Komplizierteste Baustelle der Stadt ist in Sachsenweiler
In Sachsenweiler wird eine neue Abwasserleitung quer durch die Gärten gebohrt. Die Arbeiten verschlingen 750000 Euro und tangieren 15 Grundstücke in der Brüdener Straße und der Straße Am Dresselbach. Neun tiefe Baugruben sind nötig.
Von Matthias Nothstein
Backnang. Wer einfach einmal durch die Brüdener Straße in Sachsenweiler fährt, dem fällt den ersten Blick gar nichts Besonderes auf. An der Kreuzung mit der Sachsenweiler Steige ist zwar ein Baufeld abgetrennt, aber das ist von der Straße abgerückt vor einer Garage und stört nicht. Und ja, von allen Dachrinnen wird das Regenwasser in Rohren quer über die Grundstücke einfach so auf die Straße geleitet. Dazu wurden alle Fallrohre an den Häusern auf zum Teil abenteuerliche Weise angezapft. Aber sonst? Nichts Besonderes zu sehen.
Und trotzdem liegt die aktuell größte Baustelle im Stadtgebiet nur einen Steinwurf entfernt in den Gärten der gepflegten Häuser. Und wenn jemand den Superlativ „größte Baustelle“ anzweifelt – schließlich wird am Stadtrand die B14 sehr aufwendig ausgebaut – dann handelt es sich in Sachsenweiler doch zumindest um die komplizierteste Baustelle. Hier wird eine Abwasserleitung einmal quer durch ein Dutzend Grundstücke gelegt. Insgesamt 15 Grundstücke sind betroffen. Um das mehr als 750000 Euro teure Projekt verwirklichen zu können, müssen neun Baugruben gegraben werden, die zum Teil bis zu sieben Meter tief sind. Die Firma ARS Rohrvortrieb aus Marsberg kümmert sich um die Bohrung. Wobei in Sachsenweiler ein besonderes Verfahren angewandt wird: Pipe Eating. Wörtlich übersetzt bedeutet dies, dass die alte Leitung gefressen wird.
Die komplizierteste Baustelle in Backnang
In Sachsenweiler wird eine neue Abwasserleitung quer durch die Gärten gebohrt. Dazu müssen neun tiefe Baugruben ausgehoben werden. Büsche, Gartenhäuschen, Hasenställe – alles musste weichen. Ein Chaos, aber ein notwendiges.
Markus Dohmann vom Tiefbauamt Backnang erklärt: In der bestehenden alten Leitung, die aus vielerlei Gründen erneuert werden muss, fließt neben dem Abwasser der Anlieger auch jenes aus dem gesamten nördlichen Bereich der Siedlung, also auch aus der Ostend- oder Waldstraße. Der Innendurchmesser der bisherigen Leitung beträgt 20 Zentimeter, die neue wird 30 Zentimeter haben. „Die alten Rohre waren zigfach überlastet“, sagt Dohmann.
Die spezielle Bohrmaschine arbeitet sich lasergesteuert in der alten Leitung vorwärts. Dabei „frisst“ der Bohrkopf die alte Leitung auf und schwemmt das Abbruchmaterial in der neuen Leitung, die sofort nach dem Bohrkopf folgt, nach hinten weg. Der Außendurchmesser beträgt 42 Zentimeter. Diese Größe ist nötig, weil das neue Rohr eine außergewöhnlich dicke Wandstärke hat. Schließlich muss es die gewaltigen Kräfte von 30 bis 50 Tonnen aushalten, mit denen die Leitung Stück für Stück hinter dem Bohrkopf in das neue Loch gepresst wird. Damit die Bohrmaschine diesen Druck aufbauen kann, muss die Rückwand der Baugrube mit Beton ausgegossen werden.
Insgesamt ist die Strecke durch die Gärten von der Kreuzung Sachsenweiler Steige/ Brüdener Straße bis zu einem Regenüberlauf an der Kreuzung Dresselhofstraße/Am Dresselbach mehr als 170 Meter lang. Die erste Etappe von 60 Metern ist bereits geschafft. Allerdings nicht ohne Probleme. Zweimal schon musste der Bohrkopf wieder zurückgeholt werden und damit auch das bereits verlegte Rohr. Einmal kam der Bohrer nicht weiter, weil er auf Fels gestoßen war, ein andermal auf Beton. In zwei Wochen wird die restliche Strecke gebohrt. In der Zwischenzeit muss die Firma in Berlin einen dringenden Auftrag erledigen. Der Zeitplan kommt dennoch nicht in Verzug, weil die Arbeiter des Alfdorfer Generalunternehmers Hans Bauer die Zeit nutzen, um die ersten Baugruben wieder zu schließen. Laut Markus Dohmann ist vorgesehen, dass die Arbeiten einschließlich der Neuanlage der Grünflächen bis November erledigt sind. Er glaubt auch, dass die schwierigsten Passagen bereits gemeistert wurden, wenngleich er weiß, dass im Untergrund immer Überraschungen stecken können.
