Leichte Sprache für mehr Selbstbestimmung
Zum heutigen Tag der Leichten Sprache haben wir mit der Leiterin des Büros für Leichte Sprache von der Diakonie Stetten über ihre Arbeit gesprochen. Sie formuliert mit ihren Kollegen deutsche Texte so um, dass sie möglichst leicht zu verstehen sind.
Von Anja La Roche
Rems-Murr. „Ich bin viel im Internet unterwegs“, erzählt Thomas Elser. Der Backnanger wird gemeinsam mit anderen Menschen mit geistiger Beeinträchtigung am Wochenende im Wilhelm-Traub-Haus betreut. Im Internet informiert er sich über verschiedene Themen, aber auch in WhatsApp liest der 42-Jährige Textnachrichten. Außerdem schmökert er gerne in Büchern, gerade beispielsweise in einem von Karl May. Das Lesen sei aber oft nicht leicht für ihn, erklärt Elser. Vor allem politische Inhalte seien oft kompliziert formuliert. „Da hilft mir Leichte Sprache schon“, sagt er. Denn auch er will sich, vor allem jetzt vor den Wahlen, gut informieren können und damit selbstbestimmter leben.
So wie Thomas Elser geht es vielen Menschen: Sie wollen lesen, aber viele Texte sind für sie zu schwierig formuliert. Das betrifft Menschen mit Beeinträchtigung, mit Lernschwierigkeiten, aber auch beispielsweise Personen mit Demenz oder Leute, die nicht so gut Deutsch verstehen. Für diese Menschen gibt es die Leichte Sprache – und an die soll am heutigen „Tag der Leichten Sprache“ erinnert werden.
Annette Hohnerlein aus Backnang hat sich beispielsweise mit dem Thema auseinandergesetzt, um die Website der Lebenshilfe Rems-Murr barrierefreier zu gestalten. Dort erklären nun kurze Sätze mit simpler Satzstruktur die einzelnen Inhalte, die auf der Seite zu finden sind. Um das umzusetzen, hat die stellvertretende Vorsitzende des Vereins ein Seminar bei der Diakonie Stetten besucht. Bei der Einfachen und Leichten Sprache gibt es nämlich einiges zu beachten. Die Leichte Sprache erfüllt dabei noch ein paar strengere Regeln als die Einfache Sprache – ist also noch leichter verständlich.
Genauer erklären kann das Frauke Jessen-Narr, die Projektleiterin für das Büro für Leichte Sprache von der Diakonie Stetten. Gemeinsam übersetzt sie dort mit zwei weiteren Frauen alle möglichen Texte in Leichte Sprache. „Bei der Einfachen Sprache ist der Rahmen größer“, erklärt Jessen-Narr. Die Zielgruppe Einfacher Sprache seien eher Menschen, die noch dazulernen können. Bei der Leichten Sprache hingegen seien vor allem Menschen mit kognitiven Einschränkungen die Zielgruppe, die langfristig darauf angewiesen sind.
Das Büro für Leichte Sprache gibt es seit drei Jahren. Es wird als Projekt von der gemeinnützigen Organisation Aktion Mensch mindestens vier und maximal fünf Jahre lang finanziert. Wie das Büro für Leichte Sprache danach weiter finanziert wird, ist noch unklar. „In der Diakonie Stetten gibt es einen großen Bedarf an Texten in Leichter Sprache. Da war es logisch, dass wir das ausbauen“, erzählt Jessen-Narr, wie es zu der Idee kam. Die Übersetzungsleistung in Anspruch nehmen beispielsweise Behörden, Unternehmen oder Organisationen.
