Kreisimpfzentrum-Fazit: „Der Kreis kann Krise“
Gestern ist die letzte Impfung in der Waiblinger Rundsporthalle erfolgt, nun wird das Kreisimpfzentrum zurückgebaut. Die Verantwortlichen loben die Abläufe und das Krisenmanagement, räumen aber auch eine geringe Auslastung der Einrichtung ein.
Von Lorena Greppo
Rems-Murr. Der Letzte macht das Licht aus? In diesem Fall ist das nicht nötig, stattdessen gibt es für Sahil Mahmood Ramadhan einen Piks in den Oberarm – und schon ist die letzte Impfdosis im Kreisimpfzentrum (KIZ) in der Waiblinger Rundsporthalle verabreicht. Nach achteinhalb Monaten Betrieb wird ab heute abgebaut, am 15. Oktober wird die Halle der Stadt Waiblingen wieder übergeben, am Tag darauf soll hier schon wieder ein Handballspiel stattfinden. Zeit für die Verantwortlichen, Bilanz zu ziehen. Diese fällt weitgehend positiv aus, auch wenn sich Landrat Richard Sigel und Dezernent und KIZ-Leiter Gerd Holzwarth nicht scheuen, auch die Schattenseiten anzusprechen. Denn obwohl die Abläufe sehr gut funktioniert hätten, sei die Einrichtung nie ausgelastet gewesen. „Das ist für mich ein Wermutstropfen: Wir haben eine Riesenstruktur aufgebaut und dann festgestellt, dass man die Menschen vor Ort am besten erreicht.“ Während im KIZ zuletzt wenig los war, hätten die Sonderaktionen in den Städten – auch fünfmal in Backnang – besten Zulauf erfahren, fügt Holzwarth an. Und auch der Impftruck, der im Frühjahr in den Kreiskommunen unterwegs war, sei ein Erfolg gewesen.
Die Gründe für die geringe Auslastung sind unterschiedlich. Anfangs, als die Zahl der Impfwilligen besonders groß war, hatte der Kreis zu wenig Impfstoff. Später, als genügend Impfstoff da war, fehlten die Impfwilligen. Die Zahlen sind ernüchternd: Die möglichen 1500 Impfdosen wurden an keinem Tag verabreicht, nur an fünf Tagen kam man überhaupt über 1000. Als Durchschnitt haben die Verantwortlichen 477 Impfungen pro Tag errechnet, also ein knappes Drittel der maximalen Leistungsstärke. Die Kosten für das KIZ, die mobilen Impfteams und den Impftruck belaufen sich nach aktueller Schätzung auf etwa 4,9 Millionen Euro. Heruntergebrochen auf die Impfung komme man so auf 40 Euro, so Holzwarth. „Bei größerer Auslastung hätten sich die Kosten pro Impfung deutlich reduziert.“
140 Mitarbeiter wurden für den Betrieb des KIZ neu eingestellt
Fast ausnahmslos positiv fiel das Fazit von Stephanie Haaf-von Below aus, der ärztlichen und medizinischen Leiterin des KIZ. 340 Kollegen hätten sich freiwillig gemeldet, um zusätzlich zu ihrem normalen Arbeitsumfang noch im Impfzentrum zu helfen, berichtet sie. Etwa 100 von ihnen seien tatsächlich eingesetzt worden. „Man konnte sehr gut zusammenarbeiten“, urteilt sie. Das Erlebte habe die Ärzteschaft näher zusammengebracht. Inklusive der Einsatzkräfte des DRK und der Verwaltungsmitarbeiter waren täglich zwischen 25 und 30 Personen im KIZ im Einsatz. Um das stemmen zu können, habe das Landratsamt „in einer Hauruckaktion“ Personal akquiriert, berichtet Holzwarth. 140 Mitarbeiter wurden eingestellt, viele von ihnen in Teilzeit. Die Dienstpläne zu erstellen sei dabei eine Herausforderung gewesen, so Sigel. Ihre Verträge endeten gestern, einige seien aber in die Kreisverwaltung oder die Rems-Murr-Kliniken übernommen worden.