Wer das Baufeld betrachtet, der dürfte anzweifeln, dass die benachbarte Firma Bischoff, die sich den Auftrag für die Wiederherstellung der Grünanlagen gesichert hat, es schafft, all die Gärten in diesem Jahr noch zu richten. Überall klaffen riesige Löcher. Hohe Erdhügel türmen sich, wo einst Gartenhäuser und Hasenställe standen. Geschotterte Baustraßen führen eng an den Häusern vorbei in die Gärten, wo große und kleine Bagger und Kübelwagen stehen und jede Menge Baumaterial herumliegt.
Die Abwasserentsorgung muss während der Arbeiten ständig gewährleistet sein
Eine der größten Herausforderungen der Baustelle ist, dass während der gesamten Bauzeit die Abwasserentsorgung funktionieren muss. Bei mehreren Häusern wird das Abwasser in Kontrollschächten gesammelt. Aus diesen ragen Schläuche heraus und führen zu provisorischen Leitungen, die wie auch die Regenwasserleitungen quer über die Gelände führen.
Das Projekt beschäftigt die Stadt schon seit den 80er-Jahren. Damals sind die Kanäle zweimal eingebrochen und mussten aufwendig geflickt werden. Inzwischen sind die Rohre komplett schadhaft und weisen viele Risse auf. Zudem steht in der Leitung an mehreren Stellen das Abwasser, weil die Leitung nur fünf Promille Gefälle hat und sie trotzdem wellig verlegt worden ist. Auch das Inliner-Verfahren, das oft angewandt wird, wäre in dem Fall keine Lösung gewesen. Schließlich hätte es an der krassen Unterdimensionierung nichts geändert. Dohmann: „In all den Jahren hat sich niemand an das schwierige Projekt herangetraut. Wenn wir es jetzt machen, dann machen wir es richtig und haben dann wieder 80 Jahre lang Ruhe. Mindestens.“
Nicht unkompliziert ist es, in diesem Umfang auf den Grundstücken der Anwohner zu graben und die gepflegten Gärten zu zerstören. Zwar ist bei den meisten eine Grunddienstbarkeit im Grundbuch eingetragen, die der Kommune dieses Recht zusichert. Aber in zwei Fällen war dies nicht der Fall. Diese Anwohner zu überzeugen war eine große Aufgabe. „Am Ende konnten wir alle überzeugen“, freut sich Dohmann über die Kooperation der Anwohner, die das Allgemeinwohl über ihr eigenes gestellt haben. Wäre die Lösung durch die Gärten am Widerstand der Bürger gescheitert, so hätten die Rohre aufwendig um das Gebiet herum verlegt werden müssen. Und da das Gefälle nicht ausgereicht hätte, wären Pumpstationen vonnöten gewesen und ständige Unterhaltskosten angefallen. „Wir sprechen da von vielen Millionen Euro Kosten.“
Andererseits haben auch die betroffenen Bürger gespart. Hätte nämlich die Alternative gebaut werden müssen, hätten die Eigentümer ihre Hausanschlüsse auf eigne Kosten neu verlegen müssen. Dann hätte jeder ebenfalls seinen eigenen Garten komplett umgegraben müssen. Pro Haus wären dann Kosten von 50000 bis 70000 Euro angefallen. Jetzt müssen die Anwohner nichts bezahlen – und bekommen am Ende den Garten auf Kosten der Stadt neu angelegt.
Trotzdem ist die Baustelle für die Bürger eine riesige Belastung. Freddy Fröscher etwa spricht von einem verlorenen Sommer. Seine einst schattige Terrasse ist jetzt eine sechs Meter tiefe Baugrube. Und auf dem Südbalkon kann er wegen der starken Sonneneinstrahlung nicht sitzen. Fröscher hat jetzt nur noch einen Wunsch: „Ich hoffe, dass es jetzt schnell zu Ende geht.“