Betroffene Menschen prüfen die Texte
Weitere Themen
Für Jessen-Narr zentral ist bei alldem, dass die betroffenen Menschen selbst entscheiden, was für sie verständlich ist. Deswegen werden die Texte, bevor sie an die Auftraggeber zurückgehen, vorher von einer Prüfungskommission freigegeben. Das Büro für Leichte Sprache hat eine Gruppe in Stetten und eine in Waiblingen, die sich abwechselnd alle zwei Wochen treffen und für zwei Stunden Texte lesen und darauf hinweisen, wenn etwas noch zu schwer formuliert ist. Alle Gruppenteilnehmer haben eine geistige Behinderung oder eine psychische Erkrankung. „Wir haben geschaut, dass wir die Gruppen möglichst heterogen zusammensetzen“, erklärt Jessen-Narr. Und am Ende des Tages spiegle die Arbeit der Prüfungskommission das wider, was die Leichte Sprache sein soll: Empowerment für Menschen mit Beeinträchtigung. „Sie sind die Experten in eigener Sache“, fasst Jessen-Narr zusammen.
Die Übersetzerinnen achten dabei besonders auf drei Aspekte: Zum einen sollen die Satz- und Textstruktur möglichst einfach sein. Zum anderen sollen die Wörter einfach sein, Fachbegriffe und Fremdwörter sollen beispielsweise vermieden werden. Und schließlich soll auch die Gestaltung des Textes möglichst verständlich sein.
Der Projektleiterin sind dabei vor allem zwei Textarten aufgefallen, die besonders schwer zu übersetzen sind. „Rechtstexte sind besonders schwierig, weil sie sowieso schon schwer verständlich sind“, sagt sie. Außerdem seien beispielsweise bei Verträgen oftmals nur angefügte Erklärungen in Leichter Sprache möglich, weil sonst die Rechtssicherheit nicht mehr gegeben wäre. Schwierig umzuformulieren seien aber auch Leitbilder von Unternehmen, weil diese oftmals viele inhaltsleeren Wortkonstrukte enthalten. Zum Beispiel Wörter wie Inklusion und Nachhaltigkeit. „Die Leitbilder würden sehr lang werden, wenn man das alles erklärt“, so Jessen-Narr. Fünf Sätze könnten da schnell mal zu fünf Seiten werden, „und das liest dann keiner mehr“.
Doch sieht die Projektleiterin schon genug Bemühungen in der Gesellschaft, Texte für alle zugänglich zu machen? Neben den Behörden, die dazu verpflichtet sind, möglichst barrierefreie Webseiten anzubieten, sieht Jessen-Narr durchaus Fortschritte. „Dass wir vermehrt Aufträge von Unternehmen bekommen, finde ich sehr positiv“, sagt sie. „Aber ich habe den Eindruck, dass das noch nicht gut eingebettet wird.“ Oft seien die Texte in Leichter Sprache beispielsweise nur schlecht auf der Website zu finden. Oder Links führen zu Dokumenten, die wiederum nicht in Leichter Sprache verfasst sind. „Ich habe noch nicht gesehen, dass es ein gutes Gesamtpaket gibt. Da ist noch ein Weg zu gehen.“
KI-Tools können helfen
Damit sich auch Menschen wie Thomas Elser künftig noch selbstbestimmter informieren können, könnte KI eine wichtige Rolle spielen. Die ersten Übersetzungs-KIs für Leichte Sprache sind auf dem Markt, auch wenn sie noch nicht einwandfrei funktionieren. Für das Büro für Leichte Sprache ist dabei allerdings klar: Die Experten in eigener Sache ersetzen, das kann eine KI nicht. Die Selbstbestimmtheit der betroffenen Menschen bleibt Kern der Sache.
Beispiel Folgender Text ist in Leichter Sprache geschrieben:
Woher kommt Leichte Sprache?
Die Idee für Leichte Sprache kommt aus den USA.
Auch in den USA gibt es Menschen, die schwere Texte nicht verstehen.
Deshalb haben sie gefordert: Es soll Texte in Leichter Sprache geben.
Die Menschen haben Leichte Sprache schon 1996 gefordert.
Heute ist Leichte Sprache fast überall bekannt.
Es gibt viele Texte in Leichter Sprache.