Flucht eines verurteilten Mörders

Land verschärft Regeln für Gefangene

Ein verurteilter Mörder entkommt bei einer bewachten Ausführung an einen Baggersee. Viele fragen sich: Wie kann das sein? Streichen lassen sich solche Ausflüge nicht – doch in den Gefängnissen im Land gelten jetzt strengere Vorgaben.

Ausflugsziel auch für Strafgefangene: Ein See in der Nähe von Germersheim in Rheinland-Pfalz. Dort entkam ein verurteilter Mörder im vergangenen Oktober.

© dpa/Uli Deck

Ausflugsziel auch für Strafgefangene: Ein See in der Nähe von Germersheim in Rheinland-Pfalz. Dort entkam ein verurteilter Mörder im vergangenen Oktober.

Von Jürgen Bock

Für viele Bürgerinnen und Bürger ist der Fall des jetzt nach neun Monaten auf der Flucht in Moldau festgenommenen Aleksandr Perepelenko schlicht ein Skandal. Man stelle sich auch dieses Szenario vor: Ein Mann, der wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden ist, für den das Karlsruher Landgericht beim Prozess 2012 sogar die besondere Schwere der Schuld festgestellt hat, macht einen Ausflug. Er trifft sich mit Frau und Kindern, wie ein ganz normaler Bürger. Erst geht es zum Frühstück in ein Schnellrestaurant, dann in einen Baumarkt. Anschließend fährt man zu einem Baggersee. Zwar sind zwei Justizbeamte des Bruchsaler Gefängnisses dabei, in dem der damals 43-Jährige einsitzt, doch auf einem Spielplatz rennt der Gewalttäter ihnen einfach davon. Auch seiner elektronischen Fußfessel entledigt er sich kurz darauf ohne Mühe.

Sieben solcher sogenannter Ausführungen hatte es zuvor bereits gegeben. Ohne Zwischenfälle. Die achte nutzte Perepelenko am 30. Oktober vergangenen Jahres zur Flucht. Offenbar, ohne dass sich das vorher irgendwie angedeutet hatte. Es habe Pannen gegeben, musste das Justizministerium des Landes schnell einräumen. Die beiden Beamten, die nicht gut genug aufgepasst hatten, sind vor kurzem mit Geldbußen bestraft worden, können aber weiter in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bruchsal arbeiten.

Viele fragen sich: Wie kann so etwas passieren? Zumal es nicht der einzige Fall ist. Nur wenige Wochen nach der Flucht am Baggersee hatte ein Gefangener aus der JVA Mannheim einen Arztbesuch in Ludwigshafen zur Flucht genutzt. Er war mit seinem Bruder gut zwei Wochen später nahe Heidelberg festgenommen worden. Auch eine damalige Mitarbeiterin der JVA hatte eingeräumt, ein Liebesverhältnis mit dem Häftling begonnen und ihm im Gefängnis ein Mobiltelefon zugesteckt zu haben.

Warum also lässt die Justiz verurteilte Schwerverbrecher überhaupt nach draußen – zudem noch zu kleinen Ausflügen ins Naherholungsgebiet? Nach Angaben des Justizministeriums Baden-Württemberg hat es im vergangenen Jahr rund 20 000 sogenannte Aus- und Vorführungen gegeben. Dabei werden Gefangene unter Bewachung aus dem Gefängnis gebracht. Meistens handelt es sich um Arzt- oder Gerichtstermine. Es gibt aber wie bei Perepelenko auch sogenannte „Ausführungen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit“.

Die Verfassung legt die Spielregeln fest

Und die lassen sich nicht einfach streichen oder gar verbieten. „Die Durchführung von Ausführungen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit ist aus verfassungsrechtlichen Gründen grundsätzlich erforderlich“, sagt Aniello Ambrosio, Sprecher des Justizministeriums. Besonders bei langjährig im Vollzug befindlichen Personen sei es geboten, „aktiv den schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken und ihre Lebenstüchtigkeit zu erhalten und zu festigen“. Dafür gibt es bei Gefangenen, die bereits als gefestigt gelten, Ausgänge oder Urlaube. Und bei solchen, die dafür die Voraussetzungen noch nicht erfüllen, die bewachten Ausführungen.

Nach den Vorfällen zieht das Land allerdings die Zügel an. Die Rahmenbedingungen für Aus- und Vorführungen sind verschärft worden. „Es gelten nun engere zeitliche, örtliche und organisatorische Vorgaben. Neben Regelungen zur Beaufsichtigung der Auszuführenden und zur näheren Planung sowie zur Frage der Kenntnisgabe von Zielorten wurde die Dauer derartiger verpflichtender Ausführungen grundsätzlich auf vier Stunden begrenzt“, sagt Ambrosio. Zudem würden noch Alternativen zur technischen Überwachung geprüft. Mit den Anstaltsleiterinnen und Anstaltsleitern der Gefängnisse im Land sind die neuen Regeln bereits in einer außerordentlichen Dienstbesprechung erörtert worden. Zwar gibt es für die Änderung der entsprechenden Verwaltungsvorschriften bisher erst einen Entwurf, die Verschärfung ist in der Praxis aber bereits umgesetzt worden.

Es geht nicht zurück nach Bruchsal

Perepelenko sitzt derweil noch in Moldau, wo ihn Zielfahnder des Landeskriminalamts aufgespürt hatten, in Haft. Die deutschen Behörden werden schnellstmöglich die Auslieferung beantragen. Wann der Geflohene in ein deutsches Gefängnis überstellt wird, ist noch unklar. Sicher ist nur, dass es nicht mehr Bruchsal sein wird. Ebenfalls entschieden ist laut Justizministerium: Hafterleichterungen und Ausführungen sind für den 44-Jährigen zunächst gestrichen. Alles andere wäre der Bevölkerung auch kaum zu vermitteln.

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Erstellt:
30. Juli 2024, 16:06 Uhr

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