentin Schmid erklärt: „Etwa 90 Prozent der Studenten sind Reservisten. Würde die Uni jetzt starten, wäre sie ziemlich leer.“ Gestern hatte die Armee verkündet, dass 300000 Reservisten mobilisiert werden, mehr als je zuvor. Dass vonseiten der Uni aber von einem Aufschub von nur einer Woche die Rede ist, gebe ihm Hoffnung, so der Kirchberger. Er interpretiere es so, dass man nicht von einem länger währenden Armeeeinsatz ausgeht.
Plötzlich werden Vorrichtungen wie Luftschutzbunker relevant
Den Angriff der Hamas am Samstagmorgen auf das israelische Grenzgebiet am Gazastreifen hat Valentin Schmid wortwörtlich verschlafen. Klar, in Jerusalem ist man vom Gazastreifen ein ganzes Stück entfernt. Aber auch dort tönten schon am frühen Morgen Sirenen. Valentin Schmid hört sie erst, als er um 8 Uhr aufwacht, seine Ohrstöpsel abnimmt und ins Bad geht. Eigentlich hat der junge Christ vor, zum Gottesdienst zu gehen. Erst ein Blick auf das Handy gibt Aufschluss darüber, was am frühen Morgen geschehen ist. Und plötzlich werden Vorrichtungen wie der Metallverschlag vor dem Fenster, die Notfallbeleuchtung und der Weg zum Luftschutzbunker relevant. Die Sirenen ertönen immer wieder an jenem Tag. Seine Erfahrungen hat er auch für die evangelische Nachrichtenagentur Idea niedergeschrieben. Am Abend, heißt es dort, sei es gespenstisch still gewesen in Jerusalem.
Panik erlebt Valentin Schmid nicht, wie er auf Nachfrage berichtet. „Leider Gottes, muss man sagen, die Israelis sind so etwas gewöhnt.“ Selbst wenn die Sirenen ertönen, seien noch viele Menschen in normalem Schritttempo auf der Straße unterwegs. Der Tenor sei: Wenn wir uns unterkriegen lassen, dann hat die Hamas ihr Ziel erreicht. Von Normalität kann aber nicht die Rede sein. „Niemand ist unnötig auf den Straßen“, schildert der Kirchberger. Auch er verlasse seine WG in einem Studentenwohnheim zwar zum Einkaufen und zum Wäschewaschen, sonst aber vermeide er es, rauszugehen. Mit seinen vier Mitbewohnern, sie sind zwar Juden, aber aus den USA, habe er schon über die Lage gesprochen. „Die sind interessanterweise relativ entspannt.“ Als Juden seien sie nirgendwo absolut sicher, sagen sie.
Die Bevölkerung organisiert in Windeseile viele Hilfsangebote
In der israelischen Bevölkerung hingegen verspüre er viel Pessimismus. „Es gibt eine große Verunsicherung dahingehend, wie so etwa passieren konnte“, erklärt er. Schließlich hatten selbst die Geheimdienste vergangene Woche keine Anzeichen eines anstehenden Terrorangriffs erkannt. Auch gebe es nun erste Stimmen, die politische Konsequenzen fordern – etwa in Form eines Rücktritts des Regierungschefs Benjamin Netanjahu. Doch das ist vor Ort erst einmal hinten angestellt. „Da kann Israel sehr schnell umschalten“, hat auch Valentin Schmid beobachtet. Ein Beispiel: Die wöchentliche Demonstration, welche Gegner der Justizreform für gewöhnlich veranstalten, ist abgesagt. Allerdings nicht ersatzlos, denn es gibt schließlich viel zu tun. „Es gibt großflächig Hilfsangebote“, berichtet Valentin Schmid lobend. So wird Blut gespendet, Essen verteilt oder auf die Kinder jener Menschen aufgepasst, die nun an die Front mussten.
In den Nachrichten hat der Kirchberger gehört, dass der Hamas-Angriff die höchste Todeszahl von Juden an einem Tag seit dem Holocaust verursacht hat. So etwas bedrückt den jungen Kirchberger, zumal er noch vor wenigen Tagen als Tourist in Israel und im Westjordanland unterwegs war, unter anderem in Jericho, wo er erste, nette Kontakte zu Palästinensern hatte.
Überhaupt ist es das Verfolgen der Nachrichten, dass den Studenten am meisten aufwühlt. Das viele Leid, welches man dort zu sehen bekommt, lässt wohl niemanden unberührt. Zugleich sieht man aber auch feiernde Palästinenser, etwa in Berlin – da sammele sich Wut an.
Doch wie geht es nun weiter? „Meine Familie macht sich große Sorgen“, weiß Valentin Schmid. Eigentlich hätten seine Eltern ihn in Israel besucht, „unter normalen Umständen wären sie jetzt wahrscheinlich in Tel Aviv und würden baden“, sagt er. Am Samstagnachmittag habe man dann bei einem Telefonat beschlossen, den Besuch abzusagen – obwohl die Koffer schon gepackt waren. Ihnen wäre es am liebsten, der Sohn käme nach Hause. Doch Valentin Schmid möchte gerne in Israel bleiben. Jerusalem scheint aktuell nicht gefährdet. Er verweist auf den Vergleich mit dem Terroranschlag auf das World Trade Center in den USA 2001, welcher zurzeit oft zur Sprache kommt. Eigentlich handelte es sich nur um einen bestimmten Ort, der betroffen ist. Das mulmige Gefühl bleibt dennoch.