Gerade der Einsatz der Mitarbeiter habe dabei geholfen, die zahlreichen Herausforderungen zu überwinden, hob Holzwarth hervor. Beispielsweise als die Terminvergabe anfangs schlichtweg in Chaos ausartete oder im März die Impfungen mit Astrazeneca gestoppt wurden. „Das war ein Highlight“, kommentiert der KIZ-Leiter mit Galgenhumor. Über Nacht seien die Termine abgesagt worden, nur um sie dann später wieder neu anzusetzen. Der restriktive Zugang zu Impfterminen habe in manchen Fällen auch für Probleme mit Kunden gesorgt – Michael Szauer, der die Verwaltung des KIZ leitete, sei sogar einmal angespuckt worden –, doch habe ein flexibles und individuelles Vorgehen die meisten Situationen entschärft. Für alle Probleme seien kundenorientierte Lösungen gefunden worden, das zeige auch die positive Resonanz – auf Google wurde das KIZ mit 4,9 von 5 Sternen bewertet. Daher lautet das Fazit des Landrats auch: „Der Kreis kann Krise!“
Froh ist Richard Sigel aber auch angesichts des anstehenden Paradigmenwechsels: Die staatliche Hand nimmt sich zurück und die Hausärzte sollen die Impfungen künftig maßgeblich übernehmen. Sie verabreichen auch die zweite Dosis, wenn die Erstimpfung im KIZ erfolgt war. „Damit ist diese Leistung auch wieder dort angesiedelt, wo sie eigentlich hingehört“, so der Landrat. Unterstützt werden die örtlichen Mediziner durch ein mobiles Impfteam aus dem Stuttgarter Klinikum, welches bis Ende des Jahres die Auffrischimpfungen in den Pflege-, Senioren, Behinderten- und Asyleinrichtungen vornimmt. Der Kreis habe aber auch den Weg geebnet, um bei Bedarf noch zwei eigene mobile Impfteams stellen zu können, so Sigel. „Wir gehen nicht davon aus, dass wir sie einsetzen müssen.“ Zumal man auch die klare Ansage aus der Politik bekommen habe, dass nachgesteuert werde, wenn die Impfteams nicht ausreichen. Über das weitere Vorgehen für Impfwillige und jene, die noch auf ihre zweite Dosis warten, informiert der Kreis künftig auf seiner Homepage.
Laufzeit Am liebsten hätte er zwei Standorte gehabt, sagt Landrat Richard Sigel. Dieser Wunsch blieb ihm verwehrt, ein Kreisimpfzentrum sollte in den Rems-Murr-Kreis kommen, als Standort wurde Waiblingen gewählt. Mitte Dezember 2020 begannen die Umbauarbeiten in der Waiblinger Rundsporthalle, im Januar ging es dann mit den ersten Impfungen im neu errichteten Kreisimpfzentrum los. Der Betrieb endete gestern, in den kommenden zwei Wochen wird abgebaut.
Ergänzung Weil Termine im KIZ für die Bewohner der entlegeneren Teile des Rems-Murr-Kreises eine schwierige Anreise bedeutet hätten, wurden parallel auch noch Impfungen von mobilen Teams angeboten. Diese versorgten Senioren- und Pflegeheime, Behinderteneinrichtungen und Asylunterkünfte. So konnten 211 Einrichtungen durchgeimpft werden. Der Impftruck machte in den Kommunen halt und später gezielt an Schulen, zudem wurden diverse Sonderaktionen initiiert. Seit April dürfen auch Ärzte in ihren Praxen gegen Corona impfen.
Zahlen Im Rems-Murr-Kreis wurden bisher 175000 Erstimpfungen gegen Covid-19 vorgenommen. Das beinhalte aber auch Bürger, die von außerhalb zum Impfen gekommen seien, so Holzwarth. 62600 der Impfungen entfielen auf das KIZ, 13300 verabreichten die mobilen Impfteams des Landes und 99100 die Hausärzte im Kreis. Letztere sind nun vor allem zur Fortführung der Impfkampagne gefragt.
Quote Trotz intensiver Bemühungen der Kreisverwaltung hat die Impfkampagne im Rems-Murr-Kreis nicht so viel Fahrt aufgenommen wie anderswo. Nach aktuellstem Stand des Landesgesundheitsministeriums sind knapp 58 Prozent der Bewohner voll immunisiert, 60,3 Prozent haben zumindest die Erstimpfung erhalten. Damit belegt der Kreis landesweit Rang 31 von 44. Das ist zwar eine Verbesserung – „ein Übergang vom letzten in das zweite Drittel“, so Sigel –, man sieht sich deshalb aber noch lange nicht in einer Vorbildrolle. Über die Gründe könne man nur spekulieren, so der Landrat. Eventuell habe man den Rückstand, der durch die knappen Impfstofflieferungen entstanden war, nicht wieder aufholen können. Womöglich gebe es hier im Kreis auch mehr Impfkritiker.