Bedrohte Pazifikinseln

Meeresspiegel steigt immer schneller

Manche Inselstaaten im Pazifik könnten durch den Klimawandel komplett von der Landkarte verschwinden. Sie fordern mehr Unterstützung durch die Industrieländer.

Auf Tuvalu rückt der Ozean immer näher.

© dpa/Kyodo

Auf Tuvalu rückt der Ozean immer näher.

Von Werner Ludwig

Bei einem Treffen der 18 Mitgliedsländer des Pazifischen Inselforums im Inselstaat Tonga hat der UN-Generalsekretär António Guterres vor einer weltweiten Katastrophe infolge des steigenden Meeresspiegels gewarnt. Wir beantworten wichtige Fragen dazu.

Wie schnell steigt der Meeresspiegel?

Im 20. Jahrhundert ist der Meeresspiegel im globalen Durchschnitt um rund 15 Zentimeter gestiegen – also um 1,5 Millimeter pro Jahr. In jüngerer Zeit hat sich dieser Anstieg deutlich beschleunigt. Laut dem Weltklimabericht vom April 2022 steigt das Wasser derzeit um 3,7 Millimeter pro Jahr und damit gut doppelt so schnell wie im vorigen Jahrhundert. Bereits innerhalb von 13 Jahren ergibt sich so ein Anstieg um fünf Zentimeter. In den günstigsten Szenarien, die einen ehrgeizigen Klimaschutz voraussetzen, steigt der Meeresspiegel bis 2100 um weitere 40 Zentimeter. Pessimistischen Szenarien zufolge könnte der Anstieg aber auch bei zwei Meter oder noch höher liegen.

Wie hängen der Klimawandel und der Anstieg des Meeresspiegels zusammen?

Die Erderwärmung trägt gleich auf mehreren Wegen zu dem Anstieg bei. Ein wesentlicher Faktor ist der Anstieg der Wassertemperaturen, die zuletzt vielerorts neue Rekordwerte erreicht haben. Wenn sich Wasser erwärmt, verringert sich seine Dichte, wodurch die gleiche Wassermenge ein größeres Volumen einnimmt. Weitere große Treiber sind das Schmelzen der gigantischen Eispanzer in den nördlichen und südlichen Polarregionen und der Rückgang der Gebirgsgletscher, wodurch zusätzliches Wasser in die Ozeane gelangt. Der Einfluss der Eisschmelze hat zuletzt an Bedeutung gewonnen und trägt nach Einschätzung des Deutschen Klima Konsortium mittlerweile zu rund 70 Prozent zum Anstieg des Meeresspiegels bei. Eine kleinere Rolle spielt auch der sinkende Salzgehalt der Ozeane, der ebenfalls die Dichte des Wassers verringert.

Welche Länder sind besonders betroffen?

Regional gibt es erhebliche Abweichungen von den globalen Durchschnittswerten zum Anstieg des Meeresspiegels. Dazu tragen unter anderem Meeresströmungen und Hebungen oder Senkungen des Meeresbodens und angrenzender Landflächen durch tektonische Bewegungen bei. Besonders stark betroffen ist der westliche Pazifik. Die Region umfasst Teile Südostasiens, Australien und Neuseeland sowie Inselstaaten im Pazifik, etwa die Fidschi-Inseln, Vanuatu und Tonga. Nach Angaben der Weltwetterorganisation WMO ist der Meeresspiegel dort allein seit 1993 um bis zu 15 Zentimeter gestiegen und damit fast doppelt so stark wie im weltweiten Durchschnitt. Zudem verzeichnen diese Teile des Ozeans einen besonders starken Anstieg des Wassertemperaturen. Laut WMO ist die Oberflächentemperatur des Meeres nordöstlich von Neuseeland und südlich von Australien zwischen 1981 und 2023 um mehr als 0,4 Grad pro Jahrzehnt gestiegen – und damit dreimal so stark wie im weltweiten Durchschnitt.

Welche Folgen hat der steigende Meeresspiegel?

