Mehr als nur Folklore
Das Cannstatter Volksfest hat eine eigene Geschichte. Es darf nicht zu einer gesichtslosen Party geraten.
Von Frank Rothfuß
Heißa, es ist wieder Volksfest. 17 Tage lang werden Menschen angezogen wie Delegierte des CSU-Bezirksverbandes Oberbayern auf den Bänken der Bierzelte hüpfen, werden mitgrölen zu den gängigen Partyhits, in denen dann Cordula Grün auf einem roten Pferd das Lasso rausholt.
Trotz erwartbarer Feuchtfröhlichkeit ist das Symbol dieser Festsaison nicht der Maßkrug. Es ist der Handscanner. Beim Oktoberfest in München nutzen sie 40 dieser Geräte für Stichproben an den Eingängen. Ob das sinnvoll ist? Der Verdacht liegt nahe, dass die Geräte eingesetzt werden, um die Wahlchancen des Oktoberfest-Chefs Clemens Baumgärtner zu erhöhen. Er möchte gerne OB in München werden. Als CSU-Kandidat gehört die Rolle des harten Hundes dazu.
In Stuttgart betreibt keiner Wahlkampf, da hält man das eigene Konzept auch ohne Scanner für sicher genug. Der Wasen ist ohnehin 17 Tage lang der sicherste Ort in Stuttgart, beobachtet von Kameras, mehr Polizisten als dort begegnet man nirgendwo in der Stadt. Wohl wissend, dass keiner den absoluten Schutz garantieren kann.
Den Besuchern ist das klar, abhalten wird es sie nicht. Das hat sich in den Stadien und Fanzonen bei der Fußball-EM gezeigt, als sich die Fans nicht von Angst haben überwältigen lassen. So wird es auch beim Volksfest sein. Vier Millionen Gäste werden erwartet; spielt das Wetter mit, werden sie kommen. Reservierungen deuten darauf hin.
Eines sollte man inmitten aller Terrordebatten nicht vergessen: Die Polizisten und Ordner sind vor allem auf dem Wasen, um die Auswüchse der Sause einzudämmen. Um dafür zu sorgen, dass sich die Menschen in betrunkenem Zustand ordentlich benehmen. Denn das Geschäftsmodell ist längst der Verkauf von Alkohol. Man stelle sich vor, der OB zapft an diesem Freitag die erste Apfelschorle an, 5000 Menschen im Zelt stoßen mit Saft an. Glaubt jemand, dass dann so viele Menschen kämen? Verwerflich ist das nicht. Doch Bierverkauf darf nicht zum einzigen Zweck werden.
Nicht in Vergessenheit geraten sollte etwa ein Symbol, das vom Ursprung als Erntedankfest kündet: die Fruchtsäule, geschmückt mit Obst, Gemüse und Blumen. Bis 2007 fand samstags davor die Eröffnung statt. Danach packte man den Freitag hinzu und ging ins Zelt zum Fassanstich. Verschämt feierte man zunächst samstags vor der Fruchtsäule noch einen Traditionsmorgen, auch den gibt es nun nicht mehr. Der Protest war damals groß – ebenso wie die Empörung, als in diesem Jahr das letzte Brauereigespann nicht mehr auf den Wasen zuckeln sollte. Offenbar gibt es eine Menge Menschen, die finden, das Volksfest sei zu schade, sich in den gesichtslosen Reigen der Aprés-Ski-, Faschings-, und Malle-Partys einzureihen.
Völlig zu recht. Denn das Volksfest ist ein zutiefst schwäbisches Fest: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen! Im Jahre 1816 erbten König Wilhelm I. und Königin Katharina ein bettelarmes und hungerndes Land. Die Asche vom Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien verdunkelte die Sonne, es gab im „Jahr ohne Sommer“ nur Regen und nichts zu essen. Zigtausende wanderten aus. Das Königspaar packte an, gründete das Katharinenstift, das Katharinenhospital. Und die Uni Hohenheim, an der sich die Bauern fortbilden sollten: Nie wieder sollte die Ernte ausfallen und die Menschen verhungern. Und sie stifteten 1818 das Volksfest – aus Dank, weil die Menschen wieder zu essen hatten –, und als Agrarmesse.
Als Kulisse für eine riesige Party gibt es bereits das Oktoberfest. Das Volksfest hat eine eigene Geschichte, die mehr ist als nur Folklore. Es schadet nicht, daran zu denken, wenn man lauthals singt: Cordula Grün!