Macht die Schwammstadt Häuser nass?

Der Schützenplatz im Stuttgarter Kernerviertel ist ein Musterbeispiel für die ans Klima angepasste Stadt. Doch es gibt Probleme.

Der Schützenplatz in Stuttgart ist abschüssig, die Gebäude unterhalb haben neuerdings ein Feuchtigkeitsproblem.

© Judith A. Sägesse

Der Schützenplatz in Stuttgart ist abschüssig, die Gebäude unterhalb haben neuerdings ein Feuchtigkeitsproblem.

Von Judith Sägesser

Stuttgart - Eines vorweg: Die beiden Anwohnerinnen mögen den neuen Schützenplatz im Stuttgarter Kernerviertel. „Wir pflegen ihn ja auch“, sagt die Frau, die seit 47 Jahren dort wohnt. 14 Bäume, Holzbänke, zusammengewürfelte Tische und Stühle, Schirme, Bodenschach, ein Trinkbrunnen – aus dem früheren Autoparkplatz ist ein Menschenplatz geworden. Doch in die Freude mischt sich bereits seit Monaten Ärger.

Im Sommer 2023 hatte die Stadt den Schützenplatz in Stuttgart offiziell eröffnet. Ein Vorzeigeprojekt für Klimaanpassung. Da es wegen der Erderwärmung immer heißer wird, setzen Kommunen auf das Schwammstadt-Prinzip: Versiegelung reduzieren und Grün erweitern. Damit Regengüsse nicht nur in die Kanalisation rauschen, sondern vor Ort bleiben, um bei Hitze zu kühlen und zu bewässern. Wie ein Schwamm soll das neue Sickerpflaster am Schützenplatz Regenwasser aufsaugen. Aber das könnte nicht die einzige Wirkung sein.

Im Januar haben die Anwohner an dem abschüssigen Platz erstmals Feuchtigkeit an ihren Gebäuden festgestellt. „Die Häuser haben nasse Füße“, sagt eine Miteigentümerin eines besonders betroffenen Hauses. Ihren Namen will sie, wie auch ihre Nachbarin, nicht öffentlich machen, sie würden eigentlich für alle hier sprechen, sagen sie. Nachdem sie der Stadt damals Bescheid gesagt hätten, dass an den Sockeln ihres Hauses – Baujahr 1895 – Feuchtigkeit aufsteigt, sei im Februar ein Kanal ausgeputzt worden. Die Eigentümer hätten da schon geklärt, dass das Problem nicht etwa mit einem internen Rohrbruch zusammenhängt. Sie sind überzeugt: Das Problem kommt von außen. „130 Jahre war nichts und jetzt das“, sagt eine der Anwohnerinnen.

Im März hätten sie erneut nachgehakt, „damit sich der Schaden nicht noch weiter ausbreitet“. Denn die Spur der Feuchtigkeit im Sandstein steige sukzessive nach oben. Sie wissen das, weil sie im Mai einen Strich an die Mauer gezeichnet haben. In der Erdgeschosswohnung bröckele der Putz von der Wand, und es habe sich ein brauner Fleck gebildet. Im Mai hätten sie schließlich mit dem Anwalt gedroht, im Juni sei die Information gekommen, ein Gutachter würde sich die Sache ansehen. Der Termin sei jetzt, Mitte Oktober.

Was die Anwohner fast noch mehr ärgert als die Feuchtigkeit: „Dass die Stadtverwaltung über ein halbes Jahr überhaupt nicht reagiert“, sagt eine der Eigentümerinnen. „Die Stadt hat sich einfach stumm gestellt.“ Erst sei der Schützenplatz das Aushängeschild, „aber wenn dann was ist, dann kommt keiner“. Einen Anwalt haben sie längst engagiert.

Und was sagt die Stadt zu der offenbar neuen Nässe am Schützenplatz? Könnte das durch das Sickerpflaster passiert sein? „Feuchtigkeit in den bodennahen Schichten im Umfeld von sickerfähigen Belägen ist dem Prinzip der Schwammstadt geschuldet und notwendig, um die erwähnten klimatischen Verbesserungen für die Stadtgesellschaft insgesamt zu erreichen“, erklärt der Stadtsprecher Oliver Hillinger eher allgemein.

Der Schützenplatz sei laut Tiefbauamt wegen der Hanglage und den angrenzenden Natursteinfassaden „ein besonderer Fall“, so Hillinger. „Am grundlegenden Konzept der Schwammstadt wird seitens der Stadtverwaltung festgehalten.“ Man erarbeite derzeit „technische Lösungen, um die oberflächennahe Feuchtigkeit von den Fassaden fernzuhalten“. Auch bei Starkregen.

Weil es nun auf den nächsten Winter zugeht, fragen sich die Anwohner am Vorzeigeprojekt Schützenplatz, was passiert, wenn das Wasser im Sandstein gefriert. Die kalte Jahreszeit wird es wohl zeigen, denn nach der Erfahrung der vergangenen Monate rechnen sie nicht allzu bald mit neuen Erkenntnissen.

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Erstellt:
6. Oktober 2024, 22:05 Uhr
Aktualisiert:
7. Oktober 2024, 21:57 Uhr

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