In Küstengebieten wächst das Risiko von Überschwemmungen und Sturmfluten. Zudem können Süßwasservorkommen durch das Eindringen salzhaltigen Meerwassers verunreinigt werden. Manche Inselstaaten könnten durch den Anstieg des Meeresspiegels unbewohnbar werden. So hat etwa Kiribati bereits Land auf den Fidschi-Inseln gekauft, um seine Einwohner notfalls umsiedeln zu können. Weitreichende Folgen drohen aber auch in vielen Küstengebieten der USA und Europas. Zu den besonders gefährdeten Gebieten in Europa gehören etwa Englands Ostküste und der Küstenstreifen, der sich von Belgien bis nach Dänemark erstreckt. Hier liegen etliche Flächen schon heute unter dem Meeresspiegel und müssen aufwendig durch Deiche geschützt werden.

Wie lässt sich der Anstieg bremsen?

Durch eine schnelle und weitreichende Senkung der Treibhausgasemissionen. Auf der Konferenz in Tonga forderte UN-Generalsekretär António Guterres die Regierungen auf, das Zeitalter der fossilen Brennstoffe ausklingen zu lassen und Investitionen in die Anpassung an den Klimawandel massiv zu erhöhen. Tatsächlich steigt der weltweite Ausstoß von CO2 und anderen Klimagasen weltweit immer noch. Zudem sind die Ozeane ein sehr träges System, das nur langsam auf Veränderungen reagiert. „Der Anstieg, den wir heute und in den kommenden Jahren beobachten, ist auf die Treibhausgasemissionen des letzten Jahrhunderts zurückzuführen“, sagt der US-Klimawissenschaftler Sönke Dangendorf von der Old Dominion University in Norfolk gegenüber dem Wissensportal „Quarks“. Selbst wenn es gelänge, die Erderwärmung auf dem heutigen Niveau zu halten, würde der Meeresspiegel also noch viele Jahre lang weiter steigen.

Was wollen die betroffenen Staaten?

Die Pazifikstaaten fordern seit Jahren mehr Anstrengungen gegen den Klimawandel und mehr finanzielle Unterstützung bei der Bewältigung seiner Folgen. Sie sehen besonders die reicheren Länder in der Pflicht, die für den größten Teil des Treibhausgasausstoßes verantwortlich sind. Die Pazifikinseln kommen dagegen nur auf einen verschwindend geringen Anteil von 0,02 Prozent der globalen Emissionen. „Für tief liegende Inselstaaten geht es ums Überleben“, sagte Tuvalus Klimaschutzminister Maina Talia am Rande des Gipfels in Tonga. „Die Katastrophen häufen sich und wir schaffen es nicht mehr, alles wieder neu aufzubauen und immer wieder einen neuen Zyklon oder eine neue Überschwemmung zu überstehen.“

Der Ozean als Puffer

Kohlendioxid Wenn die Kohlendioxidkonzentration in der Luft über der Meeresoberfläche steigt, löst sich ein Teil der zusätzlichen CO2-Moleküle im Wasser und bildet dort Kohlensäure. Der Ozean ähnelt damit einem gigantischen Wassersprudler, mit dem in vielen Haushalten CO2 in Leitungswasser gepresst wird. Ohne die Pufferfunktion des Meerwassers wäre der CO2-Gehalt der Erdatmosphäre noch höher als ohnehin schon. Die Kehrseite: Die Ozeane werden durch die zusätzliche Kohlensäure immer saurer – mit schwerwiegenden Folgen für Korallenriffe oder auch Fischbestände.

Temperatur Die Ozeane schlucken nicht nur einen Teil des durch die menschliche Zivilisation emittierten Treibhausgases CO2, sie nehmen auch einen Teil der dadurch entstandenen Wärme auf. In den vergangenen fünf Jahrzehnten hätten die Weltmeere mehr als 90 Prozent der globalen Erwärmung absorbiert, sagte UN-Generalsekretär António Guterres bei der Pazifischen Inselkonferenz in Tonga. Die hohen Temperaturen setzen ebenfalls vielen Meeresbewohnern zu und tragen etwa maßgeblich zur Korallenbleiche bei. Zudem kann wärmeres Wasser weniger CO2 aufnehmen und verliert dadurch zum Teil seine Pufferfunktion.

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Erstellt:
27. August 2024, 17:20 Uhr

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