Konzert am Gleis als Ausgleich für monatelange Bahnsperrungen
Um sich für die Geduld der Bahnpendler angesichts der zahlreichen Einschränkungen und Ärgernisse während der Bahnsperrungen in den vergangenen Monaten zu bedanken, hat die Deutsche Bahn unter anderem in Backnang ein kostenloses Bahnhofskonzert organisiert.
Von Simone Schneider-Seebeck
Backnang. Baustellen, Zugausfälle, Schienenersatzverkehr, der auch mal ganz woanders ankommt, und natürlich Verspätungen, Verspätungen, Verspätungen – in diesem Jahr war für die Bahnreisenden in der Region oft Geduld und auch Improvisationstalent gefragt, um ans Ziel zu kommen.
Dass dies mit einem gewissen Frust und mit Unverständnis vonseiten der Reisenden einherging, ist auch den Verantwortlichen nicht entgangen. Daher gab es immer wieder Aktionen, um wenigstens etwas Wiedergutmachung zu leisten, etwa der kostenlose Reisemonat für Abonnenten oder auch die 1852 Grillwürste, die nach Ende der elfwöchigen Streckensperrungen zwischen Waiblingen und Bad Cannstatt kostenlos am Waiblinger Bahnhof verteilt wurden.
Ob es wohl am zukünftig ausgedünnten Fahrplan und daher befürchteten Unmut der Bahnnutzer liegt? Für den Oktober und November spendieren der Verband Region Stuttgart (VRS) und das Pop-Büro Region Stuttgart jedenfalls Konzerte auf sieben Bahnhöfen. Mit dabei war auch der Backnanger Bahnhof. Wirklich bekannt schien das geplante Konzert allerdings nicht gewesen zu sein, denn am Donnerstagnachmittag herrschte ganz normaler Verkehr an den Gleisen. Während die einen Bahnfahrenden das aufgebaute Equipment zwischen den Zugängen vom Bahnhofsgebäude zu Gleis 1 und die Infostände von VVS und VRS kaum beachteten, blickten andere kurz vor 17 Uhr doch recht interessiert hinüber.
Überschaubare Zuschauerzahl,aber positive Resonanz
Zwei Studentinnen unterhielten sich mit der Künstlerin Linda Quast, die in wenigen Minuten loslegen durfte. Eine Durchsage ertönte, welche die fünfminütige Verspätung der S4 ankündigte.
Die beiden jungen Frauen studieren Kommunikationsdesign und für ihr aktuelles Projekt, ein eigenes Magazin, haben sie sich das Thema Frauen in der Musik ausgesucht. „Wir haben recherchiert, was es in der Region so gibt, und sind so auf das Pop-Büro gestoßen“, erklärte eine der Frauen, die sich als Janina vorstellt. Und so hatten sie auch von den Bahnhofskonzerten erfahren. Aus Schwäbisch Gmünd kommend, waren sie zuvor bereits bei den Konzerten in Bad Cannstatt und Böblingen gewesen. Und nun eben in Backnang. „Das Konzert in Bad Cannstatt kam sehr gut an“, sagte Louisa, die andere Studentin. Sie hält die Idee der Bahnhofskonzerte für ein erfolgreiches Projekt, auch wenn der Böblinger Bahnhof nicht so gut besucht gewesen sei. Aber das sei sicher vor allem dem regnerischen Wetter geschuldet gewesen.
Einige Zuschauer sind ganz begeistert
Die verspätete S-Bahn war mittlerweile eingetroffen, einige der aussteigenden Fahrgäste blickten neugierig zu Linda Quast hinüber, die mittlerweile ihre E-Gitarre zur Hand genommen hatte, um pünktlich um 17 Uhr mit ihrem Auftritt zu beginnen: ruhige, unaufgeregte Stücke, die ganz gut geeignet sind, um gehetzte Reisende etwas verschnaufen zu lassen. Die Musik lockte auch Ladenbetreiber aus den Bahnhofsgeschäften.
„Ich bin die Linda. Ich mach gern Musik. Und ich bin sehr nervös“, stellte sich die junge Künstlerin vor, deren Nervosität jedoch bald sichtlich nachließ.
Ganz begeistert zeigte sich ein junger Zuhörer: „Ich finde diese Idee toll. Wenn die Leute von der Arbeit kommen, können sie mithilfe der Musik etwas ausruhen. Das wäre etwas für jeden Bahnhof“, meinte der Mann, der eigentlich auf dem Heimweg war. Als später seine Bahn kam, stieg er erst in letzter Minute zu.
Schade fand Ana Kaya aus dem Lottoladen im Bahnhof, dass nicht so viele Leute da waren. Sie hatte etwas mehr erwartet, aber das könne auch am Wochentag liegen, freitags sei mehr los. „An sich ist das eine gute Idee. Das ist mal etwas anderes. Und auch ein Hingucker. Untypisch für einen Bahnhof.“ Sie könne sich durchaus vorstellen, dass die Aktion die Fahrgäste etwas versöhnt mit dem vergangenen Jahr.
Gelöste Stimmung am Backnanger Bahnhof
Nach einer guten halben Stunde war das erste Konzert vorbei, Reisende filmten und machten Fotos, es gab Applaus. Die nächste Künstlerin verspätete sich etwas. Dafür nutzten die Passanten die Gelegenheit, etwas beim VVS-Glücksrad zu gewinnen, auch die angebotenen Getränke wurden gern genommen. „Das ist mal was Neues, man versucht, die Leute bei Laune zu halten“, meinte eine Reisende zur anderen, während bis zum nächsten Auftritt Musik aus der Konserve lief.
Auch die Künstlerin Dianush zog Publikum an. So hielt sich eine Gruppe Menschen bis zum Ende des Bahnhofskonzerts in der Nähe der Fahrradständer auf und ging erst, als schließlich gegen 19.15 Uhr die Aktion beendet war.
Die Stimmung am Bahnhof war gelöst, man sah nicht nur gehetzte Gesichter, auch das eine oder andere Lächeln war dabei. Vielleicht gibt es ja im nächsten Jahr eine Wiederholung – gerne auch ohne vorherige Sperrungen.